Essen-Steele. Steeler Metzgerei trotzt Trend: In Zeiten von Azubimangel und sinkendem Fleischkonsum baut Otto Velten seinen Betrieb aus, der besteht seit 1873.

Die Vorfahren von Otto Velten hatten nicht nur den gleichen Vornamen, sie erlernten auch alle den gleichen Beruf und führten ein Unternehmen: die Steeler Metzgerei Velten. 1873 gegründet hat das Familienunternehmen eine bewegte Geschichte, zu der Verluste in Kriegszeiten, der Umzug wegen der Sanierung Steeles in den 1970er Jahren und in jüngster Zeit auch ein verändertes Kundenverhalten zählen. Weniger Fleischkonsum und Azubimangel bereiten dem Fleischermeister jedoch keine Sorgen: Der 52-Jährige bietet längst auch vegetarische Gerichte an, erweitert das Ladenlokal und führt aktuell Bewerbungsgespräche – entgegen dem allgemeinen Trend.

Aus der Wurstküche kommt die Fleischereifachverkäuferin Daniela Schmitz mit Nachschub.
Aus der Wurstküche kommt die Fleischereifachverkäuferin Daniela Schmitz mit Nachschub. © FUNKE Foto Services | Martin Horn

Ein Lehrling gehört bereits zum Familienbetrieb, bald könnte ein weiterer in der Wurstküche („ich mache am liebsten Salami“) an der Bochumer Straße 8 stehen. „Wir machen aber nicht nur Wurst, wir kochen auch sehr viel“, beschreibt der Chef den Alltag, denn das Catering gehört zur Fleischerei, seit er diese 1993 vom Vater übernahm. „Als meine Mutter schwer erkrankte, wurde ich bei der Bundeswehr freigestellt, um unsere Existenz zu retten“, blickt er zurück und erinnert sich an andere Zeiten, da das Unternehmen bereits um Haaresbreite vor dem Aus stand. Damals fiel sein Uropa im Krieg, und es war die Großmutter, die den Laden zunächst allein führte, bis der Vater von Otto Velten die Ausbildung abgeschlossen hatte.

100 Jahre lang befand sich die Metzgerei an der Bochumer Straße 81

„Wäre mein Vater nicht drangeblieben, uns würde es wohl nicht mehr geben“, sagt der Sohn. Er selbst hatte nach dem Realschulabschluss nie einen anderen Traumberuf. „Es war wohl die positive Ausstrahlung meiner Eltern“, nennt er einen Grund für seine Entscheidung, die er niemals bereut hat. Für ihn steht nun der zweite große Umbau in der Fleischerei an, die ihren Sitz in den ersten 100 Jahren an der Bochumer Straße 81 hatte. Dann folgte die Sanierung Steeles und der Umzug fürs Unternehmen.

Die Handwerker sind damit beschäftigt, den Innenraum der Fleischerei Velten in Steele auszubauen.
Die Handwerker sind damit beschäftigt, den Innenraum der Fleischerei Velten in Steele auszubauen. © FUNKE Foto Services | Martin Horn

Neu gestaltet wird jetzt der Verkaufsraum, in dem die Kunden neben Fleischwurst und Schnitzeln auch Mittagessen und belegte Brötchen kaufen können. „Den Grill habe ich bereits 2000 eingerichtet“, sagt Otto Velten. Da aber die Nachfrage gewachsen sei, werde der Bereich nochmals erweitert. Auch hier lautet seine Devise: „Ich muss mich nach dem Kunden richten.“ Dazu gehören neben den vegetarischen Gerichten auch der Blick auf die Tierhaltung.

Den Kunden weg von der Massentierhaltung führen

„Ich bin mit Schlachttieren groß geworden“, sagt der Metzgermeister. Von der Aufzucht in bäuerlichen Betrieben bis zur Schlachtung habe er alles von der Pike auf gelernt. „Wenn man aber bestimmte Dinge weiß, kann man nicht mehr so weitermachen“, spricht er die Massentierhaltung an. Er arbeite inzwischen mit einem Kettwiger Bauern und einem Landwirt aus Dorsten zusammen. Freilandhaltung sei ihm wichtig. „Mein Ziel ist es, die Kunden langsam weg von Fleisch aus der Massentierhaltung zu führen“, sagt er zu der Gratwanderung, da die Kundschaft aufs Geld wie auch Qualität achte. Er ist überzeugt, dass Kunden für gute Qualität auch zahlen: „Sie kaufen ja auch teure Autos.“

Ohne die treue Stammkundschaft wäre aber die aktuelle Investition von 250.000 Euro wohl ein noch größeres Risiko. Immerhin sind nicht nur im Essener Stadtgebiet bereits zahlreiche Fleischereien verschwunden. „Noch in den 1960ern gab es in Essen, Oberhausen und Mülheim rund 400 Betriebe“, sagt Otto Velten. Heute sind bei der Fleischerinnung Rhein-Ruhr noch 13 in Essen gemeldet.

Gute Arbeitsatmosphäre und Wertschätzung

Die Vorfahren von Otto Velten (re.), die allesamt den gleichen Namen trugen.   
Die Vorfahren von Otto Velten (re.), die allesamt den gleichen Namen trugen.    © Velten | Foto

Der Steelenser aber expandiert, hofft auf einen weiteren Mitarbeiter und scheut sich nicht, sich und sein Handwerk auf Facebook zu präsentieren. Neue Wege zu gehen, das habe er ja immer schon gemacht. Gleichwohl wisse er um die konservativen Werte, die es benötige, um Mitarbeiter zu gewinnen: „Wichtig sind gute Arbeitsatmosphäre und die Wertschätzung schon Anfängern gegenüber“, sagt Otto Velten. Zudem versichert er, dass niemand um drei Uhr morgens in der Wurstküche stehen müsse. „Das haben schon meine Eltern abgeschafft, wir fangen um 7 Uhr an“, sagt der Chef. Es gibt eine 39-Stunden-Woche, als Einstieg rund 600 Euro und die Chance, als Geselle (ca. 2500 Euro brutto) übernommen zu werden.

„Den Beruf wollen nicht viele machen“, das weiß auch Otto Velten. Schlange stehe dafür heute niemand, aber es stehe eben auch keiner mehr den ganzen Tag am Tisch, um auszubeinen oder an der Maschine, um Wurst abzufüllen. Schweineviertel und bis zu 30 Kilogramm muss man durchaus wuchten können – und man muss seinen Job gern machen.

Zeit zum Rudern bleibt dem ehemaligen zweifachen deutschen Meister

Wiedereröffnung an der Bochumer Straße

Die Metzgerei Velten befand sich ursprünglich an der Bochumer Straße 8, wurde dann durch das Vorhaben der Stadt, den Stadtteil zu sanieren, planverdrängt. Die Familie erhielt ein anderes Grundstück. Seitdem besteht das Familienunternehmen an der Bochumer Straße 8.

Dort wird die Metzgerei nach dem aktuellen Umbau, der seit Mitte des Monats läuft, am Freitag, 30. August, ab 8 Uhr wiedereröffnet.

Dass der Fleischermeister dafür zehn Tage Urlaub im Jahr in Kauf nimmt, die Grenzen zwischen Beruf und Freizeit fließend sind und er wie schon seine Vorfahren gleich über dem Betrieb lebt, für ihn überhaupt kein Problem: „Weil ich das mache, was ich will.“ Regelmäßig gehört dazu, auf der Ruhr ins Boot zu steigen und wie im Beruf Vollgas zu geben – die Zeit nimmt sich der ehemalige zweifache deutsche Rudermeister.

Und während sein Vater in dem Alter bereits aus dem Beruf ausgestiegen ist und dem Sohn die Fleischerei übergeben hat, ist bei Otto V. daran überhaupt nicht zu denken. Ob es dann Otto VI. im Familienbetrieb geben wird, ist ohnehin ungewiss. „Er studiert Geowissenschaften, während sein Bruder Richard eine kaufmännische Ausbildung macht“, sagt der zweifache Vater, für den das völlig in Ordnung ist: „Wenn sie dann beruflich etwas anderes machen wollen, dann sollen sie das tun.“