Essen. Während das Handyvideo des tödlichen Polizeieinsatzes in Altendorf die Politik erreicht, sieht sich die Staatsanwaltschaft in einem Dilemma.
Angucken geht, sagt sie, „aber nicht mit eingeschaltetem Ton“, das hält sie noch nicht aus. Denn der Schuss, der da in dem kleinen Filmchen zu hören ist, er gilt ihrem Lebensgefährten Adel B., der daraufhin tödlich getroffen zusammenbricht. Seit jenem Tag ist die Welt der Bianca C. eine andere, und das 48-sekündige Handyvideo vom Nachbarn schräg gegenüber – für ein paar Tage das Privateste, was die Mutter von vier Kindern mit ihrem Freund noch verband – wird plötzlich zum Politikum.
Denn angesichts des Videos lässt sich die ursprüngliche Rechtfertigung der Polizei für den tödlichen Schuss – der lebensmüde Adel B. sei auf der Türschwelle mit dem Messer in der Hand auf Beamte zugegangen – wohl nicht mehr halten. Die Politik ist alarmiert, selbst die Staatsanwaltschaft scheint mit der
Formulierung nicht glücklich: Die sei „weder von uns authorisiert noch mit uns abgesprochen worden“, sagte Oberstaatsanwältin Anette Milk am Mittwoch.
Die Staatsanwaltschaft hält die Notwehr-These nicht für gänzlich abwegig
Und dennoch: Die über Wochen unwidersprochen im Raum stehende Notwehr-Argumentation der Polizei von staatsanwaltschaftlicher Seite zu korrigieren, habe nicht zur Debatte gestanden, betont Milk. Sie will nach wie vor nicht gänzlich ausschließen, dass es womöglich eine Situation der Notwehr oder der Nothilfe gegeben habe, als die Polizei auf die Haustür zustürmte und ein Beamter dann durch die Tür den tödlichen Schuss abgab.
Die Ermittler stehen vor einem Dilemma: „Wir wollen den Eindruck einer Vorverurteilung des Schützen vermeiden“, versichert Milk – aber eben auch nicht das Gefühl vermitteln, „dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren um jeden Preis einstellen will“.
SPD und Grüne machen den Fall im Landtag zum Thema
Die Zurückhaltung liegt schon deshalb nahe, weil sich inzwischen die große Politik eingeschaltet hat: SPD und Grüne kündigten gestern an, im Innenausschuss des Landtages einen Bericht über den Einsatz vom 18. Juni anzufordern. Derweil plädieren die örtlichen Linken für eine rasche Aufklärung der Vorgänge „ohne jede Rücksicht auf falschen Korpsgeist“. Und Bianca C.? Muss sich womöglich auf eine Strafanzeige einstellen.
Das hätten ihr, betont die 33-Jährige, Polizisten gesagt, die sie und drei weitere Helfer dieser Tage einer Kontrolle unterzogen, als sie in Altendorf Flugblätter verteilten. Fast zwei Stunden, so behauptet einer der Zeugen, sei man festgehalten und obendrein der polizeiliche Staatsschutz hinzugerufen worden. Grund: Der Text auf dem Pamphlet erfülle den Straftatbestand des Rufmords.
Ein Flugblatt von links außen überschreitet Grenzen
In der Tat überschreitet das Flugblatt Grenzen: Von einem hinterhältigen und feigen „Mord“ an Adel B. ist dort die Rede, und die Wortwahl wie auch die untergelegte Hammer-und-Sichel-Grafik zeigen, dass eine Gruppe aus dem linksextremistischen Spektrum namens „Rebellion Ruhr“ den tragischen Tod für politische Zwecke vereinnahmen will.
In einem ersten Entwurf behauptete diese, der fragliche Polizist habe dem 32-Jährigen Adel B. „mit vollem Vorsatz in den Rücken geschossen“ – und schrieb nicht einmal den Namen des Opfers korrekt. In einer korrigierten Variante fehlt der Passus dann.
Bianca C. weiß nicht recht, wer ihr sonst helfen soll
Bianca C. weiß, dass jene, die ihr da beispringen, ihr eigenes trübes Süppchen kochen. Aber sie weiß offenbar auch nicht so recht, wer ihr sonst helfen soll. Am Handy hat sie die letzten knapp 45 Lebensminuten ihres Partners miterlebt, der sie um 5.34 Uhr an jenem Morgen anruft und ihr sagt, sie solle zur Altendorfer Straße kommen. Dort hatte die Polizei den Lebensmüden gestellt.
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Bianca C. läuft los, lässt ihre Schwester die vier Kinder beaufsichtigen, doch bis zu ihren Freund dringt sie nicht durch: Die Polizei fängt sie ab, sicherheitshalber, drängt sie in einen Hausflur. So wird das natürlich nichts mit dem Plan, Adel B. zum Aufgeben zu überreden.
Staatsanwaltschaft: Das Handyvideo wurde nicht gelöscht
Der geht zur Wohnung in der Drügeshofstraße, wo er auch in den Tagen zuvor gewohnt hat. Trotz des Wohnungsverweises wegen häuslicher Gewalt? Bianca C. seufzt: Wirkliche Gewalt versichert sie, habe es nie gegeben, ihr Freund habe sie doch nur bedrängt, ihm Geld zu geben. Sie gab ihm keines, er ließ sich nicht beruhigen: „Ich wusste mir keinen Rat, da habe ich die Polizei gerufen. Die sollten ihn mitnehmen, dass er mal runterkommt.“
Bei der Polizei klingt das alles irgendwie anders, wie so vieles an diesem Fall. So dementiert die Staatsanwaltschaft am Mittwoch ausdrücklich die Behauptung, das Video sei vom Handy des Nachbarn gelöscht worden. „Es ist in Anwesenheit des Zeugen per Datenkabel überspiel worden“, sagt Oberstaatsanwältin Anette Milk. Auch dass die Hilfe eines Rettungssanitäters abgelehnt wurde, sei eine Mär. Bianca C. hat das für bare Münze genommen.
Es scheint, als glaube in diesem Fall ohnehin jeder nur das, was er glauben will.