Essen. Theaterkollektiv Machina Ex verwandelt alte Tanzschule in eine Amtsstube. Publikum ist gefordert, in einer Welt unlesbarer Formulare klarzukommen

Unterschreiben Sie hier! Wenn der Zuschauer bei der nächsten Premiere des Schauspiel Essen ein Formular zugeschoben bekommt, dann wird er vor einer echten Herausforderung stehen. Die Papiere, die das Berliner Game-Theater-Kollektiv Machina Ex für ihr Projekt vorbereitet hat, sind nämlich kaum lesbar. Verfügungen, Erlasse, Bescheide – was schon für Menschen, die lesen und schreiben können, eine Herausforderung ist, wird für Menschen ohne Schreib- und Lesekenntnisse zum Albtraum. Dieses Gefühl der absoluten Ausgrenzung soll „Sign Here“ vermitteln. Dafür macht „Machina Ex“ aus dem Behördengang in Essen ein kurzweiliges Game-Theater. Und der Zuschauer spielt eine Hauptrolle.

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Die vermeintliche Behörde ist eine alte Tanzschule an der Maxstraße. Produktionen wie „Skin Deep Song“ und das digitale Stadterkundungs-Spiel „Der Spalt“ haben diesen fast vergessenen Ort mit seinem verlebten Charme schon zum besonderen Erlebnisraum gemacht. „Sign Here“ hat in dem abgetakelten Saal mit seinem staubigen Interieur einen idealen Spielort samt Amtsarztzimmer und Ruheraum gefunden: Mit alten Aktenkofferschränken und Mobiliar aus der Requisite wird der einstige Tanzsaal zum nostalgischen Bürokratendomizil.

Termine fürs Auswärtsspiel

„Sign Here“ hat am Samstag, 28. September, 19 Uhr, in der ehemaligen Tanzschule, Maxstraße 54, Premiere (ausverkauft).

Weitere Termine gibt es am 29. September, 4./5./6. und 10./11./12. Oktober sowie am 14./15./16/17. sowie am 21./22./23./24. November. Tickets (17 Euro) unter 8122-200 www.theater-essen.de

Auf herkömmlichen Theaterbühnen sind die Berliner nicht zu finden, „wir brauchen hierarchiefreie Räume“, erklärt Clara Ehrenwert von Machina Ex. Das Medientheaterkollektiv ist aus den kulturwissenschaftlichen Studiengängen der Universität Hildesheim hervorgegangen. Seit seiner Gründung ist es mit seinem partizipativen Game-Theater an den Münchner Kammerspielen, bei den Schillertagen in Mannheim oder dem Goethe-Institut Washington unterwegs. Das Schauspiel Essen hat sie nun eingeladen, einen Abend zum Thema Analphabetismus zu gestalten.

Die Macher von Machina Ex: Clara Ehrenwerth.
Die Macher von Machina Ex: Clara Ehrenwerth. © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

Wer nun an eine Produktion mit statistischen Zahlen, Fallbeispielen und Bildungsangeboten denkt, wird angenehm enttäuscht. Machina Ex macht kein Theater mit Aufklärungs-Absicht und pädagogischem Zeigefinger. Hier werden keine Zahlen, kein theoretischer Überbau, keine Hintergründe geliefert. Hier soll das Publikum einmal selbst erleben, wie es sich anfühlt, ausgegrenzt zu sein in einer Welt, die über Schrift funktioniert. „Wenn es zu fünf Prozent gelingt, ist schon viel erreicht“, sagt Clara Ehrenwert.

Jeder Behördengänger bekommt eine Startzeit

Um dieses Gefühl der Verlorenheit zu erzeugen, braucht es allerdings eine genau durchgeplante Vorbereitung, denn die Macher müssen mit vielen Eventualitäten rechnen. Wie lange werden die Publikums-Mitspieler über den unterschiedlichen Aufgaben brüten? Welche Hilfestellungen werden sie sich holen? Sind sie geduldig oder aufbrausend? Und wie leitet man ein Publikum durch alle Stationen des Aufgabenparcours, um am Ende ein gemeinsames Finale zu finden? Bis zu 20 Mitspieler pro Abend können mitmachen. Alle zehn Minuten werden fünf neue „Behördengänger“ eingelassen. Wer ein Ticket kauft, bekommt auch einen genauen Starttermin.

Die Macher von Machina Ex: Yves Regenass
Die Macher von Machina Ex: Yves Regenass © FUNKE Foto Services | Socrates Tassos

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Um wirklich niemanden bei „Sign Here“ auszugrenzen, haben die Theater-Gamer auf Lateinische Schrift ganz verzichtet, auch das Programm wird erst im Nachhinein verteilt. Für die Entzifferung der weitgehend unlesbar gemachten Behörden-Texte haben die Spielemacher eine Art Barcode-Reader entwickelt, der aber nur eingeschränkt funktioniert. Viele der zu bewältigenden Aufgaben werden am Ende wohl mittels Audio und Video zu lösen sein.

Vorher bitte eine Wartenummer ziehen!

Und die Behörden-Besucher aus dem Publikum sind nicht allein. Ein vierköpfiges Schauspielteam bildet die Rahmenhandlung, ohne dabei als reine Spielleiter zu fungieren. „Die vierte Wand ist durchlässig, aber immer noch vorhanden“, erklärt Yves Regenass. Ob man also Bea Gerbert, die Prüfkraft für Intelligenz und Krisenwissen, Amtsarzt Dr. Walter und den gestressten stellvertretenden Behördenleiter Zeigner anspricht oder besser nicht, das wird man beim Betreten der Behörde wissen. Und vorher bitte eine Wartenummer ziehen!