Essen. Er trank und spielte, bis fast nichts mehr ging: Holger hat ein halbes Vermögen verschleudert für seine Süchte. Doch heute lebt Holger solide.
Holger aus Essen hat in seinem Leben ungefähr ein halbes Einfamilienhaus verzockt. „Es müssten so 400.000 bis 500.000 Mark gewesen sein“, sagt der 63-Jährige heute. Mit 17 fing seine Spielsucht an, seit mehr als 20 Jahren ist Holger geheilt. Wobei: „Geheilt ist das falsche Wort. Man ist trocken, so wie ein trockener Alkoholiker.“ Getrunken hat Holger übrigens auch.
Holger führt heute ein bürgerliches Leben. Er ist verheiratet, hat eine Tochter im jugendlichen Alter und einen festen Job. „Seit zehn Jahren läuft es rund. Die Schulden sind weg, und es geht uns gut.“
Sein Vater nahm ihn mit in die Kneipe
Wie wird man spielsüchtig? „Das passiert nicht von heute auf morgen, das ist ein Prozess.“ Holger wächst auf als jüngstes Kind in einem Haushalt mit drei Halbbrüdern und einer Schwester, „ich galt immer als die Heulsuse.“ Weinerlich, verträumt, naiv, „und mein Vater nahm mich mit in die Kneipe, der setzte mich vor den Spielautomaten und gab mir drei Groschen und trank selbst in Ruhe sein Bier.“ Holger lernt, Malzbier zu trinken, „mein Vater wollte einen Mann aus mir machen, das ist ihm aber nicht gelungen.“ Nach der Hauptschule bricht Holger seine Raumausstatter-Lehre ab und hängt erst mal drei Jahre rum. Er arbeitet hier, arbeitet dort, aber nie etwas Verbindliches. Alkohol wird sein ständiger Begleiter, er trinkt Bier, oft Schnäpse. „Ich wollte etwas darstellen und wusste aber gar nicht, was oder wen.“
Mehrfach wird ihm der Strom abgedreht
Mit 17 schmiss er aus Langeweile eine Mark in einen Spielautomaten, „ich erinnerte mich daran, dass mir als Kind das Leuchten und die vielen Geräusche gut gefallen haben.“ Der Automat lief kurz und ratterte dann wie verrückt, „ich hatte meine erste Serie, vielleicht 30 oder 40 Mark.“
Die nächsten 15 Jahre vergehen mit unterschiedlichen Jobs und Umschulungen, einer Bundeswehr-Zeit, „in der ich meinen kompletten Sold versoffen und verzockt habe“, immer wieder Arbeitslosigkeit, zwischendurch wird ihm mehrfach der Strom abgestellt, Holger hat kein Geld. Er kann kaum an einer Gaststätte vorbeifahren, ohne hineinzugehen. „Ich redete mir ein, ich muss aufs Klo.“ Und wer als Kneipengast die Toilette benutzt, muss auch was bestellen: das nächste Bier. „So habe ich mich selbst belogen.“ Und die nächste Daddelkiste war in der Regel auch nicht weit vom Tresen entfernt.
Wieso Gewinne am Automaten nicht helfen
Irgendwann zieht er die Reißleine und macht eine Entgiftung. Mehrere Monate verbringt er in einer Suchtklinik, absolviert eine Psychotherapie, ist seitdem trocken. Er lernt seine jetzige Frau kennen, die beiden heiraten. Die Alkoholsucht hat Holger überwunden. Die Spielsucht dagegen nicht.
Sucht: Hier gibt es Hilfe
Hilfe für Alkoholsüchtige gibt es in vielen Stadtteilen – unter anderem vom Kreuzbund, dem Verein Anonyme Alkoholiker, den Guttemplern und anderen Vereinigungen.
Spielsüchtige treffen sich unter anderemn montags um 18.15 Uhr in der ev. Kirchengemeinde Frillendorf, Auf’m Böntchen 2-8, oder montags von 19 bis 21 Uhr beim Arbeiter Samariter Bund (ASB), Henricistraße 108, Bergerhausen.
Kontakte zu allen Gruppen vermittelt die Selbsthilfeberatung Wiese e.V., 207676.
Er leiht sich Geld von seiner Mutter, steht schon morgens um acht vor der Spielhalle. Dass er nur verlieren kann, ist ihm damals nicht klar. „Ich dachte jedes Mal, heute mache ich die große Serie.“ Wenn es ihm tatsächlich gelang, ein paar Mark aus den Automaten zu ziehen, ging es ihm nicht besser: „Ich spielte ja heimlich. Meine Frau durfte es nicht wissen. Das heißt, ich konnte das gewonnene Geld nicht nach Hause bringen.“ Also landete auch der Gewinn wieder im Automaten. Und blieb dort.
Wie der endgültige Ausstieg gelang
So geht das über Jahre. Holger bekommt immer noch Kredit bei den Banken. Trotzdem geht das alles nicht ewig gut – irgendwann muss er sich gegenüber seiner Frau rechtfertigen. „Die Spielsucht hätte mich fast die Ehe gekostet, und ich wollte meine Frau nicht mehr weinen sehen.“ Wieder macht Holger Psychotherapie, überwindet auch diese Sucht und fängt an, seine Schulden abzubezahlen. „Ich hab’ für Nachbarn im Garten gearbeitet, geputzt, war sogar Kellnern in einer Kneipe. Dass da Alkohol floss und Spielautomaten standen, hat mir nichts mehr ausgemacht.“
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Dies ist der endgültige Ausstieg aus der Sucht: Holger und seine Frau werden Eltern. „Heute“, sagt er, „ist meine Tochter einer der wichtigsten Gründe für mich, der Sucht fernzubleiben.“ Es sei egal, findet Holger, ob man trinkt oder spielt, kauf- oder fresssüchtig ist. „Es ist immer die Psyche. Es ist immer das Gefühl, irgendwas reicht nicht. Um seine Sucht aufrechtzuerhalten, belügt man sich ständig selbst.“
Heute engagiert Holger sich ehrenamtlich
Sein Leben erhält weitere, entscheidende Stabilität, als Holger anfängt, sich ehrenamtlich für Suchthilfe-Organisationen zu engagieren, seine Erfahrungen anderen Betroffen mitzuteilen, Selbsthilfegruppen ins Leben zu rufen. „Ich wollte deswegen sogar umschulen auf Sozialarbeiter, aber das hat leider nicht geklappt.“ Weil ihm das Abi fehlt. Bleibt ihm das Ehrenamt: Demnächst macht er eine neue Selbsthilfegruppe auf, in Altendorf wird es sein. Ihm ist das wichtig, trotz seines Drei-Schichten-Jobs am Düsseldorfer Flughafen, der ihn massiv fordert. „Ich will, dass auch andere erkennen, dass man ‘rauskommt aus dem Teufelskreis.“