Essen-Burgaltendorf. Vor 50 Jahren kam Altendorf/Ruhr zu Essen. Voraus gingen heftige Debatten und reger Protest. Im Dorf blickten viele skeptisch auf die Großstadt.

Was noch 1929 erfolgreich abgelehnt worden war, wurde 1970 umgesetzt: Die Eingemeindung von Altendorf/Ruhr nach Essen. An die Ereignisse vor 50 Jahren, verbunden mit Bürgerversammlungen und Protesten, erinnern Ortshistoriker Dieter Bonnekamp und Hans Neuhaus, Mitbegründer der Aktionsgemeinschaft. Diese hatte für den Verbleib im westfälischen Landesteil gekämpft, mit viel Engagement und riesigen Transparenten an der Burg.

„Altendorf will nicht nach Essen. Ist unser Wille so vermessen?“: Das hatten die Mitglieder der Aktionsgemeinschaft formuliert und auf ein Transparent geschrieben, das so breit gewesen sei wie der Burgturm, blickt Hans Neuhaus zurück auf eine unruhige Zeit, in der er die Aktionen und den Widerstand gar als rebellisch beschreibt. Der 87-Jährige kommt gebürtig aus Burgaltendorf, wo seine Eltern das gleichnamige Möbelhaus im Stadtteil gründeten.

In ihrem Dorf haben die Bürger alles erledigen können

Sie blicken 50 Jahre zurück: Dieter Bonnekamp (li.) und Hans Neuhaus erinnern an die Eingemeindung von Altendorf/Ruhr.
Sie blicken 50 Jahre zurück: Dieter Bonnekamp (li.) und Hans Neuhaus erinnern an die Eingemeindung von Altendorf/Ruhr. © FUNKE Foto Services | Julia Tillmann

Wäre es damals nach Hans Neuhaus und seinen Mitstreitern gegangen, hätte Altendorf einen Gemeindebürgermeister (der letzte war Otto Henneke, CDU) und auch sein Gemeindehaus als Verwaltungssitz behalten. „Wir konnten alles im Dorf erledigen“, sagt der 87-Jährige, der die Vorteile zu einer Großstadt zu gehören nicht hat erkennen können. Daran habe sich bis heute nicht viel geändert.

Das ehemalige Altendorf mit seinen rund 7000 Bürgern und die Stadt Essen, die damals etwa 720.000 Einwohner zählte, „das erschien vielen als unverhältnismäßig“, beschreibt Dieter Bonnekamp die Befürchtungen um die Wahrnehmung der Interessen des Stadtteils.

Der letzte Amtsbürgermeister kam aus Altendorf/Ruhr

„Damals gehörte die Gemeinde Altendorf/Ruhr zum Amt Hattingen Land. In der Nachbarstadt befand sich das Amtshaus“, erzählt Dieter Bonnekamp zum Hintergrund. Letzter Amtsbürgermeister sei Hermann Duesmann (CDU) aus Altendorf gewesen, nach dem die Straße in der neuen Siedlung an der Worringstraße benannt sei.

Für die Altendorfer war die Welt in Ordnung, bis die Neuordnung anstand: Im Zuge der Maßnahmen in den 1960er und 1970er Jahren sei bereits die Anzahl der Gemeinden von mehr als 24.000 auf 8.500 reduziert worden. „Die Ebene der Ämter, in denen mehrere Gemeinden zusammengefasst waren, fiel ganz weg“, berichtet Bonnekamp. Für Altendorf bedeutete das: Anschluss an die Stadt Essen oder an die Stadt Hattingen.

Viele Bürger und Vertreter der SPD orientierten sich nach Hattingen

Kommunale Neuordnung

„In den 1960er Jahren wurden in der Bundesrepublik die kommunalen Verhältnisse neu geordnet, die Phase dauerte bis 1977“, erklärt Ortshistoriker Dieter Bonnekamp. Ziel der Neuordnung sei es gewesen, eine Konzentration auf größere, handlungsfähigere kommunale Einheiten zu erreichen.

Die letzte große kommunale Neuordnung habe in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stattgefunden. Dabei waren etwa Überruhr, Kupferdreh, Heisingen, Steele und Byfang in die Stadt Essen eingemeindet worden.

Als Hans Neuhaus zu Ohren kam, was sich da tut in seinem Dorf, wollte er sich unbedingt informieren und trat dafür in der CDU ein. Während viele Christdemokraten jedoch zur Eingemeindung nach Essen tendierten, lautete der große Wunsch von Hans Neuhaus und zahlreichen Bürgern und Vertretern der SPD, sich Richtung Hattingen zu orientieren.

Die kleinere Stadt erschien ihnen überschaubarer, zudem seien sie in diese ohnehin eingebettet gewesen. So gab es etwa zahlreiche Beziehungen nach Niederwenigern, „wo viele Vorfahren im Mauritius-Dom getauft worden sind. Und wo viele bis heute mit den Nachbarn bei der traditionellen Mauritiuskirmes feiern.“ Und so setzte sich die Aktionsgemeinschaft für Hattingen ein, samt Bürgerversammlungen und Protestkundgebungen.

Zum Teil Anfeindungen innerhalb einer Partei

„Zwischen ihr und den politischen Mandatsträgern, zum Teil in derselben Partei (CDU), hatte es starke Anfeindungen gegeben“, blickt Bonnekamp auf politische wie emotionale Debatten zurück. Immerhin wäre Altendorf im Rat der Stadt Hattingen zahlenmäßig stärker vertreten gewesen als in Essen. Auch habe die Höhe der Steuern eine Rolle gespielt, die in Hattingen niedriger gewesen wären.

Die Mitglieder der Aktionsgemeinschaft führten kurzerhand eine Befragung durch und fühlten sich bestätigt, denn nach ihren Angaben habe es mit 77 Prozent eine große Mehrheit für einen Anschluss an Hattingen gegeben. Die Gegenseite glaubte das wiederum nicht.

Gemeindevertretung stimmte dem Entwurf der Bestimmungen des Innenministers zu

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Die Politik entschied am 4. Februar 1969 („Essen hatte auch durch die Düsseldorfer Regierung eine bessere Lobby“): „Die Gemeindevertretung stimmte dem Entwurf der Bestimmungen des Innenministers zur Ausgliederung der Gemeinde Altendorf aus dem Amt Hattingen und ihre Eingliederung in die Stadt Essen mit 10 zu 9 Stimmen zu“, fasst Dieter Bonnekamp das Ergebnis zusammen, mit dem demokratische und verwaltungsmäßige Hürden bezwungen und die Eingemeindung von Altendorf/Ruhr nach Essen besiegelt worden sei.

„Aufgestellt wurde ein 16-Punkte-Plan“, sagt der Ortshistoriker zu den Zusagen der Stadt Essen an Altendorf, von denen eine derzeit umgesetzt werde: der neue Kreisverkehr. Der Anschluss an Essen bedeutete dann auch, dass Altendorf seine eigene Verwaltung hat aufgeben müssen, dass mancher Politiker zurückgetreten sei und die Altendorfer an der anstehenden Kommunalwahl nicht haben teilnehmen können. „Die Alternative ist ein Bürgerausschuss mit beratender Funktion gewesen, da es folglich keine gewählten Vertreter im Rathaus gab“, sagt Dieter Bonnekamp.

Neuer Name folgte erst wenige Monate später

„Burgaltendorf hat seinen dörflichen Charakter auch nach der Eingemeindung bewahrt“, sagt Bezirksbürgermeister Manfred Kuhmichel.
„Burgaltendorf hat seinen dörflichen Charakter auch nach der Eingemeindung bewahrt“, sagt Bezirksbürgermeister Manfred Kuhmichel. © FUNKE Foto Services | André Hirtz

Aus heutiger Sicht, sagt Bezirksbürgermeister Manfred Kuhmichel, hätten sich die Sorgen nicht bestätigt. Die Eingemeindung habe sich als tragfähig erwiesen, „der Stadtteil hat seinen dörflichen Charakter bewahrt“.

Damals konnte nach den mitunter aufwühlenden Zeiten mancher Streit unter Nachbarn langsam wieder abebben. Denn, sagt Dieter Bonnekamp, es habe durchaus ärgerliche Vorfälle und beschmierte Hauswände gegeben. Was es zunächst nicht gab, war ein neuer Stadtteilname. „Essen Ortsteil Altendorf/Ruhr“ stand noch im Januar 1970 auf den Schildern zu lesen – allerdings nur noch bis März.