Essen. Exakt 1046 leidenschaftliche Wanderer starteten am Samstag in Essen zu einem 100-Kilometer-Tour. Eine Tortur, die offenbar dennoch Spaß macht.
Genau 1046 Teilnehmer sind am Samstag zwischen 16 und 16.30 Uhr Uhr in vier Gruppen am Sportpark an der Hallostraße zum 100 Kilometer langen Megamarsch durch Ruhrgebiet gestartet, 328 von ihnen kommen bis 17 Uhr am Sonntag ans Ziel. Eine Quote von 32 Prozent, sieben Prozent mehr als sonst üblich nach einer solchen 24-Stunden-Wanderung. Für manchen eher unsportlichen Zeitgenossen ist das eine unglaubliche Leistung, und selbst versierte Wanderer wissen, wie sich Füße spätestens ab Kilometer 25 anfühlen - ziemlich lädiert. Beim Megamarsch ist dann aber eben erst ein Viertel geschafft.
Bilder vom Start des Megamarsch Ruhr
Die Füße sind denn auch das wichtigste Thema, als am Samstag pünktlich um 16 Uhr die ersten 300 Wanderer das aufblasbare Tor auf der großen Wiese passieren, den Blick nach vorn gerichtet, die Schuhe fest geschnürt. Die Zuschauer hinter der Absperrung spendieren eine Welle. Unter dem Motto „Wir gehen weiter“ stellen sich die Teilnehmer einer besonderen Herausforderung: 100 Kilometer Abenteuer im Revier. Die nächste von vier Gruppen begibt sich an den Start. Ob die dunklen Wolken Regen bringen? „Auch das Wetter haben wir im Blick!“, sagt Sabrina Putzschke, Pressesprecherin des Veranstalters hundert24 GmbH in Mönchengladbach.
Die Gruppen werden beim Start entzerrt, um Gedränge zu vermeiden
Bereits seit ein paar Tagen ist man mit dem Wetteramt in Kontakt, um notfalls umzuplanen. Bei schwülen 32 Grad schwitzt Fabian Schroers bereits im Schatten. Der junge Mann im schwarzen Megamarsch-Shirt nimmt ein Flatterband und hängt es vor den Torausgang. Noch zehn Minuten, dann starten die nächsten 300 Teilnehmer. „So werden die Gruppen entzerrt, und es entsteht kein Gedränge.“ Kreidepfeile auf den Wegen weisen die Strecke aus. Zusätzlich zeigt eine App wo`s langgeht. Zollverein, Gasometer, der Duisburger Landschaftspark und die Ruhr sind touristische Highlights.
Stefan (44) zeigt seinen Wanderpass und freut sich über den neuen Stempel. Ende Juni hat er rund um Köln schon 178 Kilometer in 36 Stunden zu Fuß absolviert. Beste Aussichten, auch hier das Ziel zu erreichen! „Vor zwei Jahren hatte ich einen Bandscheibenvorfall“, sagt der Dortmunder. Das viele Wandern habe die Schmerzen vertrieben. Um 6:26 bei Kilometer 77 meldet er sich: „Stimmung gut, Endspurt!“
Man braucht nur Grundfitness, meint der Veranstalter ...
„Wir messen keine Zeiten“, erklärt Putzschke. Wer mindestens 4,2 Kilometer pro Stunde zurücklege, könne in 24 Stunden ans Ziel kommen. Dazu brauche man nur eine „Grundfitness“. Etwas mehr braucht es schon. Schon der Baldeneysteig am Stück kann sich ziehen, und das sind „nur“ rund 27 Kilometer. Beim Megamarsch helfen vier Verpflegungsstationen plus zwei Wasserstationen bei zehn und 90 Kilometern beim Durchhalten, und die sind auch dringend nötig.
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Beim Start hat es etwas von Pfadfindertreff für Erwachsene – das Mindestalter ist 18 –, wenn sich über 1000 Frauen und Männer im Wander-Outfit mit Rucksäcken versammeln. Eine von ihnen ist Carolin Becker. Sie peilt die 100 an. Die 56-Jährige will es wissen. Und die Höchstmarke schaffen. Mit drei Freundinnen und „unserem Quotenmann“. Der scheidet einige Stunden später mit Blutblasen an den Füßen als Erster des Fünfer-Trupps aus…
„Drei Mädels nähern sich den 90 km. Wir haben uns festgebissen“
Vor zwei Wochen hat Becker die Ernährung umgestellt, isst viele Kohlehydrate - Kartoffeln, Nudeln, Reis. „Einmal im Jahr unternehmen wir etwas Schräges zusammen!“, erklärt sie. Diesmal sei es der Megamarsch. Um 8.19 Uhr kriegen wir Nachricht: „Wir kämpfen weiter, trotz Blasen.“ Und um 12.23 Uhr heißt es: „Drei Mädels nähern sich der 90 km. Wir haben uns festgebissen!“ Und tatsächlich, drei der fünf schaffen es: „Wir sind mega-stolz, haben uns die letzten vierzig Kilometer nur noch geschleppt. Können uns noch nicht so richtig freuen, aber das kommt sicher noch“, heißt es im Telegrammstil nach dem Zieleinlauf um ca 16 Uhr.
Die Füße eifrig eingecremt - aber vergeblich
Mit Wasser, Kaffee und Tee machen sich Barbara (41) und Matthias Behrens (51) aus Kierspe im Sauerland gleich auch auf die Socken. Sie hat die Strümpfe noch aus und reckt die Zehen im gelben Parkgras. „Wir sind optimistisch!“, sagt das Ehepaar. 2017 sind sie 80 Kilometer an der Mosel gelaufen. Einzig die 100 in Hamburg im März wollten nicht gelingen. „Wir hatten mit Blasen zu kämpfen“, erzählt Barbara. Seitdem haben sie die Füße eifrig eingecremt und regelmäßig die Hornhaut entfernt.
Aber es hilft alles nichts, um 2:29 Uhr erreicht uns diese Nachricht: „Hallo! Leider müssen wir nach 45 Kilometer abbrechen! Die Blasen an den Füßen lassen uns nicht weiter! Es hat uns aber Spaß gemacht, war eine tolle Strecke und eine schöne Erfahrung. Nächstes Jahr kommen wir wieder.“ Um 5.50 Uhr schließlich liegt das Paar daheim in den Federn.
Viereinhalb Stunden vor dem ersten Start war Volunteer Ina (57) aus dem Kreis Soest am Sportpark. Im Freiwilligen-Team hat sie den Check-in-Counter aufgebaut. Ehrenamtlich. Zur Belohnung darf sie kostenlos an einem der nächsten Riesenmärsche teilnehmen. Beim Wandern ist sie Profi und Ende Oktober auf jeden Fall in Sylt dabei. 100 Kilometer will sie schaffen. „Die letzten zehn sind immer am schwersten!“, weiß sie. Ihr Tipp: „Den Kopf ausschalten, das Ziel vor Augen halten und weitergehen.
Die Versorgungsstationen sind wie Oasen
Auf dem Weg in sengender Sonne sind die Versorgungsstationen Oasen, die alle anziehen. Alle 20 Kilometer gibt es Wasser, Softdrinks, Obst und leichte Speisen zur Stärkung. Wegen der Hitze wurden zwei zusätzliche Stände eingerichtet. Schnell noch eine Currywurst isst Markus aus Borken vor dem Start. Im Ruhrgebiet ist das kein Doping! „Lecker!“, sagt er und wischt den Rest Sauce mit dem Brötchen aus.
Eine, die keine Scheu hat, große Distanzen per Pedes zurückzulegen, ist Jessie Fröde. Die 35-Jährige aus Dorsten ist in anderthalb Jahren von Hamburg nach Teheran gelaufen – mit einer viermonatigen Verletzungspause in Georgien. Unter „bunterwegs.com“ schreibt sie einen Blog über ihre Abenteuer. Hauptsächlich zu Fuß, aber definitiv auf dem Landweg ist die Grafikdesignerin nach Kathmandu (Nepal) unterwegs. „Der Megamarsch lag sozusagen auf dem Weg!“ Nach allerdings beachtlichen 80 Kilometern ist für sie Schluss. Eine dicke Blutblase an der Ferse lässt keine andere Wahl.
Ein paar Meter weiter treffen wir „Supermann“. Ja, er ist es, im blauen Funktions-Shirt, das weltbekannte Logo auf der breiten Brust! Siegessicher gibt sich der Held aus Dortmund, der eigentlich Robert Johnigk heißt. „Wir sind schon auf dem Jakobsweg gewandert“, erzählt seine Verlobte. Die zukünftige Superfrau hat eine Stirnlampe am Ultraleicht-Rucksack. „Für die dunkle Nacht!“ Denn vor der hat sie Angst.
„Das Laufen hält munter“
„Hi, wir machen Rast bei Km 40, durch die Nacht zu laufen, macht nicht so müde, wie man denken könnte“, berichtet uns Johnigk um 0.53 Uhr. „Die Challange, bzw. das Laufen hält munter, die Stimmung ist ganz gut, die Beine werden so langsam schwer, aber das ist normal“. Aber auch einen Supermann verlassen mal die Kräfte. Nach geschätzten knapp 50 Kilometern ist er in der Waldetappe nachts mit dem rechten Fuß umgeknickt. Dann ist er noch zehn Kilometer weitergehumpelt. „Hallo Frau WAZ, leider musste ich aufgeben“, lautet die letzte Nachricht. „Meine Gruppe ist dann ohne mich weiter, meine Verlobte bei mir geblieben.“
In leichter Uniform will sich Sebastian Goralski dem Kampf gegen den inneren Schweinehund stellen. In Aalen bildet der 30-Jährige Berufssoldat Rekruten aus. In Bundeswehrstiefeln tritt der Oberfeldwebel an und berichtet viel von unterwegs.
„Die letzten 20 Kilometer waren die Hölle“
„Ab der Hälfte der Strecke war das Feld sehr auseinandergezogen. Wir sind viel zu zweit gelaufen, waren nicht mehr in Rufweite zu anderen Läufern. Die Beschilderung war nicht überall perfekt, manchmal mussten wir suchen.“ Um 13.35 Uhr ist Goralski im Ziel. „Die letzten 20 Kilometer waren die Hölle, die Füße brennen jetzt doch sehr!“ Morgen muss er wieder arbeiten. „Ich gehe jetzt erstmal zum Sani und lasse mir die Füße behandeln.“
Mega-Route verlief zu großen Teilen in Essen
Es ist eine Wanderung der Extreme, und hauptsächlich verlief die Route über Essener Stadtgebiet. Vom Hallopark aus zunächst zur Zeche Zollverein, dann über den Kaiser-Wilhelm-Park durch Altenessen bis zum Rhein-Herne-Kanal. Weiter liefen die Teilnehmer in Richtung Westen über Bottrop, Oberhausen bis nach Duisburg. Anschließend ging es weiter nach Mülheim.
Zurück in Essen kamen die Wanderer zwischen Kilometer 50 und 51. Dann ging es über den Mintarder Weg in Richtung Kettwig und weiter entlang der Ruhr über Werden bis zum Baldeneysee. Auf der nördlichen Seite des Sees folgten sie der Ruhr flussaufwärts – Heisinger Ruhrbogen, bis zum Steeler Ruhrufer. An der Kurt-Schumacher-Brücke wechselten die Wanderer erneut das Ufer und liefen entlang des Flusses bis zur Schwimmbrücke Dahlhausen. Von hier aus ging es schließlich über Leithe und Kray wieder zum Hallopark.