Essen. Das „Café Philosophique“ der VHS Essen wird 20 Jahre alt. Warum manche Bürger immer wieder hingehen – und den Alltag philosophisch betrachten.

Das „Café Philosophique“ der Volkshochschule (VHS) feiert 20. Geburtstag. Seit 1999 lädt die VHS alle interessierten Bürger 14-tägig zu philosophischen Gesprächen ins Kulturforum nach Steele ein. Es heißt „Café Philosophique“, weil die Idee aus Paris stammt: Menschen treffen sich, um über Themen nach Wunsch zu diskutieren, nach festgelegten Regeln, mit einem Moderatoren.

„Das Café ist eine absolute Bereicherung für mein Leben“, sagt Martin Stoppok (67), der die Veranstaltung seit 2003 regelmäßig besucht und somit zu den treuesten Besuchern zählt. Der ehemalige Mediziner, der lange als Anästhesist gearbeitet hat, ist nicht durch Zufall auf das „Café Philosophique“ aufmerksam geworden. „Sondern das lag am 11. September 2001.“

Er wurde nachdenklich darüber, wie wir miteinander umgehen

Er beendete gerade seinen Dienst im Krankenhaus, da kam ein Kollege in den Umkleideraum und meinte: „Da läuft im Fernsehen ein ganz komischer Spielfilm.“ Er hatte bei einem Patientengespräch nur am Rande die Bilder von den einstürzenden Zwillingstürmen verfolgt, ohne Ton, und als Martin Stoppok dann im Auto saß, um nach Hause zu fahren, das Radio anmachte, da begriff er, dass das kein Spielfilm gewesen war, der da im Fernsehen lief.

Martin Stoppok
Martin Stoppok © Martin Spletter | Martin Spletter

Was nach dem 11. September folgte, veranlasste den Mediziner dazu, „darüber reden zu wollen, wie wir eigentlich miteinander umgehen.“ Es ging weniger um die eigentlichen Anschläge, sondern um das Klima, das plötzlich entstand, nach dem Motto: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“ Stoppok erinnert sich: „Wer damals nachdenklich war, wurde ja fast zum Staatsfeind erklärt.“

Beim „Café Philosophique“ können alle Gäste zu Beginn Themenvorschläge machen. Am Ende wird eins ausgewählt. „Zu den Veranstaltungen, die mich am meisten bewegt haben“, erinnert sich Stoppok, „zählt eine Runde über Demokratie.“ Denn damals nahm sich der Moderator das Recht heraus, das Thema vorzugeben – nämlich: Was ist eigentlich Demokratie? Was wiederum manche Besucher als zutiefst undemokratisch empfanden. Schon entstand eine lebhafte Debatte.

Vom Konkreten zum Allgemeinen

„Der Moderator ist immer philosophisch geschult und hat die Aufgabe, das Thema vom Konkreten zu allgemeinen philosophischen Fragestellungen hin zu lenken“, erklärt Günter Hinken, Programmbereichsleiter „Politik“ bei der VHS. Diskutiert wird dann mit Rednerliste, die einzelnen Beiträge dürfen nicht zu lang sein, und wer sich zum ersten Mal meldet, kommt sofort an die Reihe – das verhindert, dass immer dieselben Gäste eine Insider-Debatte anfangen.

Martin Stoppok, der eine erwachsene Tochter hat, erinnert sich daran, dass er mal in die Runde geworfen hat: Sein Kind ernährt sich vegetarisch. „Wir haben darüber gesprochen, ob man Tiere töten und essen darf.“ Und wie bei allen Themen stellt sich der erhellende Effekt ein: „Jedes Thema ist komplexer, als man denkt, und nachher hat man immer das Gefühl, zu wenig über etwas zu wissen.“ Wobei: „Ohne zwei bis drei Lese-Empfehlungen geht man nicht hinaus.“ Entsprechend sei das „Café Philosophique“ vor allem Anregung, nicht Lehrstunde. „Antworten“, sagt Günter Hinken, „muss jeder selbst finden. Es geht eher um die Kunst des Fragenstellens.“

6000 Gäste in 20 Jahren

Das Café Philosophique der VHS in Essen zählt nach Angaben der Volkshochschule zu den ältesten in Deutschland. Alle zwei Wochen werden im Kulturforum Steele alltagsphilosophische Themen behandelt: Fragen des menschlichen Zusammenlebens, die Bedeutung von Glück, Liebe, unser Verhältnis zur Natur. Das Café Philosophique haben in Essen ins Leben gerufen der damalige VHS-Studienleiter Dieter Hahnheiser und der ehemalige Leiter des Ruhrkollegs, Johannes Krieger.

Innerhalb der letzten 20 Jahre gab es ca. 6.000 Teilnahmen beim Café Philosophique.

Zum 20. Geburtstag findet das „Café Philosophique“ nicht im Kulturforum statt, sondern in der VHS am Burgplatz. Sonntag, 29. September, 11 Uhr. Es spricht Philosophie-Experte Ekkehard Martens über die Unterschiede zwischen Alltags- und wissenschaftlicher Philosophie.