Essen. Todesnachricht, Unfall oder Suizid: Notfallseelsorger sind für Angehörige in akuten Krisen da. Die Ehrenamtlichen hören zu und halten viel aus.
Sie hören zu, schweigen oder sprechen, sie halten laute Schreie aus oder eine hilfesuchende Hand fest: Notfallseelsorger wie Christiane Mühlenbeck und Rolf Preiss-Kirtz sind für Menschen da. Wenn die Helfer alarmiert werden, ist ein Kind gestorben, ist der Partner verunglückt oder hat entscheiden, sich das Leben zu nehmen. In diesen akuten Krisen stehen die Ehrenamtlichen den Angehörigen zur Seite. Es bleibt stets dieser eine Einsatz, der sie zusammenbringt – es bleiben aber auch Einsätze, die die Notfallseelsorger nicht vergessen.
Christiane Mühlenbeck erinnert sich an die Mutter, der sie mit der Kriminalpolizei die Nachricht überbrachte, dass ihr Kind gestorben ist: „Sie saß auf meinem Schoß und hat zwei Stunden lang geschrien.“ Die 66-Jährige hat ihr abwechselnd Taschentücher und Wasser gereicht, hat sie gehalten und schließlich den Notarzt nochmals hinzugerufen. „Später sprachen wir über Hunde und Katzen, bevor ich sie auf dem Sofa zudeckte und mit einer Freundin allein ließ“, berichtet sie davon, wie sich die Situation in einem Einsatz wandeln kann.
Einsatzkräfte schauen vor Ort, wer Beistand benötigt
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Bevor Notfallseelsorger hinzugerufen werden, schauen Einsatzkräfte vor Ort, wer Beistand braucht und möchte. „Wenn ich ankomme, wimmelt es meistens noch vor Rettungskräften und Kriminalpolizei“, berichtet Christiane Mühlenbeck. Sie stellt sich bei den Angehörigen vor („Ich bin jetzt für Sie da“), während es um sie herum nach und nach ruhiger wird. Je nach Situation steht sie neben ihnen, sitzt ihnen gegenüber, berührt sie Menschen oder hält Abstand. In drei Jahren und nach 50 Einsätzen hat die Notfallseelsorgerin ein feines Gespür für die Bedürfnisse der Betroffenen entwickelt. Und sie hat gelernt, Stille auszuhalten, obwohl sie selbst gern spricht.
„Ich habe mein Ehrenamt bei einem Hospizdienst begonnen und schnell gemerkt, dass Sterbebegleitung nicht meines ist“, erzählt die gelernte Altenpflegerin aus Steele. Aber sie möchte bei den Menschen sein, die jemanden brauchen, weil sie großes Leid erleben. In der Notfallseelsorge fand sie die Aufgabe, auf die sie zehn Monate vorbereitet wurde und die sie seitdem mit großem Engagement und viel Einfühlungsvermögen übernimmt – immer nachts.
DRK-Fahrzeug für die Notfallseelsorge holt die Ehrenamtlichen zu Hause ab
Bis zum ersten Einsatz hat es nach ihrer Ausbildung vier Monate gedauert („Ich habe schon gezweifelt, ob ich im Dienstplan stehe“), dann klingelte das Telefon neben ihrem Bett. Es war ein Uhr, als sich ein Mitarbeiter des Deutschen Roten Kreuzes meldete, denn das DRK übernimmt die Alarmierung der Notfallseelsorger und schickt ein Fahrzeug los, um sie abzuholen. Im Krankenhaus traf Christiane Mühlenbeck auf eine Frau, deren Ehemann bei einem Einbruch schwer verletzt worden ist.
„Sie hat mir von der Tat erzählt“, erinnert sich die 66-Jährige an die Begegnung, die ruhig und für sie damals wie in einem Film ablief. Inzwischen hat sie auch Großeinsätze erlebt wie nach dem Flugzeugabsturz an der Grenze zu Mülheim und dem nach dem Sturm beim Konzert im Seaside Beach. Bei diesen steuert sie zunächst den Einsatzleiter an, um dann diejenige Person zu finden, die ihre Hilfe benötigt.
Wenn die Wohnung ein Tatort ist, warten Notfallseelsorger draußen
Manchmal trifft die Notfallseelsorgerin auf eine ganze Familie und findet sich in ihrer Mitte im Wohnzimmer wieder, wenn die Angehörigen nach einem Suizid über die Mutter, Schwester oder Tante sprechen möchten. Es ist mitunter ein Abschied, dem ein langer Leidensweg mit Krankheit oder Depression vorausgeht – oder eine Straftat, die ein Leben jäh beendet.
„Als ich nach dem Tod eines Säuglings hinzukam, durfte ich die Wohnung nicht betreten, da diese ein Tatort gewesen ist“, sagt Christian Mühlenbach über Fälle, die ihr besonders nahe gehen. Während die Polizei den Vater mitgenommen habe, habe sie draußen auf die Mutter gewartet.
Die Hilfseinsätze können eine oder auch mehrere Stunden dauern, danach sehen sich Notfallseelsorger und der Betroffene nicht wieder. Bei Bedarf vermitteln die Ehrenamtlichen zum Beispiel einen Pfarrer als weiteren Ansprechpartner; ihre eigene Telefonnummer geben die Helfer nicht an.
Notfallseelsorger müssen auch achtsam mit sich selbst umgehen
Mit sich selbst achtsam umzugehen, das lernen Notfallseelsorger im Laufe ihres Ehrenamtes. Denn sie treffen nicht nur auf Menschen, die an ihre Grenzen angelangt sind, sondern lernen auch ihre kennen. So bietet Christiane Mühlenbeck ihre Begleitung zwar an, wenn sich jemand von dem Toten verabschieden möchte: „Ich weiß aber, dass mir das schwer fallen würde.“ Mag daher ein Abschied und eine Berührung von einem Angehörigen, der schon vor längerer Zeit gestorben ist, für die Familie wichtig sein, „muss ich dort aber nicht hinsehen“.
Auch Rolf Preiss-Kirtz (58) wird seine Möglichkeiten und Grenzen als Notfallseelsorger erkennen, noch wartet er auf seinen ersten Einsatz. Hauptberuflich ist der Diplom-Pädagoge als Organisationsbegleiter beim Bistum tätig. Ehrenamtlich komme er aber aus der Blaulichtfamilie und habe in elf Jahren bei der Freiwilligen Feuerwehr in Heisingen durchaus Menschen in Extremsituationen erlebt, wie damals den Mann, der sich von einem Baukran stürzen wollte.
Selbst in schlimmen Situationen vergessen Betroffene die Dankbarkeit nicht
Notfallseelsorger kennt Rolf Preiss-Kirtz bislang aus seinem Job, nun möchte er selbst dort helfen, wo Menschen in Krisen sind. Dafür bringt er seine Lebenserfahrung und die Fähigkeit zuzuhören mit. Eine Herausforderung werde sein, sich zurückzunehmen und zu schauen, was die Betroffenen brauchen. „Ich möchte diese Aufgabe offenen Herzens angehen“, sagt er, hat sich dafür nachts gemeldet und schläft nun auch mit dem Handy auf dem Nachttisch. Etwas ganz Schlimmes müsse es nicht sein, ergänzt er noch.
Wie schlimm es für die Menschen auch kommt, so erfährt Christiane Mühlenbeck immer viel Dankbarkeit, ob in Worten oder Umarmungen. Und umgekehrt weiß sie längst: „Wenn mir etwas widerfahren sollte, möchte ich ebenfalls, dass jemand für mich da ist.“