Essen-Rellinghausen. Johanna Heger aus Essen-Rellinghausen arbeitete als Kinderkrankenschwester im Schloss Schellenberg. Dort machte sie nicht nur gute Erfahrungen.

Eine Broschüre mit Erinnerungsfotos hat die Bürgerschaft Rellinghausen-Stadtwald jetzt herausgeben: Die Bilder zeigen Stationen aus dem Leben von Johanna Heger, die in den 1960er Jahren als Kinderkrankenschwester im Schloss Schellenberg gearbeitet hat. Über ihr bewegtes Leben würde die 76-Jährige gern ein Buch schreiben. „Ich habe mit meinem verstorbenen Mann viel Schönes erlebt, aber in der Kindheit und Jugend auch viel Schlimmes“, blickt die Rellinghauserin zurück.

Johanna Heger wurde in Celle geboren, wuchs aber in der ehemaligen DDR auf. Ihren Vater hat sie nie kennengelernt, er fiel im Zweiten Weltkrieg, als Johanna Heger ein Jahr alt war. Trotzdem habe sie immer eine große Verbundenheit mit ihm gespürt, er habe ihr etwas mitgegeben, das sie bis heute als „Lebensfaden“ bezeichnet. Der Kontakt zur Mutter dagegen sei abgerissen. Diese sei aus der DDR geflohen und habe sie damals erstmal zurückgelassen, so Johanna Heger.

1961 begann Johanna Heger ihre Ausbildung zur Kinderkrankenschwester

1953 kam sie nach Essen, absolvierte nach der Schule eine Hauswirtschaftslehre im Kloster Josef in Kettwig. 1961 begann sie im Schloss Schellenberg ihre Ausbildung zur Kinderkrankenschwester, später dann übernahm sie eine Station. Teils kümmerte sie sich um 28 Kinder auf der Station, darunter vier behinderte Mädchen und Jungen, was eine besondere Herausforderung gewesen sei.

Bis 1965 blieb sie auf dem Schloss, wo sie auch wohnte – erst im Vier-Bett-Zimmer, nach der Ausbildung dann im Zwei-Bett-Zimmer. Kein Luxus, aber immerhin eine Unterkunft. „Ich hatte damals ja niemanden“, blickt Johanna Heger zurück. Es sei eine harte Zeit gewesen, nicht selten habe es dort vor Kakerlaken gewimmelt. 20 Mark Taschengeld habe es im Monat gegeben, wovon sie Kleidung und Lehrbücher selbst habe bezahlen müssen. „Ich habe damals viel geweint“, erinnert sich die Rellinghauserin.

Die weiße Schwesterntracht war für Johanna Heger Dienstkleidung. Die Tracht gab es in verschiedenen Farben, in Blau, in Weiß, in dunklen Farben. Die wurden je nach Anlass getragen.     
Die weiße Schwesterntracht war für Johanna Heger Dienstkleidung. Die Tracht gab es in verschiedenen Farben, in Blau, in Weiß, in dunklen Farben. Die wurden je nach Anlass getragen.      © Johanna Heger

„Nach dem Auszug von Freiherr Friedrich von Vittinghoff-Schell wurde das Schloss Schellenberg 1919 vom Katholischen Fürsorgeverein für Mädchen, Frauen und Kinder gemietet, inklusive der herrlichen Parkanlage“, heißt es im Vorwort der Broschüre der Bürgerschaft. Die Missionsschwestern vom heiligsten Herzen Jesu, im Volksmund Hiltruper Schwestern genannt, hätten dort Kleinkinder und „erziehungsbedürftige Mädchen“ betreut.

„Dort haben viele sehr junge Mütter ihre unehelichen Kinder entbunden und dann dort gelassen. Ein uneheliches Kind zu bekommen, war ja damals eine Schande, besonders in den Augen der Nonnen“, berichtet Johanna Heger.

Kinderkrankenschwester kämpfte für die Kinder

Dementsprechend schlecht und herablassend seien die Frauen und Kinder damals oft von den Nonnen behandelt worden. Johanna Heger, die vor ihrer Ehe van der Pütten hieß, und ihre Kolleginnen hätten als Krankenschwestern oft für ihre kleinen Schützlinge gekämpft.

„Die Kinder mussten aus angelaufenem Metallgeschirr essen, obwohl wir große Mengen von Porzellan dort entdeckt hatten“, sagt Johanna Heger. Sie habe so lange gekämpft, bis die Kinder von den Porzellantellern essen durften. Auch dafür, dass die arg abgewetzte Kleidung ihrer Schützlinge im Alter von null bis sechs Jahren ersetzt wurde, habe sie sich eingesetzt. „Seitdem hatte ich den Ruf als freche Schwester“, sagt sie.

Der Blick hinter die Kulissen war für die junge Krankenschwester ernüchternd

„Ich habe damals einen Blick hinter die Kulissen werfen können, und der war ernüchternd. Es wurde viel mit Einschüchterung gearbeitet. Die Nonnen haben immer von Nächstenliebe gepredigt, aber sie nicht praktiziert“, so die Erfahrung von Johanna Heger, die sich später von der Kirche abgewandt hat.

Blick hinter die Kulissen im Schloss Schellenberg

Leser besuchen im Rahmen der Aktion
Leser besuchen im Rahmen der Aktion "WAZ öffnet Pforten" das Schloss Schellenberg. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos
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Bis 1965 blieb Johanna Heger im Schloss Schellenberg, später wechselte sie dann in den Privathaushalt eines Essener Firmenchefs, wo sie Reichtum und Überfluss kennenlernte, aber auch einen respektvollen Umgang mit den Angestellten. „Das war eine tolle Zeit“, blickt sie zurück.

Johanna Heger lernte ihren Ehemann in einer Eisdiele kennen

In einer Eisdiele in Rellinghausen lernte Johanna Heger ihren Mann kennen, mit dem sie oft in den Ski-urlaub fuhr und sich im Karneval bei den Essener Funken engagierte. Ihr Mann sei Installateur gewesen und habe auch oft auf Schloss Schellenberg zu tun gehabt. Nach ihrer Hochzeit 1966 habe sie dann nur noch gelegentlich Nachtwachen übernommen und nach der Geburt des Sohnes ganz aufgehört zu arbeiten, berichtet die Rellighauserin.

Das Schloss Schellenberg beherbergte noch in den 1960er Jahren ein Kinderheim.
Das Schloss Schellenberg beherbergte noch in den 1960er Jahren ein Kinderheim. © Johanna

Nach den schweren Zeiten ihrer Kindheit und Jugend hatte sie ihr großes privates Glück gefunden.

„Mein Leben hat erst richtig begonnen, als ich meinen Mann mit 20 kennengelernt habe. Wir hatten 53 glückliche Ehejahre. Leider ist er vor einem Jahr verstorben“, sagt die 76-Jährige, die einen Sohn und drei Enkel hat.

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