Essen. Mit „Einer flog über das Kuckucksnest“ ist der Studio-Bühne in Kray ein Meisterwerk gelungen. Ein spielfreudiges Ensemble sorgt für Gänsehaut.

Bühnenadaptationen bekannter Filme sind oft ein Wagnis – so zeugt es von einigem Mut, dass die Studio-Bühne mit „Einer flog über das Kuckucksnest“ einen echten Leinwandklassiker nach Kray holt. Dass Regisseurin Kerstin Plewa-Brodam jedoch gar nicht daran denkt, mit ihrer Inszenierung im Schatten der Vorlage zu stehen, wird dem Premierenpublikum von der ersten Sekunde an klar.

Es folgen etwas über zwei Stunden, in denen Theater so ist, wie es sein soll: packend, emotional, mitreißend bis zum Schlussapplaus. Mit unfassbarer Detailverliebtheit zeichnet Plewa-Brodam den Mikrokosmos der psychiatrischen Station, die Rebell McMurphy ordentlich aufmischt. Als einziger der Patienten ist er gesund, täuscht jedoch eine Spielsucht vor, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen. Bald schon gerät er mit der tyrannischen Oberschwester aneinander, die die Station mit harter Hand führt. Doch das bleibt nicht ohne Konsequenzen.

Bei einigen Szenen des Stücks kicherte das Publikum

Regisseurin Kerstin Plewa-Brodam hat einen Leinwand-Klassiker auf die Bühne geholt – und eine überzeugende Inszenierung abgeliefert.
Regisseurin Kerstin Plewa-Brodam hat einen Leinwand-Klassiker auf die Bühne geholt – und eine überzeugende Inszenierung abgeliefert. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Aufrüttelnde, teilweise verstörende Momente wechseln sich ab mit Szenen, in denen man sich ein Kichern kaum verkneifen kann. Die Patienten der Anstalt werden niemals auf ihre Erkrankung reduziert, sondern als Opfer eines Systems gezeigt, das sie einerseits verabscheuen, andererseits stillschweigend mittragen. Dabei ist die Stationsgemeinschaft ein basisdemokratisches Abbild der Gesellschaft, mit Wortführern, Rebellen, Mitläufern und Verrätern.

Immer wieder wird deutlich: Es ist nicht allein das Zugrundegehen an einer menschenunwürdigen Behandlung, sondern auch die erlernte Unfähigkeit, das eigene Schicksal in die Hand zu nehmen, woran die Patienten scheitern. Die eigene Stimme und die eigene Stärke wiederzugewinnen, ist ein Bild, das sich als roter Faden durch den Abend zieht und sich vor allem in der Figur des Bromden (kongenial: Kalle Spies) kristallisiert.

Ungefilterte Emotionen auf der Bühne

Überhaupt verdankt die Inszenierung ihre Intensität vor allem der außergewöhnlichen Leistung des Ensembles. Jede einzelne Figur ist bis zur kleinsten Bewegung mit teilweise beängstigender Perfektion choreographiert, die Akteure haben ihre Rollen offensichtlich förmlich aufgesogen. Es wird gebrüllt, geweint, gelacht, geliebt – bei Plewa-Brodam sind die Emotionen rau, ungefiltert und oftmals in ihrem Ungestüm erst so mitreißend: Die daraus entstehende Lebendigkeit erzeugt immer wieder eine wohlige Gänsehaut.

Der minutenlange Schlussapplaus mit stehenden Ovationen ist die verdiente Belohnung für einen Abend, der nachhallt – und in der Essener Theaterlandschaft seinesgleichen suchen dürfte. Für die Vorstellungen sind noch Karten erhältlich unter Telefon 0201/ 551505 oder www.studio-buehne-essen.de