Essen. Die Besucher im Essener Krematorium sehen, wo Angehörige Abschied nehmen. Und erfahren, dass am Ende vom Menschen etwa fünf Kilo übrig bleiben.
Einem ernsten Thema widmeten sich jetzt 25 Leser beim Gang durchs Krematorium in Freisenbruch. Besuche sind die Mitarbeiter gewohnt. „Die Führungen sind beliebt“, sagt Corinna Habner, die die Gruppe vor dem schlichten Klinkerbau am Friedhof begrüßt. Ein Hinweisschild zum Gebäude inmitten von Schule und Wohnsiedlung fehlt. „Das Thema Tod ist für viele eben nach wie vor ein Tabu“, erklärt Leserin Eva Schöttes.
Wer sich im Rahmen unserer Sommeraktion für den Besuch im Krematorium beworben hat, sieht dem Ende offen entgegen. „Mich interessiert das ganze Procedere“, sagt Wolfgang Gudd. Der Burgaltendorfer will wissen, wie Verwechslungen in der Brennkammer ausgeschlossen werden. „Wer garantiert, dass die richtige Asche in der Urne und auf dem Friedhof landet?“ Er selbst will später eingeäschert und auf einem großen Urnenfeld bestattet werden. „Die Kinder leben in der Pfalz, da wird es mit der Grabpflege schwierig.“ Weil er keine Angehörigen hat, ist Horst-Dieter Gahwens aus der Innenstadt gekommen. „Ich habe alles schon geregelt und möchte anonym bestattet werden.“
In der Trauerhalle nehmen die Angehörigen Abschied
Über den dunkel gefliesten Flur erreicht die Gruppe die kleine Trauerhalle. Von außen fällt gedämpftes Licht in den Raum, wo sich Angehörige treffen, um endgültig Abschied zu nehmen. Auf schlichten Holzstühlen folgen die Gäste Habners Worten. Sonst sitzt sie im Bürgerbüro am Parkfriedhof. „Bei einem Todesfall in der Familie können viele nicht mehr klar denken. Deshalb ist es gut, rechtzeitig über eine Bestattung nachzudenken.“
Früher war die Erdbestattung im Einzelgrab der Standard. Das hat sich geändert. Vor allem ab 2003, als die Krankenkassen die Zahlung eines Sterbegeldes einstellten, wurden günstige Alternativen bevorzugt. „Heute verzeichnen wir in Essen 76 Prozent Urnenbestattungen.“ Seit der Eröffnung 1971 zählte man im Krematorium am Hellweg 164.000 Einäscherungen. „Solche Särge habe ich noch nie gesehen“, stellt eine Dame beim Rundgang fest. Im Kühlraum liegen etwa 20 Leichname in einfachen Holzmodellen für rund 1000 Euro. Bald kommen sie - natürlich einzeln - in den rund 700 Grad heißen Gasbrennerofen.
Die Überreste kommen in eine Aschekapsel
Ein ärztlicher Totenschein allein reicht nicht. Damit eine Einäscherung gestattet wird, braucht man eine schriftliche Willenserklärung des Verstorbenen. Hierzulande darf das Verbrennen (Kremation) frühestens 48 Stunden nach dem Todeszeitpunkt erfolgen. Zuvor muss eine zweite Leichenschau stattfinden. Nur wenn keine Zweifel an der zuerst bescheinigten Todesursache bestehen, gibt es die Genehmigung. Nach Prüfung aller Unterlagen werden die Daten in einen Computer eingegeben. Der vergibt eine Einäscherungsnummer. Diese Ziffer sowie der Einäscherungsort ist in eine Tonscheibe eingeprägt, ebenso Name, Geburts- und Todesdatum. Der Schamottstein wird nach dem Verbrennen zu den mineralischen Überresten in die Aschekapsel gelegt. „So sind Verwechslungen ausgeschlossen“, erklärt Betriebsleiter Reinhold Velten. So eine preiswerte Aschekapsel sieht wie eine schlichte Urne aus. Habner hält zwei Modelle hoch und gibt sie den Gästen, die sie herumreichen. Für die biologisch abbaubaren Gefäße interessieren sich alle. Eine Kapsel ist schwarz, die andere dunkelgrün in Marmor-Optik.
Im Zwei-Schicht-Betrieb wird am Hellweg 95 von morgens sechs bis 21 Uhr gearbeitet. In Freisenbruch gibt es etwa 20 Einäscherungen pro Tag in bis zu drei Öfen. „Möglich wären bis zu 45“, erklärt Velten. Auch das Einäschern bleibt den Gästen nicht verborgen: Vor dem Ofentor aus Edelstahl steht ein Sarg bereit, anonym natürlich. „Wie beim Bestatter soll es hier pietätvoll zugehen.“ Fast lautlos fährt der Sarg auf einem speziellen Gestell in die Brennkammer ein. Drinnen lodern helle Flammen. Wie von Zauberhand schließt sich die Klappe. Velten: „Das Holz entzündet sich nach einer Zeit von selbst.“ Zwei Mitarbeiter hinter einer Glasscheibe steuern den Vorgang am Computer. Eine geregelte Sauerstoffzufuhr beschleunigt die Einäscherung. Laufend überprüft werden auch die Abgaswerte: Filter sollen sämtliche Schadstoffe abfangen.
Eine Etage tiefer landet die Asche in einer Lore. Nach gut 70 Minuten. Ist sie ausgekühlt, schaut ein Mitarbeiter nach unverbrannten Resten: medizinische Stähle, chirurgische Platten und Implantate werden per Elektromagnet aussortiert. Auch Krampen und Nägel vom Sarg. Die verbliebenen mineralischen Bestandteile aus Zähnen und Knochen werden herausgeholt und fein gemahlen. Nur sie kommen pulverisiert in die vorbereiteten Gefäße. Velten verschließt eine Urne. Auf dem Deckel sind die Identifikationsnummer und die Angaben zum Verstorbenen vermerkt. Velten trägt die Aschenkapsel würdevoll nach oben in den Technikraum. Etwa fünf Kilo, schätzt er, bleiben am Ende vom Menschen übrig.
Bestatter bringen die Leichname mit Fahrzeugen zum Hellweg und holen die Asche nach der Kremation am großen Tor wieder ab. „Aber Angehörige dürfen die Kapseln auch selbst in Empfang nehmen und zum Friedhof bringen. Am Ende fragen die Gäste nach Qualm aus dem Schornstein. Doch es gibt keinen. „Dann läge ein Fehler vor“, erklärt der Betriebsleiter.