Essen. Im ersten Quartal 2018 verunglückten bereits 61 Radler auf Essens Straßen. Der Negativtrend setzt sich ungebremst fort, befürchtet die Polizei.

Sie strampeln sich ab mit Appellen und bei Sicherheitskursen, doch trotz aller Anstrengungen von Polizei und Verkehrswacht lässt sich der alarmierende Negativ-Kurs bei den Fahrradunfällen auf den Essener Straßen offenbar nicht ausbremsen. Das aktuelle Jahr hat die erhoffte Wende hin zu mehr Sicherheit jedenfalls nicht geschafft.

Ganz im Gegenteil: In den ersten drei Monaten ist die Zahl der Unglücke mit Drahteseln noch einmal deutlich um exakt 38,6 Prozent gegenüber dem Vergleichszeitraum des Vorjahres gestiegen, berichtete Polizeidirektor Wolfgang Packmohr jetzt auf Anfrage dieser Zeitung. Zählte der Chef der Verkehrsdirektion im ersten Quartal 2018 noch 44 Radunfälle auf Essener Stadtgebiet waren es in diesem bereits 61. „Der Trend bei den Fahrradunfällen setzt sich ungebremst fort“, befürchtet Packmohr auch mit Blick auf den Sommer, in dem die Verunglücktenzahlen saisonbedingt noch weiter steigen werden.

Straßenbahnschienen wurden 43 Radlern zum Verhängnis

Am Dienstag erst haben sich Vertreter der Unfallkommission einmal mehr getroffen, um gegenzusteuern. Dieses Mal beratschlagten sie an der Hülsmannstraße/Ecke Weidkamp in Borbeck, wie dieser ausgewiesene Brennpunkt entschärft werden könnte. In den vergangenen drei Jahren wurden dort immerhin drei Radfahrer schwer und vier leicht verletzt, weil sie auf den Gleisen der Straßenbahn stürzten. Jetzt könnte eine Lösung für das Problem in Sicht sein: Ein Schild soll den Zweiradpiloten eine sichere Ausweichstrecke über die Armstraße weisen, um das Befahren der Schienen zu vermeiden.

Erfahrungsgemäß dürften sich 80 Prozent der Adressaten an eine solche Empfehlung halten, heißt es. Sicherheitsbewusste Radler hätten allerdings auch schon selbst auf die Idee kommen können, die Gleise besser zu meiden, indem sie sich das Risiko eines Sturzes bewusst machen. Sie gewinnen vielleicht zehn Sekunden Zeit, verlieren aber womöglich ihre Gesundheit. Denn Straßenbahnschienen sind eine große Gefahr. Stadtweit wurden sie vergangenen Jahr 43 Radlern zum Verhängnis. Gummilippen in den Schienen könnten das Risiko eines Sturzes minimieren. Dieser Vorschlag der Polizei steht im Raum, so wie einige mehr.

Polizeidirektor fordert, den Verkehrsraum komplett neu zu denken

Doch dieses immer wiederkehrende kleinteilige Nachbessern an sogenannten Unfallhäufungspunkten, zu denen zum Beispiel auch die Kreuzung Wuppertaler Straße/Frankenstraße in Höhe der Konrad-Adenauer-Brücke mit acht verunglückten Fahrradfahrern binnen drei Jahren zählt, kann auf Sicht nicht die einzige Lösung sein, ist Packmohr überzeugt. In Zeiten einer Verkehrswende, in denen vermutlich immer mehr Menschen auf Alternativen zum Auto und damit auch aufs Fahrrad umsteigen, „muss der Verkehrsraum komplett neu gedacht werden“, ist der Polizeidirektor überzeugt, um damit absehbar einhergehenden weiter steigenden Unfallzahlen zu begegnen. Damit ist Packmohr ganz auf Linie mit der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“.

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„Wir brauchen mehr Platz für Radfahrer und müssen sie besser schützen“, fordert der Polizeidirektor. Die Initiative des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC), die bei Bundesverkehrsminister Scheuer offenbar verfangen hat, sei zumindest ein Schritt in die richtige Richtung. Zwölf Änderungen sollen den künftigen Radverkehr sicherer machen, unter anderem ein festgelegter Überholabstand für Autofahrer. Die derzeit auch in Essen geltenden 1,50 Meter sind allenfalls dann ausreichend, wenn sie auch tatsächlich eingehalten werden, was in vielen Fällen allerdings Fehlanzeige ist, wie die Polizei weiß. Zudem werden die markierten Radwege am Straßenrand häufig durch geparkte Autos blockiert, was eine zusätzliche Gefahr bedeutet.

Mehr als jeder vierte Sturz des vergangenen Jahres war ein Alleinunfall

Aber die Kritik der Verkehrsexperten richtet sich auch an die Adresse der Radler: Denn nachdem die bereits drastische Steigerung der Radunfälle von 290 in 2017 auf 374 im vergangenen Jahr allein in Essen für die Polizei Anlass für eine genauere Ursachenanalyse war, stellte sich heraus, dass offenbar viele Opfer ihr Fahrrad nicht beherrschten. Mehr als jeder vierte Sturz (100) war demnach ein Alleinunfall ohne Fremdverschulden.