Essen. Hennig Baum gratuliert den Waldorfschulen zum 100-jährigen Bestehen. Der Essener Schauspieler nennt seine Schulzeit „Bodybuilding für die Seele“.

Wer verstehen will, was die Waldorf-Pädagogik ausmacht, der bekommt davon am Samstag auf dem Essener Burgplatz eine Idee: Dort feierte eine begeisterte „Waldorf-Familie“ das 100-jährige Bestehen der Waldorfschulen mit Musik, Eurythmie, Tanz – und dem ehemaligen Waldorfschüler Henning Baum

„Jeden Tag bin ich gerne zur Schule gegangen“, sagt der Essener Schauspieler, der auf der Bühne einem Oberstufenschüler Rede und Antwort steht, „dort habe ich schon früh ein Forum erhalten, das mir ganz klar bei meiner Berufswahl geholfen hat.“ Ja, er hätte natürlich seinen Namen tanzen können, „aber wir leben im Ruhrpott. Ich habe auch gelernt, zuzupacken“.

Schauspieler Henning Baum nennt die Waldorfschule „Bodybuilding für die Seele“

Die Schule habe ihn stark und selbstbewusst gemacht, „jeden Morgen haben wir gemeinsam einen Spruch von Rudolf Steiner rezitiert. Das hat uns Kraft gegeben, war Bodybuilding für die Seele“, ist er überzeugt. Und erntet natürlich stürmischen Beifall der über 600 Gäste, darunter viele Eltern, ehemalige Schüler und Lehrer. Die warten auf ein paar Schul-Anekdoten des beliebten Schauspielers, doch „das würde den Rahmen sprengen und strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen“, erzählt Henning Baumund grinst breit unter seiner Pilotensonnenbrille.

Blick von der Bühne auf ein Familienfest in XL am Essener Burgplatz: Zahlreiche Schüler, Eltern, Großeltern und ehemalige Waldorfschüler hörten gebannt zu, wie der Essener Schauspieler Henning Baum (l.) dem Schüler Lukas Schmitz-Peiffer Auskunft über seine Schulzeit gab.
Blick von der Bühne auf ein Familienfest in XL am Essener Burgplatz: Zahlreiche Schüler, Eltern, Großeltern und ehemalige Waldorfschüler hörten gebannt zu, wie der Essener Schauspieler Henning Baum (l.) dem Schüler Lukas Schmitz-Peiffer Auskunft über seine Schulzeit gab. © FUNKE Foto Services | Julia Tillmann

Wie sicher sich nicht nur Henning Baum, sondern offenbar alle Waldorfschüler auf der Bühne bewegen, zeigt das ganze zweistündige Programm: Da wird getanzt, spielt das Orchester Klassik und Pop, präsentiert der schuleigene Zirkus sein Können. Selbst die Jüngsten haben keine Scheu, gemeinsam zu singen. „Wir lernen schon ganz früh, uns vor einer größeren Gruppe zu präsentieren“, sagt die 14-jährige Laura, die Geige im Orchester spielt und, wie Henning Baum damals, gerne zur Schule geht.

Lehrer spricht von einer „Freiheit, die man mit Geld nicht bezahlen kann“

„Deswegen bleiben uns auch viele ehemalige Schüler verbunden, schicken später ihre Kinder und Enkelkinder zu uns“, sagt Bernd Eckhardt, der seit 30 Jahren Englisch und Geschichte unterrichtet. Hier bekämen nicht nur Kinder einen anderen Blick auf die Welt, „auch ich habe an dieser Schule eine Freiheit, die man mit Geld nicht bezahlen kann“.

Geld bezahlen entsprechend ihres Einkommens müssen aber die Eltern, die ihre Kinder auf die Waldorfschule schicken. Es sind Eltern, die sich früh Gedanken über die seelische und intellektuelle Bildung ihrer Sprösslinge machen und die Regelschulen kritisch sehen.

Eines der ersten Elternpaare, die ihre Töchter an der Essener Waldorfschule anmeldeten, ist an diesem Samstag auch dabei: Gisela und Gerd Burggraef sind 92 und 94 Jahre alt und gehören quasi zu den Gründungsmitgliedern der 1972 eröffneten Schule. „Mittlerweile geht unsere Urenkelin in die erste Klasse“, sagt Gisela Burggraef, „diese Schule ist einfach das Beste, was Kindern widerfahren kann.“

Polizei wollte Waldorfschülerin in die Regelgrundschule bringen

Das findet auch Kyra Lübeck: 1973 wurde sie als zweiter Jahrgang in die Waldorfschule eingeschult, „meine Eltern lasen davon in der Zeitung und fanden das Konzept toll“, sagt sie. Wie neu und unbekannt die Schule damals war, zeigte sich kurz nach ihrer Einschulung: „Da stand plötzlich die Polizei bei meinen Eltern vor der Tür und wollte mich zwangsweise in die Stiftsschule bringen.“ Der Waldorfschule ist die 52-Jährige bis heute verbunden, sie arbeitet in der Verwaltung.

Verbundenheit, Vertrauen, Freiheit, Herzensbildung – diese Schlagworte fallen immer wieder bei den Waldörflern. Kritik hört man dagegen gar nicht. Dafür eine Aufforderung, bloß nicht die Wurzeln zu verlassen: „Beugt Euch nicht dem Zeitgeist. Geht behutsam mit dem Erbe Rudolf Steiners um“, lauten auch die Schlussworte von Henning Baum.

Drei Schulen unter einem Dach in Essen-Stadtwald

Die erste Gründung der Essener Waldorfschule war nicht im Jahr 1972, sondern bereits 50 Jahre vorher. 1922 wurde eine Waldorfschule in der Stadt eröffnet. 14 Jahre später wurde sie unter Druck der Nazis geschlossen.

Die heutige Freie Waldorfschule e.V. an der Schellstraße 47 in Essen-Stadtwald besteht aus drei Teilen: Neben der ganzheitlichen Rudolf-Steiner-Schule für Kinder vom 1. bis zum 13. Schuljahr, gibt es noch die Parzival-Schule und den Heliand-Zweig für Kinder mit besonderem Förderbedarf. Weitere Infos unter www.waldorfschuleessen.de