Essen. Hanau am Tag danach: In den Moscheen nimmt die Angst vor dem rechten Terror und Ausgrenzung zu. Ortstermin in der Fatih-Moschee in Katernberg.
Die Teestube der Fatih-Moschee in Essen-Katernberg am Morgen nach dem Amoklauf von Hanau: Über den großen Monitor flimmern die Nachrichten eines türkischen Nachrichtenkanals. Top-Thema auch hier: der Anschlag in Hessen. Es gibt Live-Schaltungen und Interviews mit Angehörigen von Opfern, denen Tränen über die Wangen kullern. „Das musste irgendwann passieren“, sagt Ibrahim Köse, der mit seinen Eltern vor 40 Jahren nach Essen kam und in Katernberg aufgewachsen ist. Der Mann ist entsetzt und verbittert. Ali (61) fügt hinzu: „Das ist schmerzhaft ohne Ende.“
Gut ein Dutzend Männer halten sich gegen Mittag in dem Anbau an der großen Moschee auf. Der digitale Wandkalender neben der türkischen Halbmond-Fahne zeigt an: Um 12.46 Uhr, in einer dreiviertel Stunde, beginnt das Mittagsgebet. Die Jüngeren spielen Pool-Billard, die Älteren stecken am runden Tisch die Köpfe zusammen. „Wir sind Gastarbeiter“, sagen sie und lächeln. Gastarbeiter – dieses Wort geht ihnen mit Stolz über die Lippen. Und mit Würde. Denn es soll auch heißen: Wir sind schon verdammt lange hier und wir wollen dazugehören.
„Früher hatten wir keine Probleme hier, aber die Stimmung ist gekippt“
Mit der deutschen Sprache haben die meisten allerdings immer noch hörbar Probleme. Nicht jeder möchte aufs Bild oder gar seinen vollen Namen preisgeben.
Bei Freitagsgebeten hielten sich regelmäßig mehr als hundert Leute in der Moschee auf, im Fastenmonat Ramadan – ab 25. April – kämen bis zu 400 Gläubige zusammen, berichten sie. „Ich habe Angst, dass dann etwas passieren könnte“, sagt einer, der vor 30 Jahren nach Essen kam. Er betont: „Früher hatten wir keine Probleme hier, aber seit sechs, sieben Jahren ist die Stimmung gekippt.“
Yasin Demirel (20), ein gläubiger Moslem, Abiturient und perfekt Deutsch sprechend, hält sich regelmäßig in der Fatih-Moschee auf. Auch er spürt Ressentiments und Diskriminierung. „Alles Schlechte wird Muslimen in die Schuhe geschoben – wir müssen uns anhören, dass wir kriminell sind und den Deutschen die Arbeit wegnehmen.“
Die „Gastarbeiter“ empfinden solche Unterstellungen als schallende Ohrfeige. Sie erinnern gerne daran, dass sie in den sechziger und siebziger Jahren in den Gruben von Zollverein Kohle ab- und dieses Land tatkräftig mitaufgebaut haben. Ob dieses Land sie in zehn Jahren noch haben möchte? „Ich glaube, dass viele uns jetzt schon nicht mehr haben wollen“, erwidert Yasin.
Unbekannte haben Ende Dezember eine Fensterscheibe der Moschee eingeschlagen
Mit dem Anschlag von Hanau kommt auch die schmerzhafte Erinnerung an die fürchterliche Mordserie des so genannten „Nationalsozialistischen Untergrundes“ (NSU) wieder hoch. Die Neonazi-Terroristen haben neun Migranten getötet, hinzu kamen 43 Mordversuche. Doch die Ermittler sprachen anfänglich verharmlosend von „Döner-Morden“ bzw. Rachemorden im türkischen Migranten-Milieu. „Die Doppelmoral der Deutschen macht mich kaputt“, schimpft Ali, der seit 50 Jahren in Essen lebt.
Kurz vor Jahresende haben Unbekannte nachts eine Fensterscheibe der Fatih-Moschee eingeschlagen. Damals war es nur eine Sachbeschädigung, am Tag nach Hanau ist es ein Alarmzeichen. Die Videokamera hat die Täter gefilmt. „Männer mit Kapuzen“, sagen die Fatih-Leute. Gefasst worden sei niemand.
Die Männer in der Teestube fühlen sich degradiert zu Bürgern zweiter Klasse und verstehen nicht, warum das so ist. „Wir werfen keinen Müll in die Gegend, wir haben Häuser gekauft und passen alles gut auf“, sagt Ibrahim Köse. Mit den meisten Deutschen komme man sogar gut klar. Und kaum jemand könne über persönliche Rassismus-Erfahrungen berichten.
Muslime beschreiben das Auftreten junger Polizisten als herrisch und abweisend
Trotzdem wächst das Unbehagen im muslimischen Migrantenmilieu. Yasin Demirel, der Jüngere, macht das auch am Auftreten junger Polizisten fest, das er als nassforsch und herrisch beschreibt. „Stopp, du redest nicht“ – mit diesen Worten sei ihm neulich ein Polizist über den Mund gefahren. Von den Bezirksbeamten der Wache Katernberg sei man ein anderes, zugewandteres Verhalten gewohnt.
Die Fatih-Moschee hoch oben im Essener Norden gilt als Vorzeige-Moschee, als Beispiel für erfolgreiche Integration und friedliches Miteinander. Doch die schwungvollsten Sonntagsreden vermögen die gesellschaftlichen Risse kaum noch zu übertünchen. Einheimische und türkischstämmige Zuwanderer rücken nicht näher zusammen, eher entfernen sie sich voneinander.
Ibrahim Köse weist daraufhin, dass die allermeisten seiner Freunde fleißig und strebsam seien. So wie gute Deutsche. Sie arbeiteten bei Thyssen-Krupp, bei der Trimet, bei Mercedes. Ein teures Auto mit viel PS und Hubraum ist für ihn ein Zeichen des Aufstiegs. Aber Yasin Demirel berichtet: „Wenn einer mit einem dicken Schlitten durch Katernberg fährt, dann unterstellen sie ihm sofort, dass er sein Geld mit Drogen verdient hat.“