Essen. Ein Jahr vor der Kommunalwahl 2020 ist die rechtspopulistische AfD entschlossen, eine stärkere Rolle in der Essener Politik zu spielen.
Der Essener Kreisverband der rechtspopulistischen Alternative für Deutschland (AfD) gilt seit jeher als wenig mitteilungsfreudig. Auch gut ein Jahr vor der nächsten Kommunal- und OB-Direktwahl lässt sich Essens Parteichef Günter Weiß ungern in die Karten schauen, wenn es etwa um die Namen von (Spitzen-) Kandidaten geht. Stefan Keuter, der Bundestagsabgeordnete und ehemalige Essener Parteichef, kündigt immerhin an, dass der Kreisverband auf jeden Fall einen eigenen Kandidaten für die Oberbürgermeister-Wahl im September 2020 aufstellen werde.
Angeblich wollen namhafte Bürger in Essen für die AfD kandidieren
„Wir haben gute Leute, die dafür in Frage kommen, darunter Manager aus großen Konzernen, Unternehmer und Mittelständler.“ Für viele an der Parteibasis gibt es hingegen schon längst einen Wunschkandidaten fürs OB-Amt: den soeben ins Europaparlament gewählten Guido Reil – den Steiger und Ex-SPD-Genossen aus Karnap, bundesweit bekannt als Wahlkampf-Lokomotive und Mitglied des AfD-Bundesvorstandes.
Dass Reil hochmotiviert und optimistisch in den nächsten Essener Kommunalwahlkampf zu ziehen gedenkt, ließ der Einzel-Ratsvertreter im vergangenen November in einer knappen, von vielen als polemisch empfundenen Haushaltsrede durchblicken. Eine Rede, die eher als Kampfansage zu verstehen war. „Dieser Rat wird bald vielfältig und bunt werden“, meinte Reil. Und Ratsvertretern der „Großen Koalition“ aus SPD und CDU prophezeite der Ex-Sozialdemokrat vollmundig den Verlust von Mandaten. „Einige Kollegen werden bald nicht mehr da sein.“ Reils Manko: Die Staatsanwaltschaft führt ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der illegalen Wahlkampfhilfe zu seinen Gunsten. Und ob der Berufspolitiker Reil, jetzt mit sicherem und einträglichem Mandat in Brüssel ausgestattet, tatsächlich die Mühen eines lokalen Wahlkampfs auf sich nimmt, bleibt abzuwarten.
„Die AfD wird künftig eine größere Rolle in der Essener Kommunalpolitik spielen“
Stefan Keuter richtet seinen Blick auf den Rat und Bezirksvertretungen und sagt: „Die AfD wird künftig eine größere Rolle in der Essener Kommunalpolitik spielen.“ Insbesondere in seinen Hochburgen im Norden rechne sich der Kreisverband das eine oder andere Direktmandat aus. „Wir werden im Norden extrem stark abschneiden“, prophezeit Keuter.
Bei der jüngsten Europawahl erreichten die Rechtspopulisten im Arbeiterviertel Vogelheim mit 23 Prozent das beste Resultat in Essen, auch in Altenessen oder Karnap landete die AfD am Ende klar bei zweistelligen Prozentzahlen. Im Süden der Stadt hingegen war der Wählerzuspruch deutlich geringer. Die Zeiten, als allein Protestwähler den Höhenflug der AfD begünstigten, seien vorbei. „Heute bauen wir auf Stammwähler.“ In allen 41 Kommunalwahlbezirken, fügt Keuter hinzu, werde die AfD Direktkandidaten für den Stadtrat und die Bezirksvertretungen aufstellen.
Nach der Kommunalwahl 2014, als die AfD noch den Charakter als Anti-Euro-Partei hatte, nahmen drei AfD’ler im Rat der Stadt Platz, doch dauerte es nur wenige Monate bis sich die Fraktion heillos zerstritt. Jochen Backes, Marco Trauten und Menno Aden verließen die AfD und suchten ihr Heil schließlich bei anderen Fraktionen oder blieben Einzelkämpfer.
3,8 Prozent bei der Kommunalwahl 2014
Die AfD Essen ist bei der letzten Kommunalwahl am 25. Mai 2014 zum ersten Mal angetreten. Damals erzielte sie lediglich 3,8 Prozent und drei Mandate im Essener Stadtrat. Selbst das Essener Bürgerbündnis (EBB) und die Linke waren mit 4,3 bzw. 5,3 Prozent stärker.
Kaum im Rat, zerlegte sich die AfD. Die drei Mandatsträger Marco Trauten, Menno Aden und Jochen Backes haben die Partei längst verlassen. Kurios: Der einzige AfD-Mann im Rat ist Guido Reil, der sein Mandat 2014 freilich als Sozialdemokrat erhielt.
Bei der Oberbürgermeister-Wahl am 13. September 2015 stellte die AfD keinen Kandidaten.
2020 würde daher einen Neubeginn markieren. Ein AfD-Mann,der nicht mit Namen genannt werden möchte, weist allerdings auf ein Problem so manches potenziellen Kandidaten hin. Sie hätten schlichtweg Angst vor Anfeindungen insbesondere durch die Essener Antifa, berichtet er. Deshalb möchte offenbar nicht jeder im Falle einer Kandidatur seine Privatanschrift preisgeben. Keuter gibt sich jedoch kämpferisch: „Wenn man sich politisch engagiert, muss man auch Gegenwind aushalten können.“ Der AfD-Kreisvorsitzende Günter Weiß sagt, die Kommunalwahl 2020 beschäftige die Partei frühestens im Herbst. „Kandidaten haben wir genug.“ Knapp 300 Mitglieder bekennen sich nach Angaben von Weiß zur Essener AfD. Unterstellt, dass nicht jeder ein ehrenamtliches Mandat anstrebt, ist die Auswahl somit keineswegs übermäßig üppig.
Bundestagsabgeordneter berichtet von Angriffen, Anfeindungen und einem zerstörten Postkasten
Stefan Keuter berichtet von Angriffen und Anfeindungen auch gegen seine Person. Deshalb stelle das Bundeskriminalamt bei größeren öffentlichen Auftritten schon mal Personenschützer zur Verfügung. Auch die Abteilung Staatsschutz der Essener Polizei betreue ihn. Der Grund: Anfang dieses Jahres sei das Werdener Drei-Parteien-Haus, in dem er wohne, Ziel eines offenbar politischen motivierten Anschlags gewesen. Der außen am Haus angebrachte Postkasten sei massiv beschädigt worden. Ein Fall, der auch die Essener Polizei beschäftige. Politisch motivierte Sachbeschädigungen gab es auch an Guido Reils Wohnhaus und in diesem Frühjahr wurden vier AfD-Wahlkampf-Autos der Marke Smart auf einem Holsterhauser Gewerbegrundstück in Brand gesteckt.
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Vom Bundesvorstand bis hinunter in viele Kreisverbände tobt in der gesamten AfD seit Monaten ein erbitterter Richtungskampf zwischen dem rechts-nationalistischen „Flügel“ um den Thüringer AfD-Chef Björn Höcke auf der einen und der eher moderateren Richtung um den Bundesvorsitzenden Jörg Meuthen. In der Essener AfD, so Keuter, gebe es derartige Richtungs- und Grabenkämpfe nicht: „Der Kreisverband Essen ist gut konservativ aufgestellt.“ Parteichef Günter Weiß sieht das Gros der Mitglieder politisch „näher bei Meuthen“ verortet, nimmt aber auch Höcke gegen Kritik in Schutz. „Die Altparteien sind mit der Nazi-Keule immer schnell bei der Hand.“