Essen. Festival „Next Level“ macht Zeche Zollverein zum digitalen Erlebnisparcours. Fans und Fachleute probieren Games im Kontext von Kunst und Politik.
Man kann sich die Welt des digitalen Spiels auch als große Sporthalle vorstellen: mit dicken Turnmatten, Holzbänken und Springbock. Klingt so gar nicht nach dem Klischee vom menschlichen Nachtschattengewächs, das sein Leben im Kampf gegen schießwütige Söldner und Flugdinosaurier verdaddelt? Soll es auch nicht. Das Festival „Next Level“ beschäftigt sich mit virtuellen Welten im Kontext von Kunst, Kultur und Politik. Nach Stationen in Köln, Dortmund und Düsseldorf macht „Next Level“ in diesem und den kommenden zwei Jahren Station auf der Zeche Zollverein.
Vom 29. November bis 1. Dezember können Gamer, Medienkünstler und Kulturverantwortliche, aber auch Eltern, Schüler und Pädagogen mitspielen, ausprobieren und beispielsweise beim Tänzeln auf der Slagline ihr Gleichgewicht finden. Der Parcours „Balancing Acts“ von Sebastian Quack und Nina Lund Westerdahl mit seinen spielerischen Stationen zu Fragen von sozialer Manipulation, wirtschaftlicher Instabilität und ökologischem Gleichgewicht ist beispielhaft für das vom Kultursekretariat NRW mit unterschiedlichen Partnern realisierte Festival.
Computerspiele sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen
Bei der Gründung vor zehn Jahren habe es noch Naserümpfen gegeben. „Dass Games inzwischen als Kulturtechnik in weiten Teilen angekommen sind, dazu haben wir einen Beitrag geleistet“, glaubt Christian Esch, Direktor des Kultursekretariat NRW. Zusammen mit der Stadt Essen, der Stiftung Zollverein und Partnern wie Innogy will man in Essen das künstlerische, aber auch das soziale Potenzial von Computerspielen vermitteln. Der Festival-Etat beläuft sich im ansehnlichen sechsstelligen Bereich: Auch wenn es hier ausdrücklich nicht um die kommerzielle Nutzung und Vermarktung neuer Onlinespiele geht, sondern um das Entdecken der digitalen Spielwiese als kommunikatives Gemeinschaftserlebnis.
In Essen geht es um die Klimakatastrophe und Verführungstechniken
Während sich Computerspiele wie Lichenia mit Städtebau im Angesicht der Klimakatastrophe beschäftigt, nimmt Angela Washko in ihrem Dating-Simulator die Verführungstechniken männlicher Aufreißer aufs Korn. Es geht viel um gesellschaftliche Themen, aber manchmal auch nur um einen Wassertropfen im schwerelosen Raum, der nicht größer werden darf. Tobias Bohn hat die App als Gegenentwurf zu den Lauter-Schneller-Besser-Spielen entworfen. „Ich wollte, dass einmal etwas klein bleiben muss, um zu gewinnen“, erklärt der Mediendesign-Student aus Dresden.
Dass man Experimente wie diese auf einem Festival wie „Next Level“ wagen kann, weiß auch Lizvlx vom Künstlerduo Übermorgen, das sein Live-Spiel „They Oh!K“ zusammen mit Studenten der Ruhr Uni Bochum entwickelt hat. „Im Vergleich zu anderen Festivals sind die Besucher hier total offen“, hat die Computerfachfrau festgestellt. Über WhatsApp-Gruppen können die Besucher bei „They“ mitmischen, um das große K mit Informationen zu füttern. Schließlich gehe es nicht mehr um die Frage, ob wir Künstliche Intelligenz wollen oder nicht, sagt Lizvlx, „sondern nur darum, welche Künstliche Intelligenz“. Je mehr sich daran beteiligen, desto besser.
Essener Schulen sind an Workshops beteiligt
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Jenseits des aktiven Teils in den Zollverein-Hallen 12 und 6 wird aber auch diskutiert: Über das Thema „Games & Rechtsradikale Communities“ beispielsweise, das Fahrt aufgenommen hat, als Bundesinnenminister Horst Seehofer die Anschläge von Halle mit der Gamer-Szene in Verbindung gebracht hat. Oder über die Frage, wie Schulen schneller digital aufrüsten können.
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Die Bertha-Krupp-Realschule und das Gymnasium Werden sind an Workshops beteiligt, die Zusammenarbeit mit Essener Schulen soll weiter ausgebaut werden. „Besser und spannender als in diesem Format könnte der kulturelle Bildungsauftrag nicht ausgestaltet sein“, sagt Romana Milovic vom Essener Kulturbüro. Auch die Stiftung Zollverein erhofft sich mit „Next Level“ eine Verjüngung des Publikums auf dem Welterbe, das nun auch zum digitalen Zukunftsort werden will, sagt Theodor Grütter vom Vorstand der Stiftung Zollverein. Bei aller Lust am Diskurs soll das Zocken aber nicht zu kurz kommen. „Spaß haben und denken“, so Christian Esch, „ist ja eigentlich kein Widerspruch.“