Essen. Seit dem Fahrplanwechsel betreibt Abellio die Bahnlinie S9. Verspätungen und Zugausfälle sind an der Tagesordnung. Dafür gibt es Gründe.

Auf der S-Bahnlinie S 9 müssen sich Fahrgäste auch in den kommenden Wochen auf erhebliche Verspätungen einstellen. Der Verkehrsverbund Rhein-Ruhr (VRR) rechnet nach den Worten von Sprecherin Sabine Tkatzik frühestens ab Ende Januar mit Besserung. Betreiber Abellio will selbst keine Prognose wagen.

Das private Eisenbahnunternehmen hat zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember den Betrieb auf mehreren Linien im S-Bahn- und Regionalverkehr übernommen, unter anderem auf der Linie S9. Mit Zustimmung des VRR fährt Abellio nach einem Notfallplan, das Unternehmen nennt es „Sonderkonzept“. Laut Plan fahren die Züge im 30-Minuten-Takt lediglich zwischen Wuppertal-Vohwinkel über Essen bis nach Bottrop, nur jede Stunde fährt ein Zug weiter bis nach Haltern am See.

Abellio setzt einen neuen Zug ein und spricht von Kinderkrankheiten

Seitdem vergeht jedoch kein Tag ohne Verspätungen, S-Bahnen kehren auf der Strecke um, weil sie verlorene Minuten wieder gut machen wollen. „Dieser Zug endet in Essen Hauptbahnhof“, heißt es dann aus den Lautsprechern. Wer weiterfahren will, muss umsteigen. An den verbliebenen Haltestellen auf der Strecke fällt der Zug einfach aus.

Die Ursachen sind vielfältig. Abellio setzt einen neuen Triebzug ein, den „Flirt“ des schweizerischen Eisenbahnherstellers Stadler. Das Personal an Bord habe mit technischen Kinderkrankheiten zu kämpfen, auch fehle es an der nötigen Routine, sagt Abellio-Sprecherin Franka Spiekermann und wirbt bei den Fahrgästen um Verständnis.

Abellio bildet außerdem Lokführer und Begleitpersonal erst noch aus. Der VRR hat dem Notfallplan deshalb überhaupt zugestimmt, so Sprecherin Sabine Tkatzik. Lothar Ebbers vom Fahrgastverband Pro Bahn hat nachgerechnet: Drei Züge spart Abellio dadurch ein.

Die Wendezeit ist knapp, die Strecke der Linie S9 ist teilweise nur eingleisig

Der Fahrplan ist äußerst eng getaktet. „Die Wendezeit ist knapp. Einmal eingefahrene Verspätungen lassen sich nicht mehr aufholen und schaukeln sich weiter hoch“, so Ebbers. Die Streckenabschnitte zwischen Dellwig und Bottrop sowie die Ruhrquerung zwischen Überruhr und Steele sind zudem nur eingleisig. Letzteres hat Folgen für die Regionalexpress-Linie RE 49 von Wuppertal über Essen nach Wesel, erläutert der Pro-Bahn-Sprecher. Denn deren Züge werden bei Verspätungen von der S 9 ausgebremst.

Die neuen S-Bahnen sind niedriger. Zum Ein- und Aussteigen benötigen Rollstuhlfahrer eine Rampe.
Die neuen S-Bahnen sind niedriger. Zum Ein- und Aussteigen benötigen Rollstuhlfahrer eine Rampe. © Foto: Socrates Tassos

Erschwerend kommt hinzu, dass die neuen S-Bahnen von Abellio eine Einstiegshöhe von nur 76 Zentimetern haben. Diese Höhe soll im Nah- und Fernverkehr einheitlicher Standard werden. Die bislang von der Deutschen Bahn eingesetzten S-Bahnen sind 16 Zentimeter höher. Fahrgäste müssen an vielen Bahnsteigen beim Ein- und Aussteigen eine Stufe überwinden. Der Bahnsteig des Hauptbahnhofes beispielsweise liegt höher. Rollstuhlfahrer können diese Hürde aus eigener Kraft kaum überwinden. Wer in einem schweren Elektro-Rollstuhl sitzt, ist auf eine Rampe angewiesen.

Die neuen S-Bahnen sind niedriger, Rollstuhlfahrer müssen eine Stufe überwinden

Rollstuhlfahrer Udo Vogel aus Borbeck wollte am Freitag mit der S 9 von Gerschede zum Hauptbahnhof fahren. Sein Erlebnis schilderte er so: Der für 13.38 Uhr angekündigte Zug kam erst gar nicht, der nächste hatte 15 Minuten Verspätung. Anders als bei den alten S-Bahnen sei der Einstieg für Rollstuhlfahrer nicht mehr beim Fahrer, sondern in der Mitte des Fahrzeugs. „Ich habe auf einen Zugbegleiter gewartet. Schließlich ist der Lokführer ausgestiegen und hat die Rampe angelegt.“ Am Hauptbahnhof angekommen, wiederholte sich das Procedere. „Da waren wir bei 40 Minuten Verspätung angekommen“, berichtet Udo Vogel.

Abellio übernimmt auch die Linie S3

Ab dem 1. März 2020 übernimmt die Abellio Rail NRW GmbH auch den Betrieb der Bahnlinie S 3 von Oberhausen über Essen nach Hattingen. Dies hätte schon zum Fahrplanwechsel am 15. Dezember geschehen sollen, übergangsweise werden die Züge und das Personal aber weiterhin von der Deutschen Bahn gestellt.

Seit dem Fahrplanwechsel fährt die S 3 nur noch alle 30 Minuten. Das Platzangebot ist aber das alte. Erst wenn die neuen Züge von Abellio zum Einsatz kommen, erhöht es sich auf 296 Sitzplätze, das sind knapp 100 mehr als in den alten Zügen.

Wie geht es weiter? Ab dem 1. Mai soll die S 9 weiter über Gladbeck-West bis nach Recklinghausen fahren. Spätestens dann sollte Abellio sämtliche Kinderkrankheiten überwunden und genügend Personal an Bord haben.

Bis Rollstuhlfahrer an allen Stationen in die Züge hineinfahren können, wird es allerdings noch Jahre dauern. Bis 2030 sollen 90 Prozent der Bahnhöfe barrierefrei sein.