Essen-Werden. Zum Jahresende löst sich die Eucharistische Ehrengarde der Werdener Pfarrei St. Ludgerus auf. Die letzten Mitglieder erzählen von der Geschichte.
Ludger Scheulen (69) und Bernd Fabri (78) haben bis zuletzt die schwere Fahne hochgehalten. Nun hören auch sie auf. Am 31. Dezember dieses Jahres endet damit die Geschichte der Eucharistischen Ehrengarde der Propsteipfarrei St. Ludgerus in Werden – nach 99 Jahren.
Allein 24 Jahre davon stand Scheulen als Oberst der Ehrengarde vor. „Schau mal, kennst du den?“, fragt Fabri und zeigt mit dem Finger auf ein altes Foto im Album auf dem Wohnzimmertisch. „Klar“, antwortet Scheulen, der neben ihm auf dem Sofa in seiner Wohnung am Viehhauser Berg sitzt und grinst. „Da sind wir beide drauf, der da bist du!“
Erinnerungen an viele ehrenamtliche Einsätze in der Basilika
Bei der Durchsicht der Bilder kommen den beiden letzten Gardisten lebhafte Erinnerungen an viele ehrenamtliche Einsätze in der Basilika an der Brückstraße: Vor allem zum alljährlichen Ludgerus-Fest im Stadtteil am ersten Septemberwochenende umrahmten sie die kirchlichen Feierlichkeiten.
„Na, ziehst du wieder deinen Wintermantel an?“, habe seine Frau gescherzt, erzählt Scheulen, wenn er an einem wärmeren Tag Ende Mai oder Anfang Juni zu Fronleichnam seinen schwarzen Garde-Gehrock anzog. Dann noch den Zweispitz mit dem Federbusch auf den Kopf – und fertig war der Oberst.
Rund 40 Eucharistische Ehrengarden gibt es in Essen
In den katholischen Gebieten des Rheinlands und Westfalens säumen Schützenvereine zu Fronleichnam den Weg des Priesters, der das Allerheiligste in der Monstranz unter einem Baldachin durch den festlich geschmückten Ort trägt. Im Bistum Essen sind es noch rund 40 Eucharistische Ehrengarden, die diese Aufgabe zu Gottes Ehren übernehmen – mit abnehmender Tendenz.
Gerade wie die Zinnsoldaten standen Scheulen, Fabri und die immer kleiner werdende Schmucktruppe an besonderen Anlässen seitlich der langen Bankreihen der Basilika. Mit 1,88 Meter (Scheulen) und 1,91 Meter (Fabri) haben beide Männer stattliches Gardemaß.
Neuformierung unter Bischof Hengsbach im Jahr 1959
„2015 waren wir in Werden noch zu dritt“, fügt Fabri an. Damit wiederholte sich der historische Tiefpunkt von 1984. Damals konnte man das Steuer noch herumreißen und die Garde wiederbeleben. Bis 1995 stieg die Mitgliederzahl wieder auf sieben. Doch vom Rekord des Jahres 1931 – 39 aktive plus zwei Ehrenmitglieder – war man weit entfernt. Unter den Nazis gab es einige Austritte. „Geschäftsleute befürchteten Sanktionen durch das Regime“, weiß Scheulen. Am 12. Jul 1944 trat die Ehrengarde vorerst zum letzten Mal auf, um sich 1959 zur Gründung des Diözesanverbandes der Eucharistischen Ehrengarden im Bistum Essen unter Bischof Franz Hengsbach neu zu formieren.
Lange Jahre erfüllten Scheulen und Fabri in der Garde treu ihre Pflichten. Am Ende waren ihnen die körperlich anstrengenden Einsätze zu Bischofsbesuchen, Abschieden oder Einführungen von Pfarrern, Priesterjubiläen oder Beisetzungen von Geistlichen immer schwerer gefallen. „Jetzt“, sagt Fabri, „geht das gar nicht mehr“ und reibt sich die Knie. Das viele Stehen bei den Hochämtern und das Marschieren bei den Werdener Prozessionen könne er einfach nicht mehr.
Suche nach Nachfolgern blieb ohne Erfolg
Vergebens suchte er mit Scheulen jüngere Nachfolger fürs Ehrenamt. Doch auf den Aushang im Pfarreikasten meldete sich niemand, und die Nachfrage bei den katholischen Jugendverbänden blieb ohne Erfolg. Keiner im Verwandten- und Bekanntenkreis zeigte Interesse. „Wir sind eine aussterbende Spezies“, so Fabri.
Mit schwarzen Gehrockanzügen und Zylindern
Die Mitglieder der Eucharistischen Ehrengarde bekennen öffentlich ihre gemeinsame Haltung zu Christus und seiner Kirche. Sie fühlen sich Traditionen verpflichtet, die in Essen auf die Gründung in der Münsterkirche im Jahre 1884 zurückgehen.
Die ersten 31 Essener Gardisten hatten im königlich-kaiserlichen Herr gedient und trugen Zylinderhüte und schwarze Gehrockanzüge mit Schulterklappen und goldenen Zierkordeln („Fangschnüre“). Auch einen Degen hatten die Gardisten dabei, um die Prozessionen vor Raub, Plünderung und Überfällen zu schützen.
Der Gardestern an der Uniform trägt bis heute das Leitwort „Mit Gott – für Gott.“ Eucharistische Ehrengarden gibt es unter anderem noch in den Essener Pfarreien St. Antonius (Frohnhausen) und St. Dionysius (Borbeck) sowie in St. Lambertus (Rellinghausen).
Früher war das anders: Als Scheulen mit 35 Jahren Gardist in Werden wurde, war sein Weg vorgezeichnet. „Wer in Werden Ludger heißt, wird nach Tradition unseres Ortsheiligen Priester, Religionslehrer oder wenigstens Gardist“, scherzt er. Er entschied sich für das Letztere und folgte somit Vater und Großvater. „Johannes Munsch, mein Opa, hat im August 1920 mit zehn Männern die Eucharistische Ehrengarde von St. Ludgerus gegründet.“
Franziskanerinnen in Brasilien stellten die Fahne her
Laut Chronik traf man sich im Restaurant Hagemann (heute „Schiffers“). Für den Antritt beim Ludgerusfest hatte man keine eigenen Uniformen, die lieh man sich bei der Ehrengarde in Bredeney.
Die ebenso prächtige wie schwere Fahne der Werdener Gardisten stellten Franziskanerinnen in Brasilien her. Auch davon erzählt das Fotoalbum. Scheulen deutet auf eine Nonne mit weißer Haube: Oberin Mutter Maria Laeta, in Werden geboren. „Sie schmuggelte das kostbare Stoffstück unter ihrem Rock durch den Zoll.“ Den langen Fahnenstock fertigte Scheulens Großvater an, ein Schreinermeister.
Die Fahnenweihe war ein besonderer Tag
Ein ganz besonderer Tag in der fast ein Jahrhundert währenden Geschichte war die Fahnenweihe im August 1932: 250 Ehrengardisten aus der ganzen Stadt nahmen am Festakt teil. Erster Fahnenadjutant wurde Munsch. Er schritt dann 20 Jahre stolz mit der Fahne voran, bevor er sie seinem Schwiegersohn Josef Scheulen übergab. Der führte das Amt stolze 26 Jahre aus, Ludger Scheulen folgte von 1986 bis 1995.
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Knapp 100 Jahre gehörten die Eucharistischen Ehrengardisten in Werden zum gewohnten Bild bei kirchlichen Feiern und Festzügen. Auf ihre schmucke Erscheinung sollen die Menschen im Stadtteil auch in Zukunft nicht verzichten: Zumindest solange es noch Gardisten in anderen Pfarreien gibt.
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