Juliane Kühne hat an dem Tisch, an dem schon Buchbinderin Frida Schoy vor 85 Jahren arbeitet, auch das von Schoy gestaltete Stahlbuch restauriert.
Handwerk, so heißt es, hat goldenen Boden. Im Falle einer Buchdruckerei muss der Untergrund vor allem auch sehr stabil sein. Die mächtige Presse in der Buchdruckerei Löber, die Juliane Kühne und ihr Mann Peter Puk vor 20 Jahren übernommen haben, wäre nicht so einfach zu verrücken.
Die Presse aber ist nicht das einzige Arbeitsgerät in der Rüttenscheider Werkstatt mit historischem Gewicht. Besonders stolz ist Juliane Kühne auf ihren Arbeitstisch, an dem schon einige wichtige Essener Buchbindemeisterinnen saßen. Die Berühmteste davon ist Frida Schoy, der das Ruhr Museum derzeit mit vielen anderen namhaften Kreativen unter dem Titel „Aufbruch im Westen. Die Künstler der Margarethenhöhe“ eine Ausstellung widmet. Welche Spuren Akteure wie Schoy, Philipp Schardt, Kurt Lewy oder die Goldschmiedemeisterin Elisabeth Treskow um den Künstler Hermann Kätelhön herum in Essen hinterlassen haben, dem wollen wir im Rahmen einer kleinen Serie nachgehen.
Den meisten Essenern dürfte die 1889 in Duisburg geborene Buchbindemeisterin vor allem durch das Stahlbuch der Stadt Essen ein Begriff sein. Frida Schoy hat das Gästebuch mit dem außergewöhnlichen Einband aus Kruppschem Chrom-Nickel-Stahl 1934 entworfen. Dass es – ziemlich ramponiert und renovierungsbedürftig – rund 80 Jahre später in den Händen von Juliane Kühne und damit wieder auf genau dem Arbeitstisch landete, auf dem es auch entworfen wurde, ist eine schöne Laune der Geschichte. Eine, die auch viel mit dem Zusammenhalt und Traditionsbewusstsein dieses Berufes in weiblicher Hand zu tun hat.
Juliane Kühne besitzt den Tisch nun schon in vierter Hand. Frida Schoy hat ihn irgendwann an ihre Nachfolgerin Margret Schulte-Vogelheim weitergegeben, später ging er an die Essener Restauratorin Hilde Große-Heitmeier. Dass der Schwerpunkt der Buchbindekunst heute bei Restaurierungsarbeiten liegt, lässt sich in Zeiten von Self-Publishing und E-Book leicht nachvollziehen.
Sie bindet auch Chroniken und Gästebücher
Auch Juliane Kühne kann ihr Hauptaugenmerk heute nicht mehr auf die reine Buchgestaltung legen: „Die bibliophilen Kreise werden kleiner“, bedauert die 55-Jährige. Das Binden von Fachzeitschriften für Rechtsanwälte oder ähnliche Berufsgruppen sowie das Binden von Zeitungsbänden fürs Archiv gehören heute zum Broterwerb. Dann gibt es noch Hochzeitsalben, Familienchroniken oder Gästebücher, die nach einer kreativen Gestaltung verlangen.
Als sich Frida Schoy 1926 mit einer eigenen Werkstatt auf der Margarethenhöhe selbstständig macht, fertigt sie auch noch edle Etuis, Dosen, Schatullen und andere Gebrauchsgegenstände. In der Zentralwerkstatt der in den 1920ern entstehenden Künstlersiedlung Margarethenhöhe arbeitet sie gemeinsam mit der Goldschmiedin Elisabeth Treskow und dem Maler Josef Albert. Kunst und Kunsthandwerk unter einem Dach, so will es das Margarethenhöhe-Modell nach dem Bauhaus-Ideal.
Für das Stahlbuch arbeitet Schoy 1934 zusammen mit Sigrid Keetmann, eine Schülerin der Goldschmiedemeistern Treskow. Keetmann kreiert das Stadtwappen als Emaillearbeit, Schoy entwirft das ungewöhnliche Stahlbuch – mit Nieten werden der Lederrücken und die Seiten mit den zwei Stahldeckeln verbunden. Anlass ist damals die Hochzeit des Gauleiters Josef Terboven, zu der auch Adolf Hitler und Hermann Göring in Essen erwartet werden. Nach dem Ende des Dritten Reiches bindet Frida Schoy das Stahlbuch unter Verwendung der alten Deckel 1953 noch einmal neu. Die alten Seiten mit NS-Eintragungen werden herausgenommen, sie lagern im Haus der Geschichte.
Als Juliane Kühne das Buch 2014 mit der vielen Nachkriegsprominenz auf den Tisch bekommt, staunt sie, „wer schon alles hier war“, Könige und Wirtschaftsbarone finden sich darin, wie Papst Johannes Paul II. und Boxchampion Muhammad Ali.
Aber auch gestalterisch ist das Stahlbuch mit seinen aufwendig aufbereiteten Seiten eine Augenweide. „Manches davon wäre heute unbezahlbar. Es geht viel verloren“, bedauert die Buchbindemeisterin, die wie Schoy gerne experimentiert und neben Leder auch schon mal Einbände mit Pergament versucht. Der historische Arbeitstisch ist ihr dabei die ideale Unterlage: „Ich überlege schon, wer ihn als nächstes kriegt“, lächelt Juliane Kühne. Eines ist jedenfalls klar: „Es muss wieder eine Meisterin sein.“