Essen. Werden wir bald von Robotern behandelt und gepflegt? Die Chefs der Uniklinik Essen verraten, wie das Krankenhaus der Zukunft aussieht.
Patienten verbringen durchschnittlich 6,8 Tage in der Essener Uniklinik. Prof. Jochen A. Werner (61) und Thorsten Kaatze (49) sind schon sehr viel länger da. Der Ärztliche Direktor (seit 2015) und der Kaufmännische Direktor (seit 2016 in dieser Funktion) arbeiten gemeinsam an ihrem Großprojekt Smart Hospital. Im Doppel-Interview geht es aber nicht nur um das Krankenhaus der Zukunft. Die beiden sprechen auch über den Notstand in der Pflege und darüber, welche Häuser auf dem Krankenhausmarkt überhaupt eine Überlebenschance haben.
Wer über das Klinikgelände läuft, kommt derzeit an einigen Großbaustellen vorbei. Wie ist der Stand der Dinge beim Neubau von Kinderklinik, Augen-HNO und Nuklearmedizin?
Thorsten Kaatze: Der Augen-HNO-Erweiterungsbau wird in diesem Jahr fertig. Danach stehen noch Sanierungsarbeiten an. Bei der Kinderklinik haben wir die Baugrube ausgehoben, die muss jetzt mit Beton gefüllt werden. Ähnlich sieht es bei der Nuklearmedizin aus. Noch in diesem Jahr sollen die Grundsteine gelegt werden. An der Ruhrlandklinik liegen die letzten Genehmigungsvorbereitungen beim Bauamt, dass wir dort ein Pet-CT einrichten werden. Das Land NRW fördert darüber hinaus einen Anbau. Wir haben uns hier zu einem großen Zentrum für seltene Lungen-Erkrankungen entwickelt, insbesondere für Mukoviszidose-Patienten. Vielleicht sogar zum größten in Deutschland.
Kinderklinik und Nuklearmedizin der Uniklinik Essen sollen bis 2023 fertig sein
Wie teuer wird denn die neue Kinderklinik und wann wird sie eröffnet?
Jochen A. Werner: Bis spätestens 2023 sollen die Kinderklinik und die Nuklearmedizin fertiggestellt sein.
Kaatze: Wir rechnen damit, dass sowohl die Nuklearmedizin als auch die Kinderklinik jeweils 120 Millionen Euro kosten werden. Beim Neubau gibt es aufgrund von aktuellen Preiserhöhungen in der Baubranche noch eine Finanzierungslücke. Bei der Innenausstattung wird uns die Stiftung Universitätsmedizin unterstützen. Wir sind froh, diese an unserer Seite zu haben.
Ein Gutachten im Auftrag der Landesregierung ist kürzlich zu der Erkenntnis gekommen, dass die Essener Uniklinik seit Jahren in den roten Zahlen steckt. Von einer „bedrohlichen wirtschaftlichen Situation“ war die Rede. Ist es wirklich so schlimm?
Kaatze: Man muss dieses Ergebnis genau analysieren. Ist es tatsächlich so, dass wir nicht wirtschaften können? Oder ist es nicht eher so, dass es in ganz Deutschland strukturelle Probleme gibt, die in den nächsten Jahren gelöst werden? Es gibt eine duale Krankenhaus-Finanzierung. Das heißt, dass das Land die Mittel für Investitionen zur Verfügung stellt. Die Kostenträger sind dafür da, den Rest zur Verfügung zu stellen, also die Betriebsmittel. So kam es aber auch dazu, dass seit 40 Jahren innovative Dinge aufgrund einer Unterfinanzierung insgesamt nicht weitergetrieben werden konnten, weil die Gelder fehlten. Somit sind wir immer noch in einem System der Krankenversorgung, das dem gleicht, was ich als Kind erlebt habe. Wenn man sich dagegen die Automobilindustrie vor 40 Jahren und heute anschaut, ist das eine andere Welt. Im Krankenhaus laufen die Prozesse immer noch wie früher.
Werner: Der Wissenschaftsrat hat angemerkt, dass man sich nur dann weiterentwickeln kann, wenn man die finanziellen Möglichkeiten bekommt. Ich sehe es so, dass wir auf einem sehr guten Weg sind. Wir haben das finanzielle Thema voll im Fokus und stehen in einem sehr guten Austausch mit der Landespolitik. Es gibt keinen Grund zur unkoordinierten Unruhe.
Kaatze: Wir haben auf den Stationen insgesamt eine gute Ausstattung und bieten sehr gute Qualität für die Patienten. Aber das kostet Geld. Und auch ein Landeshaushalt ist endlich. Natürlich müssen wir schauen, an welchen Stellen wir noch sparen können. Aber man sollte dabei immer bedenken, dass Patienten zum Beispiel in unsere Hochschulambulanzen kommen, wenn sie nirgendwo anders mehr Rat bekommen. Teilweise sind sie mehrere Jahre durch verschiedene Facharztpraxen gegangen. In der Hochschulambulanz finden sie dann den letzten Anker. Man muss dafür sorgen, dass dieses refinanziert wird.
Kaatze: Es ist nicht gut, wenn viele Krankenhäuser wenige Eingriffe machen
Essen gilt als starker Gesundheitsstandort. Wie läuft denn die Zusammenarbeit der Krankenhäuser untereinander?
Kaatze: Es gibt in der Stadt einen ganz guten Austausch. Im Krankenhausverband treffen wir uns quartalsweise und Oberbürgermeister Thomas Kufen engagiert sich sehr. Wir sehen uns als Universitätsmedizin Essen in einer führenden Rolle, um Dinge voranzutreiben und mit den anderen Krankenhausträgern zu sprechen, wie man sich beispielsweise besser vernetzen kann.
Geht es nach den Plänen von NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, dann wird es bald weniger Krankenhäuser, aber mehr Spezialisierungen geben.
Kaatze: Wenn der Krankenhausplan NRW umgesetzt wird, wird es zu großen Veränderungen kommen. Viele Ansätze darin sehen wir positiv. Krankenhäuser müssen sich Gedanken über neue Strukturen machen. Ziel muss auch in Essen sein, dass der Bürger in seiner Umgebung eine vernünftige Basisversorgung bekommt. Aber wenn er ein neues Kniegelenk oder ein neues Hüftgelenk benötigt, ist es nicht gut, wenn viele Krankenhäuser wenige dieser Eingriffe machen. Besser ist es, wenn wenige Krankenhäuser deutlich mehr machen. Die Qualität muss in den Vordergrund rücken. Auch wenn es komisch klingen mag, dass ausgerechnet der Volkswirt über solche medizinischen Dinge spricht.
Werner: Krankenhaus-Situation im Essener Norden ist ein hochemotionales Thema
Stellen Sie in Ihrem Austausch fest, dass kleinere Kliniken Angst um ihre Zukunft haben?
Kaatze: Ich glaube, dass es nicht auf die Größe ankommt. Es werden die Häuser überleben, die eine gute Struktur und eine gute Qualität haben. Grundsätzlich wird es auch an Universitätskliniken Verschiebungen geben und durch Kooperationen werden wir umdenken müssen. Festzustellen bleibt, dass Unikliniken bereits in Folge ihres Auftrags zu Lehre und Forschung Grundstrukturen beibehalten müssen.
In Essen gab es gerade eine überraschende Nachricht: Die Contilia steigt schon nach kurzer Zeit als Träger von drei Krankenhäusern im Norden wieder aus. Mit welchen Gefühlen verfolgen Sie diese Entwicklung?
Werner: Dieses Thema beschäftigt uns natürlich. Aber wir halten es für ganz wichtig, uns nicht an öffentlichen Diskussionen zu beteiligen. Das ist hochemotional.
Es ist fast eineinhalb Jahre her, dass der große Streik von Pflegekräften zu Ende gegangen ist. Wie sieht die Situation jetzt aus?
Werner: Wir sind weiter hochgradig interessiert, zusätzliche Kräfte einzustellen. Aber wir sind auch engagiert, unsere Pflegekräfte zu halten und Entlastung zu schaffen. Das darf bei der Köpfezählerei nicht in den Hintergrund geraten. Es muss eine Entbürokratisierung geben.
Im Smart Hospital sollen Patienten stärker in den Fokus rücken
Zu Ihren Herzensangelegenheiten zählt die Entwicklung eines Smart Hospitals, das man auch als Krankenhaus der Zukunft verstehen könnte. Bemerkt der Patient schon Veränderungen im Krankenhausalltag?
Werner: Das ist ein riesiger Prozess, der angestoßen ist, aber noch lange dauern wird. Es wird Patienten oder Angehörige geben, die schon jetzt etwas feststellen, andere nicht. Wir sollten uns da nicht unter Druck setzen. Uns ist bewusst geworden, dass wir von den Mitarbeitern und von den Patienten her denken müssen. Früher hat man von Geschäftsführungen aus gedacht.
Was darf man sich denn unter einem Smart Hospital vorstellen?
Werner: Das Smart Hospital ist eine Einrichtung, in der Patienten und Mitarbeiter viel stärker als bisher in den Fokus der Aufmerksamkeit gerückt werden. Um dieses nachhaltig umzusetzen, werden modernste, vor allem digitale, Technologien eingesetzt. Investitionen in medizinische Geräte gehören dazu, die digitale Patientenakte, schließlich auch Künstliche Intelligenz. Die Diagnostik in der Medizin wird viel besser. Sie wird schneller und es werden weniger Fehldiagnosen gestellt. Und wir werden dank der genaueren Diagnosen die Therapien immer besser auf die Einzelfälle zuschneiden können. Doch was nützt die tollste Technik, wenn es uns nicht gelingt, Menschlichkeit und Empathie zu vermitteln? Wer hier Patient ist, ist krank, er fühlt sich nicht gut und seine Angehörigen haben viele Ängste. Der Dienstleister Krankenhaus ist auf eine andere Gruppe ausgerichtet als beispielsweise ein Reisebüro, wo die Menschen gut gestimmt hinkommen. Genau deshalb müssen wir uns im Krankenhaus mehr auf den kranken Menschen und seine Bedürfnisse ausrichten.
Werner: Es gibt keine Roboter, die Pflegekräfte ersetzen
Was bedeutet die Veränderung hin zu einem Smart Hospital für die Mitarbeiter?
Werner: Ich habe kürzlich im Radio einen Beitrag gehört, in dem es um eine Umfrage ging, nach der branchenübergreifend 70 Prozent der Mitarbeiter Dienst nach Vorschrift machen. Das kann man nachvollziehen, wenn man sich bestimmte Entwicklungen und Mehrbelastungen ansieht. Deshalb ist uns unsere Mitarbeiterschaft extrem wichtig. Die Digitalisierung wird Mitarbeiter sicherlich von ermüdenden, zeitraubenden, bürokratischen Vorgängen entlasten. Zunächst haben wir immer gesagt: Uns ist wichtig, dass die Mitarbeiter dadurch mehr Zeit an dem Patienten haben. Heute sagen wir: Uns ist wichtig, dass die Mitarbeiter mehr Zeit an dem Patienten haben, aber auch, dass sie mehr Zeit für sich haben. Der Arbeitgeber muss beispielsweise dafür sorgen, dass sich Pflegekräfte gut und gesund entwickeln können. Dass sie Ruhezeiten bekommen. Wir müssen umdenken und berücksichtigen, was Entwicklungen mit den Mitarbeitern machen. Da liegt der Schlüssel.
Wie beruhigen Sie die Patienten und Angehörigen, die Angst haben, in einem Smart Hospital Robotern ausgeliefert zu sein?
Werner: Digitalisierung stärkt die Humanisierung. In den Medien wird schnell das Beispiel Pflegerobotik genannt. Aber das ist ein ganz kleiner Punkt. Wir investieren zunächst mal in Pflegekräfte. Es ist absurd, zu glauben, dass es heute Pflegeroboter gibt, die Pflegekräfte ersetzen könnten. An bestimmten Stellen können sie sie ergänzen. Patienten vermissen vielfach Dinge wie Zuwendung, Freundlichkeit oder Empathie. Wir haben als einzige Klinik in Deutschland ein Institut für Patientenerleben gegründet, damit die Patienten und Angehörigen ihre Ängste und Sorgen loswerden können, was das Thema Digitalisierung betrifft. Wir müssen und wollen dafür Sorge tragen, dass nicht nur das Behandlungsergebnis gut ist, sondern auch das Erleben in unserer großen Universitätsmedizin.
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