Essen. In manchen Milieus lebt ein Schwuler auch in Deutschland in Lebensgefahr. Ein Muslim aus Essen berichtet. Sein Leben gleicht einem Versteckspiel.

Aarian* ist ein fröhlicher junger Mann. Sein sympathisches Lächeln ist ansteckend. Ob es echt ist oder gespielt, ist nur schwer zu erahnen. Der 25-Jährige ist geübt darin, sich zu verstellen. Aus Selbstschutz, wie er sagt. „Ich spiele eine Rolle, um nicht ausgestoßen oder sogar getötet zu werden“. Denn Aarian ist schwul. Und er ist muslimischer Afghane. Sein Leben gleicht einem Versteckspiel, mit vielen Geheimnissen und unterdrückten Gefühlen.

Abends, wenn er alleine ist und seine Freunde nicht mehr in der Nähe, surft Aarian in Chatgruppen, in denen er sich mit anderen schwulen Männern – vor allem auch mit anderen Homosexuellen aus muslimisch geprägten Ländern austauschen kann. Wo er ohne Furcht über seine Gefühle und Sehnsüchte reden kann, „wo ich ich sein kann“, sagt Aarian während sein Lächeln einem ernstem Gesichtsausdruck weicht.

Alleine aus Afghanistan nach Deutschland geflohen

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In der analogen Welt ist das für den 25-Jährigen undenkbar – auch hier in Essen. „Ich bin vor fünf Jahren alleine aus Afghanistan über die Türkei und Griechenland nach Deutschland geflohen. Meine Freunde, die ich hier in den Asylheimen kennengelernt habe, sind zumeist auch aus Afghanistan oder aus anderen ähnlichen Kulturen“, sagt Aarian. Die allermeisten afghanischen und überhaupt muslimischen Männer seien nicht aufgeschlossen Homosexuellen gegenüber, will der 25-Jährige damit sagen. Und mehr noch: „Würden die wissen, dass ich Männer liebe, würden sie mich bestenfalls ausstoßen“, sagt Aarian.

Und schlimmstenfalls?

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Aarians Blick friert für einen Moment ein. Als er wieder zu sich findet, berichtet der junge Mann von seiner Heimat. „Mein Vater und meine Brüder in Afghanistan haben immer gesagt, lieber tot als schwul. Nicht zu mir direkt, denn sie wissen nicht, dass ich auf Männer stehe. Es ist die Art wie sie denken. Und das gilt für viele andere auch: Homosexualität ist eine Todsünde.“

„Ich dachte, Schwulsein ist eine Krankheit“

Als Aarian in der Pubertät merkte, dass er bei Mädchen keine Lust empfindet, suchte er zunächst einen Arzt auf. „Ich dachte, ich bin krank. Ich dachte, Schwulsein ist heilbar“, sagt er. Ein verständnisvoller Arzt in Afghanistan erklärte ihm, dass er kerngesund sei. Aarian verstand. Auch, dass das Leben für ihn Afghanistan schwer werden würde.

Aarian hat viel darüber nachgedacht, darüber, ob ein Muslim schwul sein kann, sein darf. „Ja“, sagt er entschlossen. „Ich bin beides, und ich glaube nicht, dass das eine Sünde ist.“ Es habe etwas gedauert, bis er zu dieser Erkenntnis gelangt sei, sagt der junge Mann.

Frei von Ängsten ist Aarian auch in Essen nicht

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Frei von Ängsten ist der 25-Jährige aber auch in Essen noch nicht. „Ich gehe zum Beispiel nicht an der Seite eines offen schwulen Mannes durch die Stadt“, sagt Aarian. Das Risiko, andere könnten ihn sehen und ihre Schlüsse daraus ziehen, sei zu groß.

inen angstfreien, sicheren Raum findet Aarian zwei mal im Monat in der Selbsthilfegruppe der Essener Aidshilfe „Queer of Colour Group“. Ein vom Land NRW und der Stadt Essen finanziertes Modellprojekt, das an der Varnhorststraße beheimatet ist und schwulen und bisexuellen Männer mit Migrationshintergrund eine Stütze ist.

Wieder spielt er den Heterosexuellen, für den ihn viele halten

„Für mich sind die Treffen sehr wichtig. Es gibt mir Kraft, mich mit anderen Männern, denen es ähnlich geht, auszutauschen, und mich für eine Weile nicht verstellen zu müssen“, sagt Aarian. Dem 25-Jährigen ist die Freude regelrecht anzusehen, wenn er von den harmonischen Stunden in der geschützten Umgebung berichtet.

„Vielleicht“, sagt Aarian mit verträumten Blick, „kann ich eines Tages auch in der Öffentlichkeit so unbeschwert sein.“ Einen Moment später ändert sich das Gesicht des 25-Jährigen wieder. Er zieht seine Jacke an, setzt sein freundliches Lächeln wieder auf, geht aus der Tür und spielt den heterosexuellen Mann, für den ihn seine Freunde halten.

*Name ist geändert