Essen. Das städtische Krematorium wurde grundlegend saniert. Der Bedarf ist groß: Zwei von drei Bestattungen geht in Essen eine Einäscherung voraus.

Der Philosophie-Kurs, der sich mit der Vergänglichkeit des Lebens beschäftigte, war da. Die angehenden Altenpfleger kommen regelmäßig vorbei, genauso wie die Hospizgruppe. Und als das Lokalradio einmal zum 1. April meldete, die Stadt biete auf dem Baldeneysee Seebestattungen an, meldeten sich telefonisch mehrere Interessenten, um zu erfahren, dass es sich um einen Aprilscherz handelte. Der Tod, ein Tabuthema? Mitnichten.

Das Interesse ist ungeheuer groß, berichtet Hans-Joachim Hüser, Abteilungsleiter bei Grün und Gruga und dort zuständig für das Bestattungswesen. Wie groß, das erfahren sie regelmäßig im Krematorium am Hellweg, wo sie jeden Monat Führungen für die Öffentlichkeit anbieten.

Krematoriums-Leiter Reinhold Velten überwacht den Einäscherungsvorgang am Monitor.
Krematoriums-Leiter Reinhold Velten überwacht den Einäscherungsvorgang am Monitor. © Foto: Svenja Hanusch

Nach acht bis zehn Jahren ist ein Ofen sanierungsbedürftig

Reinhold Velten, der Leiter des Krematoriums, hat etwas zu zeigen: Die Ofenlinien 1 und 2 wurden von Grund auf saniert, letztere in diesem Jahr. 890.000 Euro hat Grün und Gruga sich das kosten lassen. Die Investition war nötig geworden.

Denn nach acht bis zehn Jahren – oder rechnerisch 20.000 Einäscherungen – ist ein Ofen durch. 5000 Einäscherungen sind es pro Jahr im Krematorium am Hellweg. Seit 1977 ist es in Betrieb, zunächst als Ergänzung zum Krematorium am Südwestfriedhof, das 1989 mangels Filteranlage stillgelegt wurde.

Pro Jahr zählt das Krematorium am Hellweg etwa 5000 Einäscherungen

Zwei von drei Beerdigungen in Essen sind mittlerweile Urnenbestattungen. Weil das Krematorium die ständig steigende Zahl an Einäscherungen nicht mehr bewältigen konnte, ohne Angehörigen lange Wartezeiten zuzumuten, erweiterte Grün und Gruga die Anlage am Hellweg 2005 um eine dritte Ofenlinie. Mit der Änderung des Bestattungsgesetzes öffnete sich der Markt auch für private Konkurrenz. Die Zahl von 8000 Einäscherungen sank auf etwa 5000 pro Jahr. Dort hat sie sich eingependelt. Das Einzugsgebiet beschränkt sich nicht nur auf das Stadtgebiet. Auch aus Mülheim, Oberhausen und Gelsenkirchen kommen Bestatter nach Essen.

Dass das Krematorium günstiger einäschere als Private, berichtet Hans-Joachim Hüser durchaus mit Genugtuung. 314,16 Euro verlangt Grün und Gruga für eine „Einfahrt“. Anderswo seien es bis 440 Euro. Bestatter würden sogar mit Provisionen gelockt. „Das Geschäft ist hart geworden“, sagt Hüser.

Von alldem merkt der Besucher nichts, wenn er das Foyer betritt. Am Empfang liegt ein dickes Buch. Es sieht aus wie ein Gästebuch in einem Hotel. Hier wird notiert, wen die Bestatter zur Einäscherung bringen.

Führungen durch das Krematorium

Das Krematorium am Hellweg bietet einmal im Monat Führungen für die interessierte Öffentlichkeit an. Die Teilnahme ist kostenlos. Nächster Termin ist Dienstag, 3. Dezember, um 15 Uhr. Anmeldungen nimmt Grün und Gruga unter 88 67 612 und 500 654 entgegen.

Nach Vereinbarung sind auch Führungen für interessierte Gruppen möglich.

Hinter einer Schiebetür stehen aufgereihte Särge. Die Raumtemperatur beträgt acht Grad. „Lange Wartezeiten gibt es nicht. Wir äschern zeitnah ein“, berichtet Reinhold Velten. Sobald alle Papiere vorliegen und der Gerichtsmediziner den Verstorbenen nach der zweiten Leichenschau zur Einäscherung freigibt, kann es losgehen.

Die Einäscherung bei bis zu 1200 Grad läuft im Essener Krematorium vollautomatisch

Der Verbrennungsprozess ist voll automatisiert. Eingeäschert wird bei bis zu 1200 Grad.
Der Verbrennungsprozess ist voll automatisiert. Eingeäschert wird bei bis zu 1200 Grad. © Foto: Svenja Hanusch

Die „Einfahrt“ läuft dann vollautomatisch. Eingeäschert wird bei 650 bis 1200 Grad. Und das bis zu 25 Mal pro Tag. Der Verbrennungsprozess dauert zwischen eineinhalb und zweieinhalb Stunden.

Viel übrig bleibt da nicht. Metallgriffe vom Sarg oder auch künstliche Gelenke aus Metall werden aus der Asche geholt. Alles andere bleibt drin. „Es gibt Anbieter, die Edelmetalle mittels Zentrifugalkraft herausfiltern“, berichtet Hans-Joachim Hüser. „Wir machen so etwas nicht.“ In die Urne kommt noch ein nummerierter Schamottstein zur Identifikation des Verstorbenen.

Der Blick in den Ofen bleibt Besuchern verwehrt

Vieles, was Reinhold Velten und seine Kollegin Corinna Habner den Besuchern erzählen, klingt sehr technisch. Das Interesse an Führungen sei aber wohl auch deshalb so groß, weil sich Teilnehmer trauen Fragen zu stellen, die sie sich sonst lieber verkneifen.

Der Blick in den Ofen bleibt ihnen allerdings verwehrt. Zuviel will man den Besuchern nicht zumuten. Sind zuweilen doch auch Schwerstkranke darunter, die wissen wollen, was sie nach dem Tod erwartet.