Essen. Behörden sehen gefährliche Entwicklung: Syrer und Iraker bedrängen eingesessene Clans massiv. Die neue Konkurrenz gilt als besonders gewalttätig.

Vor wenigen Jahren noch verdingten sie sich für die Kriminellen unter den Mhallami-Libanesen in Essen. Erledigten niedere Arbeiten. Angeworben direkt vor den Toren der städtischen Flüchtlingsunterkünfte mimten junge Asylsuchende aus Syrien und dem Irak auf den Straßen die Laufburschen im einträglichen Rauschgiftgeschäft eingesessener Clans. Jetzt scheinen die Dienstboten von einst aufzubegehren, wollen ihren „Arbeitgebern“ die Geschäfte streitig machen, sich ein Stück vom kriminellen Kuchen sichern. Die Platzhirsche sind verunsichert.

„Die Mhallami sollen massiv bedrängt werden“, bestätigt Thomas Weise, Sprecher der BAO Clan bei der Essener Polizei. Die Beamten hörten inzwischen viel darüber, bei Einsätzen, von Sicherheitspartnern, in der Szene, sagt der Erste Polizeihauptkommissar. Nicht nur für die Polizei ist dies eine bedrohlich anmutende Entwicklung, auch wenn sie noch ganz am Anfang zu stehen scheint und sich deshalb nicht eindeutig an Straftaten oder glasklaren Indizien festmachen lässt.


Es ist zurzeit eher ein Stimmungsbild, das die Behörden zeichnen, und dennoch mutet es gefährlich an. Zumindest erscheint dem Landeskriminalamt die Entwicklung brisant genug, um in seinem Lagebild „Clankriminalität“ warnend auf das Phänomen hinzuweisen, das sich da ziemlich exklusiv in Essen breit macht.

„Als besonders durchsetzungsstark und gewalttätig wahrgenommen“

Im Mai dieses Jahres durchsuchte die Polizei bei einer Großrazzia gegen eine kriminelle irakische Rockertruppe 49 Objekte in NRW, unter anderem ein Haus an der Frillendorfer Straße in Essen.
Im Mai dieses Jahres durchsuchte die Polizei bei einer Großrazzia gegen eine kriminelle irakische Rockertruppe 49 Objekte in NRW, unter anderem ein Haus an der Frillendorfer Straße in Essen. © Unbekannt | JUSTIN BROSCH


„Die kriminellen Angehörigen türkisch-arabischstämmiger Familienverbände sehen sich in den letzten Monaten einem Verdrängungswettbewerb um kriminelle Märkte ausgesetzt, der durch Personen mit Herkunft aus Syrien beziehungsweise dem Irak forciert scheint. Diese konkurrierenden Gruppierungen werden – auch vor dem Hintergrund teilweise aktueller Kriegserfahrungen – im Milieu als besonders durchsetzungsstark und gewalttätig wahrgenommen“, heißt es da ziemlich unmissverständlich.

Dieser in dem 30 Seiten starken LKA-Papier unter Punkt 11.2 „Perspektiven“ noch sehr allgemein beschriebene Befund ist deshalb ein handfestes Essener Problem, weil die Stadt nicht nur als Hochburg der bekannten Clankriminalität gilt, sondern in den vergangenen Jahren in NRW zusätzlich die mit Abstand meisten Flüchtlinge aus arabischen Ländern aufgenommen hat.


Die jeweiligen Anteile an den illegalen Märkten mögen sich noch verschieben, eine Übermacht der Köpfe in den Quartieren existiert bereits: 15.000 Menschen, die der Gruppe der „Libanesen“ zugerechnet werden, stehen auf dem Hoheitsgebiet der Essener Polizei inzwischen über 20.000 Syrern und Irakern gegenüber. Unter den Neuankömmlingen sind viele junge Männer aus Kriegsgebieten mit teils einschlägiger Waffenerfahrung. „Eben Jungs, die wissen, wie man eine Kalaschnikow anpackt“, ist aus dem Essener Polizeipräsidium zu hören.

Die Polizei wirbt für Präventionsprojekte für die Familien aus Syrien und dem Irak

Natürlich sind sie nicht alle kriminell oder werden es jemals sein. Doch wer bei einer möglichst großen Schar junger Männer verhindern will, dass sie mangels Job und gelungener Integration in die Milieus abgleiten, wird nach all den jahrzehntelangen Erfahrungen mit den arabisch-türkischen Bürgerkriegsflüchtlingen die Notwendigkeit von Präventionsprojekten kaum leugnen.


Die Menschen hüben wie drüben entstammen vergleichbaren und seit Generationen verfestigten familiären Strukturen, die von einer Mauer des Schweigens umgeben sind, um Familienmitglieder gegenüber äußeren Einflüssen abschotten zu können. Die Polizei hat das erkannt: „Wir wissen, dass die Menschen aus Syrien und dem Irak in ähnlichen Clanstrukturen leben und wir haben ein Auge drauf“, sagt Weise.

Großrazzia gegen Al-Salam-Rocker

Eine erste Nase dran an die beginnende Rivalität zwischen einem eingesessenen Clan und einer neuen Macht auf dem Markt bekam die Behörde bereits im Dezember 2017, als mutmaßlich libanesische Schläger eine irakische Teestube an der Burggrafenstraße im Essener Südostviertel zerlegten. Bei den anschließenden Ermittlungen kam die Polizei auf die Spur mutmaßlich gut organisierter Krimineller.


Gegen 34 von ihnen lief im Mai dieses Jahres eine landesweite Großrazzia mit Unterstützung polizeilicher Spezialeinheiten und 800 Einsatzkräften in 49 Objekten. Allein in Essen, unter anderem eben an der Burggrafenstraße, wurden 16 Wohnungen, Hallen und Geschäfte durchsucht, Falschgeld, Drogen und Datenträger sichergestellt.

Waffenverstöße, Rauschgifthandel und Schleuserdelikte stehen im Raum

Unter anderem in diesem Essener Haus durchsuchte die Polizei Räume der irakischen Rockervereinigung „Al-Salam-313“
Unter anderem in diesem Essener Haus durchsuchte die Polizei Räume der irakischen Rockervereinigung „Al-Salam-313“ © dpa | Roland Weihrauch


Einigen Beschuldigten, die sich nach Erkenntnissen der Behörden zum Teil aus einer Rockertruppe namens „Al-Salam-313“ rekrutierten, deren früherer Anführer ausgerechnet der Betreiber der Essener Teestube Muhamad B. gewesen sein soll, werfen die Behörden inzwischen zahlreiche Waffenverstöße, Rauschgifthandel und Schleuserdelikte vor. Zudem sollen Sprachzertifikate für Amtsanhörungen sowie Pässe gefälscht worden sein. Muhamad B. habe die Gruppierung mittlerweile aufgelöst und Essen verlassen, heißt es.

Genauer als das wissen die Ermittler, was tatsächlich hinter dem Überfall auf die Teestube steckte: Ein beginnender Verteilungskampf, bei dem es um die unbedingte Geschäftshoheit für Auftritte von Künstlern und Schutzgelder ging und, wie es ein Ermittler formuliert: „Um richtig viel Geld.“

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