Essen-Vogelheim. Beim Aktionstag auf dem Burgplatz fordert die Gesamtschule Nord mehr Unterstützung. 70 Prozent der Schüler haben einen Migrationshintergrund.

Mehr Bildungsgerechtigkeit – das fordert die Gesamtschule Nord bei einem großen Aktionstag auf dem Burgplatz. 70 Prozent der 950 Schüler haben ausländische Wurzeln, ein Großteil lebt von Sozialleistungen. Unterrichtet werden sie in einer Schule, die selbst den Kopierraum als Klassenzimmer nutzen muss. Am Dienstag, 3. März, wollen sie in der Innenstadt auf ihre besondere Situation aufmerksam machen.

Die Gesamtschule in Vogelheim ringt mit der Inklusion, der Integration von Seiteneinsteigern, die teilweise noch alphabetisiert werden müssen, und der Beschulung von Schülern, die an Gymnasien und Realschulen gescheitert sind. „Und selbst die Kinder, die hier aufgewachsen sind, benötigen häufig eine Sprachförderung“, nennt Schulleiter Wolfgang Erdmann noch eine Besonderheit der 1990 gegründeten Ganztags-Gesamtschule, die das 80-köpfige Kollegium bewältigen muss.

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Gesamtschule hat sich dem Bündnis „Schulen hoch drei“ angeschlossen

Diese Herausforderungen sind auch der Grund, warum sich die Gesamtschule dem landesweitem Bündnis „Schulen hoch 3“ angeschlossen hat: Das ist eine Initiative von mittlerweile über 20 Schulen, die durch einen besonders schwierigen Standort gekennzeichnet sind. Im Alltag dieser Schulen potenzieren sich die pädagogischen Probleme, denen sich die Lehrer Tag für Tag stellen müssen.

„Wir wollen uns nicht damit abfinden, dass wir weder vom Land und häufig auch nicht von der Stadt die personelle und materielle Unterstützung bekommen, die wir für unsere Arbeit benötigen“, erklärt Wolfgang Erdmann und ergänzt: „Die Schulen im Essener Norden brauchen einfach eine andere Versorgung als die im Süden der Stadt.“

Viele Schüler fühlen sich benachteiligt und zurückgesetzt

Das fange beim Personalschlüssel an und höre bei den baulichen Bedingungen noch nicht auf. „Wir haben zum Beispiel gerade mal fünf Stellen für Sonderschulpädagogen – das ist definitiv zu wenig“, so Erdmann. Es gebe neben dem hohen Integrations- und Sprachförderbedarf eine Ballung von schwierigen Lebenssituationen in den Familien. Viele Schüler fühlen sich benachteiligt und zurückgesetzt. „Unser Ziel ist es, den Kindern nicht nur Bildung mitzugeben, sondern ihnen auch eine Perspektive aufzuzeigen“, sagt Erdmann, „doch dafür brauchen wir einfach mehr Manpower.“

Die Gesamtschule Nord besteht aus einem zusammengewürfelten Gebäudeensemble und ist schwer renovierungsbedürftig.
Die Gesamtschule Nord besteht aus einem zusammengewürfelten Gebäudeensemble und ist schwer renovierungsbedürftig. © FUNKE Foto Services | Klaus Micke

Wichtig sei auch eine Umgebung, in der das Lernen Spaß mache: Davon ist die Gesamtschule Nord derzeit weit entfernt. Untergebracht in einem zusammengewürfelten Gebäudeensemble, weist die Schule inzwischen einen extrem hohen Renovierungsbedarf auf. „Hier wurde in den vergangenen drei Jahrzehnten so gut wie nichts gemacht“, weiß Lehrerin Karin Haake, die seit 1994 an der Förderstraße unterrichtet. Aber nicht nur das. Die Schule platzt mittlerweile aus allen Nähten, „selbst in unseren Kopierraum wird unterrichtet“, so Haake weiter, „dafür steht jetzt der Kopierer auf dem zugigen Dachboden.“

Großer Zusammenhalt und flache Hierarchie im Lehrerkollegium

Nichtsdestoweniger leiste das Kollegium hervorragende Arbeit, sagt Schulleiter Erdmann. Der Zusammenhalt sei groß, die Hierarchie flach. „Alle Lehrer, die zu uns kommen, haben sich mit unseren besonderen Profil auseinandergesetzt. Sie sind mit Leidenschaft dabei und versuchen, den Mangel mit viel Kreativität und Einsatz zu verwalten.“ Auch, oder gerade weil sich die Schule im sozial schwachen Norden befinde, sei man stark. „Das zeigt sich Tag für Tag in unserer Arbeit.“

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Dennoch befürchtet Erdmann, dass die Gesamtschule Nord immer weniger wahrgenommen und immer mehr ins Abseits gedrängt werde. „Drei Gesamtschulen im Essener Norden erhalten neue Schulgebäude. Dazu wird noch eine neue Gesamtschule an der Erbslöhstraße gebaut. Unsere Schule wird unter die Räder kommen, wenn nichts passiert.“

Das Bündnis „Schulen hoch drei“

Das Bündnis „Schulen hoch drei“ fordert ein sofortiges Umsteuern in wichtigen schulpolitischen Bereichen als notwendige Voraussetzung dafür, ein Scheitern dieser hoch motivierten Brennpunkt-Schulen zu verhindern.

Im Zentrum der Initiative steht die Forderung „Ungleiches ungleich zu behandeln“. Mit der Forderung ist die Erwartung an eine entsprechende Steuerung durch das Ministerium für Schule und Bildung und dessen nachgeordnete Behörden verbunden ‐ und zwar umgehend.

Die Schulen aus dem Verbund begleiten überwiegend Kinder, die in bildungsfernen und/oder prekären Verhältnissen groß werden und sind somit Teil einer Segregation, die die Bildungsungerechtigkeit verschärft.

Einen kleinen Silberstreifen sieht der langjährige Schulleiter am Horizont: So will die Politik die Stadtverwaltung jetzt mit einer Machbarkeitsstudie für die Gesamtschule Nord beauftragen, sie soll Sanierung oder Neubau gegeneinander abwägen.