Essen. Mit der Ansiedlung von Amazon, GLS und der Ausbau des Karstadt-Lagers wächst die Logistikbranche. Was Essens Wirtschaftsförderer davon hält.

Logistik in Essen scheint einen Schub zu erfahren: Der Paketdienstleister GLS baut ein neues Logistikzentrum in Hafennähe, Amazon eröffnet bald ein neues Verteilzentrum im ehemaligen Metrolager an der Pferdebahnstraße und Karstadt will in seinem Modelager an der Hafenstraße die Mitarbeiterzahl mehr als verdoppeln. Janet Lindgens sprach mit Wirtschaftsförderer Andre Boschem über den Logistikboom und die Folgen für den Wirtschaftsstandort Essen.

Was bedeutet dieses rasante Logistikwachstum für den Wirtschaftsstandort Essen?

Wir sind über den Zuwachs an Arbeitsplätzen natürlich froh. Es handelt sich in Summe immerhin um fast 1000 neue Stellen. Auch wenn die Arbeitslosigkeit in Essen zuletzt unter die Zehn-Prozent-Marke gesunken ist, haben wir doch noch immer eine hohe Sockelarbeitslosigkeit mit vielen Langzeitarbeitslosen. Und genau dieser Gruppe können wir mit den neuen Logistikarbeitsplätzen eine Perspektive anbieten.

Die Wirtschaftsförderung ist zumindest bei GLS mit im Boot, wenn es darum geht, für die Stellen passende Mitarbeiter zu finden. Wenn jetzt gleichzeitig so viele Lagerarbeiter und Fahrer gesucht werden, gibt es überhaupt genügend Interessenten dafür?

Andre Boschem, Geschäftsführer der  Essener Wirtschaftsförderung
Andre Boschem, Geschäftsführer der Essener Wirtschaftsförderung © FUNKE Foto Services | Christof Köpsel

Das Schöne ist, dass wir hier im Ruhrgebiet keinen rein lokalen sondern einen regionalen Arbeitsmarkt haben, also auch Menschen aus den anderen Städten ringsum natürlich für die Jobs in Frage kommen. Das ist ein großer Vorteil, wenn sich Unternehmen hier ansiedeln wollen. Um die Kompetenzen zu bündeln, haben wir als Essener Wirtschaftsförderung kürzlich ja auch die Regionalagentur MEO in unseren neuen Bereich Arbeitsmarktförderung integriert. Das soll die Wirtschaft und den regionalen Arbeitsmarkt stärken.

Warum zieht es die Logistik im Moment so massiv nach Essen?

Ich denke, das liegt an der zentralen Lage und dem Ballungsraum, in dem viele Kunden der Logistikdienstleister wohnen. Aber auch für die Mitarbeiter, die dort künftig arbeiten, ist ihr Arbeitsplatz gut zu erreichen.

Auf der einen Seite entstehen Jobs in der Logistik, die als eher prekär und schlecht bezahlt gelten. Andererseits kündigen Konzerne wie Eon und Thyssenkrupp einen deutlichen Stellenabbau in der Stadt an. Damit fallen gut bezahlte Jobs weg. Müssen wir befürchten, dass das Lohnniveau in Essen weiter sinkt?

Die Sorge teile ich nicht. Und ich will das an diesen Zahlen verdeutlichen: Im vergangenen Jahr kamen in Essen rund 4800 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze hinzu. Davon wurden 31,2 Prozent von Experten besetzt. Mit dieser Quote lagen wir über dem Landesschnitt von 24,2 Prozent und über dem Bundesschnitt, der bei 27,7 Prozent lag. Es entstehen also in Essen überdurchschnittlich viele Arbeitsplätze für Hochqualifizierte. Außerdem würde ich die Logistikjobs nicht verteufeln. Man muss doch immer sehen, woher die Leute kommen. Wer Hartz IV erhält und nun ein oder zwei Euro über dem Mindestlohn verdient, der verdreifacht seine Kaufkraft. Das hilft dem Wirtschaftsstandort enorm. Es ist also eher ein Chancenthema.

Die Logistik gilt als sehr flächenintensiv. Also auf viel Fläche kommen vergleichsweise wenige Arbeitskräfte. Kann sich Essen bei der ohnehin herrschenden Gewerbeflächennot überhaupt solche Ansiedlungen „leisten“ oder wären nicht andere Unternehmen, die mehr Jobs mitbringen, besser?

Wir schauen uns bei neuen Ansiedlungen natürlich immer die Arbeitplatzkennzahl pro Fläche an. Aktiv siedeln wir als Wirtschaftsförderung auch keine Logistik an. Aber in allen drei Fällen, über die wir hier reden, handelte es sich nicht um städtische Flächen, damit haben wir auch keinen Einfluss darauf.

Fakt ist auch, dass mit der Logistik die Verkehrsbelastung im Stadtgebiet weiter zunimmt. Das ist doch für eine Stadt, die ohnehin schon mit hoher Luftbelastung kämpft, nicht gut.

Die Unternehmen folgen doch letztlich nur der hohen Nachfrage durch die Bürger. Daran etwas ändern kann nur ein anderes Nutzungsverhalten.