Essen. Die Komödie „Abschiedsdinner“ feierte im Theater im Rathaus in Essen Premiere mit einem glänzend aufgelegten Hauptdarsteller Martin Semmelrogge.

Freunde, das sagt ein altes Sprichwort, sind die Familie, die man sich aussuchen kann. Doch über die Jahre können sich die langjährigen Freundschaften zu lästigen Pflichtterminen entwickeln. Wenn sich die einstigen Weggefährten auseinandergelebt haben, bleiben nichts als die Gewohnheit und die Rituale aus Abendessen und Smalltalks. Damit will Pierre (Marko Pustišek) Schluss machen, als ihn seine Frau Clote (Mariella Ahrens) zu einem Abendessen mit Arbeitskollegen entführen will.

„Warum gehen wir zu Einladungen, wo wir hoffen, die Leute sagen ab?“, fragt Pierre. Und weiß zu argumentieren, wie viel Lebenszeit den beiden berufstätigen Eltern diese Freundschaftspflege raubt: 35 Prozent des Jahres gingen dafür drauf, rechnet Pierre vor, „für so eine langweilige, abgeschmackte Gesellschaft“. Sein Lösungsvorschlag: ein Abschiedsdinner. Die Idee, die er von einem Bekannten aufschnappte: ein feierliches Lebewohl inszenieren.

Die Krux an der Sache: Die Freunde sollen gar nichts davon wissen, dass es ihr letztes gemeinsames Treffen ist. Auserkoren hat Pierre für diesen Plan seinen Jugendfreund Antoine. Ihn will das Paar heute zum letzten Mal treffen. Zu weit haben sich ihre Lebensentwürfe entfernt, zu nervtötend sind seine mäandernden Anekdoten. Und: „Das Schlimmste ist diese Stimme!“, beklagt Clote.

Martin Semmelrogge ist die Rolle des Antoine auf den Leib geschneidert

Und wenige Minuten später erklingt diese nölige Stimme, die Martin Semmelrogge (u. a. bekannt aus „Das Boot“) diesem Antoine verleiht. Semmelrogge gilt als ausgewiesener Schauspiel-Fachmann für die schrägen Vögel wie etwa den alkoholabhängigen Schlucke im Kultfilm „Bang Boom Bang“. Die Rolle des Antoine scheint ihm also wie auf den Leib geschrieben zu sein. Etwa wenn er ein extravagantes Lachen los mäht, als ertönte da ein Schaf auf Crack.

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Marko Pustišeks Pierre ist die dezente Abneigung ins Gesicht geschrieben, als der Jugendfreund eintritt. Mit jugendlicher Cap und einem schäbigen, beigen Mantel, den er mit einem Obdachlosen getauscht hat. Der abgetragene Stofffetzen versprüht erst mal einen muffigen Gestank im schicken Apartment. Welten trennen den erfolgreichen Verleger Pierre von diesem Jugendfreund Antoine, der sofort plappert. Über sein zehnjähriges Doktorarbeitsprojekt mit einem exotischen Nischenthema, den Darmkrebs seines langjährigen, bulgarischen Psychoanalytikers oder die „Body Language“-Performance seiner Freundin.

Das „Abschiedsdinner“ spielte schon auf vielen Bühnen

Erfolgsorientierter, bürgerlicher Intellektueller trifft auf exzentrischen Taugenichts, dem das Lebensmanagement misslingt. Kann eine Freundschaft diese zwischenmenschliche Kluft überwinden? Diese Gegensätze und Fragen greifen die beiden französischen Autoren Matthieu Delaporte und Alexandre de La Patellière in ihrer Komödie unterhaltsam auf. „Abschiedsdinner“ wurde seit der Uraufführung 2014 in Paris mittlerweile auf unzähligen deutschsprachigen Bühnen adaptiert. Nun inszeniert der Schauspieler und Kabarettist Jochen Busse (bekannt aus der Fernsehshow „Sieben Tage, sieben Köpfe“) die Gegensätze für das Theater im Rathaus.

Doch der Schlagabtausch dieses ungleichen Trios plätschert an diesem knapp zweistündigen Abend zunächst auf souveränen Sitcom-Format vor sich hin. Bis Antoine den Plan eines Abschiedsdinners durchschaut. Erst ist der Freund beleidigt, schließlich schlägt Antoine eine Therapie vor, um die Freundschaft zu retten. Beide tauschen Rollen und Kleider. Sie spielen sich nun gegenseitig. Was sich als Klamauk-Steilvorlage entpuppt: Pustišek und Semmelrogge treten in Höchstform auf, wenn sie sich als Freunde gegenseitig nachäffen.