Essen. Der gefeierte Choreograf William Forsythe hat eine Installation für das Museum Folkwang entwickelt, die erst durch die Aktion der Gäste entsteht.
Den Kopf nach links biegen, einmal mit den Augen rollen und dann locker mit den Armen schwingen. Wer die künstlerische Arbeit von William Forsythe erleben will, der muss schon selber aktiv werden. Fast 30 Jahre lang hat der gebürtige Amerikaner von Frankfurt aus als Choreograf Tanzgeschichte geschrieben. Inzwischen bringt er kein Ensemble mehr zum Tanzen, sondern choreografiert mit seinen „Instructions“ die Bewegungen des Publikums. „Acquisition / Körperschaft“ heißt seine aktuelle Intervention, die William Forsythe vom 22. November bis 1. Dezember im Museum Folkwang präsentiert. Wer mitmacht, wird zum Teil eines Kunstwerkes, das nur in der Handlung des jeweiligen Akteurs besteht.
Ein Raum wie „das Arbeitszimmer eines Millionärs“
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Während es im kommerziellen Kunstbetrieb doch dauernd um Produktion und Wertsteigerung geht, kreiert der weltbekannte Choreograf in Essen so etwas wie ein Werk ohne Wert, zumindest ohne materiellen. Es ist gar nicht so sehr eine Reaktion auf die postmaterialistischen Bewegungen unser Zeit. Für Forsythe ist es vor allem auch eine Art von kreativem Protest gegen all die steuerrechtlichen Klauseln und Hürden, die es ihm gar nicht erlauben würden, eine Arbeit einfach so an ein Museum weiterzugeben, bedauert der Tanzerneuerer. „Ich bin meine Werke“, hat Forsythe also beschlossen. Punkt. Aber weil der 69-Jährige nicht überall gleichzeitig sein kann, hat er Franziska Aigner, Tilman O`Donnell und Rachel Walton als Kunst-Vermittler mitgebracht, die das Publikum im Gartensaal des Museums erwarten. Der elegante Raum mit den gläsernen Wänden habe ihn inspiriert: „Wie das Arbeitszimmer einen Millionärs“, lächelt Forsythe. Aber seine Kunst soll für jedermann sein. „Das Werk kann nicht verkauft werden. Es muss erarbeitet sein“, erklärt Forsythe.
An diesem Vormittag ist ein Tross von Ehrenamtlichen des Museums dabei, die sich von Forsythe erklären lassen, wie man das Publikum dazu ermuntert, das Zusammenspiel von Raum, Zeit und Körper am eigenen Leibe zu erkunden. Um dabei möglicherweise schnell auf die Begrenzungen der eigenen motorischen Fähigkeiten zu stoßen. Zwar hat der 69-Jährige in Essen keine Turnringe aufgehängt wie in der kraftraubenden Biennale-Installation „The Fact of Matter“, an der sich der Besucher durch den Raum hangeln musste. Doch die vermeintlich simplen Anleitungen, die Forsythe mit einem fast unsichtbaren, aber hohen konzeptionellen Aufwand für das Museum Folkwang erstellt hat, sind nicht ohne kognitiven Reiz. Wer das erste Mal mit der Hand von Knie zu Knie und Schulter und Schulter tippt und dabei Farben aufsagt, spürt rasch Forsythes Anspruch an die Choreografie des Denkens.
An fünf Stationen sind die Bewegungsanleitungen auf Boden und Wände des Museums geschrieben, dazu gibt es kunstvoll gestaltete Aufgabenhefte, die mit ihren geometrischen Formen und Bewegungsskizzen schon wieder ein Kunstwerk für sich sind.
Forsythes Installationen wenden sich nicht nur an ein Fachpublikum
Forsythe, der heitere Kunstgattungs-Grenzgänger, hat sein Wirken früh von der Bühne ins Museum übertragen. Mit seinen „Choreographic Objects“ wurde Partizipation zum spielerischen Erlebnis, das sich nicht nur an ein Fachpublikum wendete. Mancher mag sich an sein Pendelballett („Nowhere and Everywhere at the Same Time“) erinnern, das Folkwangs Ausstellungssaal 2013 zum Hindernisparcours mit wild schwingenden Senkbleien macht.
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2019 ist der Choreograf gleich mit acht Interventionen im Museum Folkwang vertreten. Vor seiner Video-Arbeit „City of Abstracts“ im Museumsfoyer bilden sich oft Menschentrauben, die sich von der Kamera mit Elan und Neugier ins Bild setzen lassen. Für den leidenschaftlichen Museums-Mobilisierer das perfekte Entree: „Man geht mit einer anderen Einstellung ins Haus.“
„Acquisition / Körperschaft, 22. November bis 1. Dezember im Museum Folkwang, Museumsplatz. Eintritt frei. Vom 29. November bis 1. Dezember zeigt Pact Zollverein, Bullmannaue, parallel ein Film- und Installationsprogramm sowie ein eigens für Pact konzipiertes Werk (›Himmel & Hölle‹) von William Forsythe.