Essen. Der Rückzieher des Krankenhaus-Betreibers Contilia überrascht alle. OB Kufen will den Neubau noch nicht abhaken, die SPD sieht die Stadt am Zug.

Dass der Krankenhaus-Betreiber Contilia die vor nicht einmal zwei Jahren erworbenen katholischen Kliniken im Norden der Stadt wieder abstoßen will und damit bis auf weiteres auch die Pläne für einen 300 Millionen Euro teuren Klinik-Neubau begräbt – diese Nachricht hat in Essen fast alle erstaunt und viele enttäuscht. Doch nach dem ersten Zwicken, ob man da richtig gehört hat, gehen die Blicke nach vorn: Der Oberbürgermeister mag das Mega-Projekt auf keinen Fall abschreiben. Und die SPD hat da auch schon eine Idee.

Ob es eher eine fixe ist, muss sich zeigen: Oliver Kern jedenfalls, OB-Kandidat der Sozialdemokraten, plädiert dafür, die Stadt solle „ernsthaft prüfen, ob eine Übernahme der Kliniken (...) machbar und sinnvoll ist“. Gesundheit, so Kern, sei schließlich Teil der öffentlichen Daseinsvorsorge „und darf nicht nur unter wirtschaftlichen Aspekten betrachtet werden“.

Sozialdemokraten erinnern an die ärztliche Unterversorgung im Norden

Kern verknüpft den avisierten Krankenhaus-Verkauf mit der seit Jahren angeprangerten ärztlichen Unterversorgung im Essener Norden. Die könne man bei der Gelegenheit „wesentlich aktiver angehen“. Und Krankenhäuser in kommunaler Trägerschaft seien schließlich vielerorts Alltag, „vielleicht ist die Zeit in Essen gekommen, dieses Aufgabenfeld ein Stück weit wieder in die öffentliche Hand zurückzuführen“.

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Ein Verkauf der Katholischen Kliniken Essen (KKE), zu denen das Borbecker Philippusstift und das Stoppenberger Vincenz-Krankenhaus, das Marienhospital Altenessen und inzwischen auch das Geriatriezentrum Haus Berge in Bochold gehören, dürfe die Situation der Beschäftigten wie der Patienten „nicht verschlechtern“ – findet jedenfalls der Altenessener SPD-Ratsherr Martin Schlauch, zugleich Vorsitzender des Rats-Ausschusses für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Integration.

Für OB Kufen hat „eine freie gemeinnützige Trägerschaft immer Priorität“

Oberbürgermeister Thomas Kufen machte demgegenüber am Dienstag deutlich, dass für ihn „eine freie, gemeinnützige Trägerschaft immer Priorität“ habe: Den auch für ihn überraschenden Beschluss der Contilia bedaure er nicht zuletzt mit Blick auf die „neu entstandene Unsicherheit“.

Die krankenhäusliche Versorgung im Essener Norden und Nordwesten zu sichern und weiterzuentwickeln „hat absolute Priorität und ist mir ein besonderes Anliegen“, betonte Kufen und sieht hier die Geschäftsführung der Contilia in der Verantwortung. An den Plänen für einen Neubau in Altenessen sollte seiner Ansicht nach festgehalten werden, denn: „Dieser bietet viele Chancen, nicht nur Arbeitsplätze zu sichern, sondern auch die medizinische Versorgung auf höchstem Niveau zu halten. Das muss auch nach einem möglichen Verkauf durch die Contilia so bleiben.“

Bund der Steuerzahler sieht einen städtischen Betrieb eher skeptisch

Ähnlich formulierten es FDP, Grüne und die CDU im Rat. Doch während die Grünen vom Oberbürgermeister ein aktuelles Konzept erwarten, das „eine nachhaltige gesundheitliche Versorgung im Essener Norden sicherstellt“, schießen sich die Christdemokraten auf den SPD-Vorschlag einer Klinik-Übernahme durch die Stadt ein.

„Die bestmögliche Lösung“, so ihr gesundheitspolitischer Sprecher Dirk Kalweit, „kann nur mit einem erfahrenen Träger aus der Gesundheitsbranche gefunden werden“. Jegliche Gedankenspiele, die Stadt wäre ein geeigneter Käufer, seien aus CDU-Sicht „absolut unüberlegt, finanziell hoch riskant und eher als Wahlkampfgetöse einzustufen, da die Stadt Essen über keinerlei Erfahrung im Betrieb kommunaler Krankenhäuser verfügt“.

Auch der Bund der Steuerzahler NRW sieht eine mögliche Übernahme der Essener Nord-Kliniken durch die Stadt ausgesprochen skeptisch: „Wir sind – von individuellen Ausnahmen abgesehen – eher nicht dafür“, betont Sprecherin Bärbel Hildebrand. Schließlich gehe man davon aus, „dass Contilia auch rechnen kann“. Und dass ein städtischer Betreiber nach dem Rückzieher eines erfahrenen Krankenhaus-Betreibers die Geschäfte erfolgreicher führen könne, „das wagen wir doch sehr zu bezweifeln“.