Essen. Zuerst die Hassvideos, nun ein Prozess in Beirut: Auch Clan-Mitglieder aus Essen gehen gegen den Islamwissenschaftler Ralph Ghadban vor.

Die Behauptung, Mitglieder arabisch-libanesischer Clans seien tief in die organisierte Kriminalität verstrickt und würden Deutschland als Beutegesellschaft betrachten, gehört längst zum Standard-Repertoire des Islamwissenschaftlers Ralph Ghadban („Arabische Clans – die unterschätzte Gefahr“). Aber erst als er dasselbe – auf Arabisch – in einem Interview mit dem libanesischen TV-Sender LBC in diesem Frühjahr aussprach, brach hierzulande ein Sturm der Entrüstung aus: auch bei einflussreichen Clan-Mitgliedern in Essen. Ihre handfesten Bedrohungen, Beleidigungen und Verwünschungen beschäftigen die Berliner Justiz, wobei die Rollenverteilung so aussieht: Ghadban ist Opfer, Clan-Mitglieder sind Beschuldigte. In einem anderen Gerichtsverfahren im weit entfernten Beirut geht’s um denselben Fall, dort allerdings unter umgekehrten Vorzeichen.

Moderator Malek Maktabi vom libanesischen Sender LBC interviewte Ralph Ghadban und präsentierte dessen Buch „Arabische Clans“. Clan-Mitgliedern in Essen reagierten darauf mit Hass-Videos.
Moderator Malek Maktabi vom libanesischen Sender LBC interviewte Ralph Ghadban und präsentierte dessen Buch „Arabische Clans“. Clan-Mitgliedern in Essen reagierten darauf mit Hass-Videos. © OH

Dort sind Ralph Ghadban und der bekannte libanesische TV-Moderator Malek Maktabi angezeigt worden wegen Verleumdung und übler Nachrede. Ein Gericht in Beirut wollte vor gut vier Wochen den ersten Versuch unternehmen, in die Causa Ghadban einzusteigen. Doch die Wahrheitsfindung erwies sich als gar nicht so einfach. Als bei der ersten Anhörung am 10. Oktober auffiel, dass der in Berlin lebende Buchautor und Publizist gar nicht benachrichtigt worden war, klappte der Richter den Aktendeckel wieder zu – und verschob das Verfahren kurzerhand auf Ende März 2020.

Hass-Video: „Wir finden dich, egal wo du bist. Und wir werden auf deinen Kopf treten“

Eine breit angelegte Unterschriftenaktion von Clan-Mitgliedern, so genannten Mhallami aus Essen und Berlin, soll dieses Gerichtsverfahren in Gang gebracht haben. Dem Vernehmen nach sollen die hier Lebenden zwei Vereine im Libanon damit beauftragt haben, Ghadban und den LBC-Journalisten zu verklagen. Ghadban wirft kriminellen Mitgliedern arabischer Clans im Ruhrgebiet und in Berlin „Bereicherung durch Kriminalität“ vor, Bereicherung durch Drogenhandel, Zuhälterei und Einbrüche. Hierzulande illegal verdientes Geld werde in Geschäfte und Villen im Libanon investiert, wo man sich als seriöse und erfolgreiche Kaufleute inszeniere.

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Ein gutes Dutzend Hassvideos, die meisten verbreitet über den Messaging-Dienst Whatsapp und rege im Umlauf, dokumentieren die schäumende Wut der Clan-Leute. In Essen sagte ein gewisser H., Bruder eines zu langen Haftstrafen verurteilten Kriminellen, an Ghadban gerichtet: „Wir finden dich, egal wo du bist. Und wir werden auf deinen Kopf treten.“

Der Patriarch drohte: „Seid gnadenlos mit ihm, überall wo Ihr ihn trefft“

Ghadban, der auch Monate nach diesem kollektiven Wutausbruch immer noch unter Polizeischutz steht, hat gegen drei Personen Strafanzeige erstattet. Zwei von ihnen spielen in der in Essen und Berlin ansässigen Familien-Union eine maßgebliche Rolle. Einer von ihnen soll gesagt haben: „Seid gnadenlos mit ihm, überall wo Ihr ihn trefft.“

Ein Sprecher der Berliner Staatsanwaltschaft bestätigte die seit Monaten laufenden Ermittlungen gegen die mutmaßlichen Autoren der Hass-Videos, wollte allerdings keine Details zum aktuellen Stand des Verfahrens nennen.

Nachdem bekannt wurde, dass die Stadt Essen wie auch die Arbeiterwohlfahrt die Zusammenarbeit mit der Familien-Union in Integrationsfragen längst eingestellt hat, richtete der Familien-Verbund einen Offenen Brief an den Essener Oberbürgermeister mit dem Satz: „Wir sind nicht kriminell.“ Dem Berliner Islamexperten Ghadban wirft der Verband vor, „libanesisch-kurdische und arabische Familien pauschal zu kriminalisieren“.