Essen. . Am Ruhrkolleg können Erwachsene ihr Abi nachmachen. Was ist, wenn es sowas nicht gibt: das Recht auf Bildung? Zwei Schüler berichten.
Das Ruhrkolleg wird kurz vor den Sommerferien eine Projektwoche veranstalten zum Thema „Menschenrechte“, und viele Schüler können schon jetzt konkret etwas zum Thema berichten, auch ohne Workshops und Gesprächsrunden. Zwei Beispiele.
Am Ruhrkolleg machen Erwachsene ihr Abi nach. Die Wege, die sie zur Huttroper Schule geführt haben, sind oft kurvenreich. Im Fall von Tobias Schumann führten sie über Afghanistan. „Nach der Gesamtschule habe ich erst mal eine Ausbildung zum Elektro-Installateur gemacht“, erzählt der 33-Jährige. Er wurde auch von seinem Betrieb übernommen, befristet. Das war 2007. Plötzlich kam ein Schreiben der Bundeswehr: Er musste für neun Monate seinen Grundwehrdienst ableisten. Dort, beim Bund, konnte er relativ schnell sein handwerkliches Wissen einbringen: „Also habe ich die Laufbahn als Radar-Elektronik-Unteroffizier eingeschlagen.“ Was hieß, sich für zwölf Jahre zu verpflichten. „Weil die Situation im Ausbildungsbetrieb unsicher war und ich das Glück hatte, beim Bund in einer relativ kleinen Einheit stationiert zu sein, habe ich mich für die Armee entschieden. Es ging dort sehr familiär zu, das gefiel mir gut.“
Die Uni in Afghanistan stand leer
Im Frühjahr 2012 wurde er für mehrere Monate in Afghanistan eingesetzt, war in Masar-e Scharif für die Überwachung eines Kamerasystems zuständig, das die Sicherheit in einem Lager herstellen sollte. Auf den Fahrten durch das Land fiel ihm ein kolossaler Bau auf, der leer stand: „Die Universität“, sagt Schumann. „Doch die Taliban hatten damals allen angedroht: Wenn hier Betrieb stattfindet, sprengen wir die Uni in die Luft.“ Deswegen konnte dort niemand studieren.
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Das war für Tobias Schumann ein Schlüsselerlebnis: „Bildung ist ein Menschenrecht. Das habe ich in Afghanistan verstanden. Wir wissen gar nicht, wie gut es uns hier geht.“ Nach seiner Rückkehr entschied er sich dafür, doch noch das Abi nachzumachen, er will bald studieren und Lehrer werden: „Ich weiß, dass das langfristig das Richtige für mich ist.“ Er will sich in Richtung technischer Fächer orientieren, schließlich hat er da ja entsprechendes Know-How.
Latife durfte zunächst keinen Deutschkurs besuchen
Wird denn jedem Menschen in Deutschland das Recht auf Bildung gewährt? Diese Erfahrung hat nicht gemacht: Latife Jabari (29) aus Frohnhausen; sie kam mit ihren Kindern im Herbst 2015 aus dem Iran nach Deutschland. Ihre Eltern waren aus Afghanistan geflohen, ließen sich im Iran neu nieder, und Latife entschied, nach Deutschland zu gehen, denn: „Im Iran machte ich die Erfahrung, dass ich nicht studieren kann, weil ich als afghanische Einwanderin galt. Obwohl ich ja im Iran geboren wurde.“
Ihr Traum ist es, Geschichte und Archäologie zu studieren, „und ich dachte, in Deutschland gibt es eine sichere Zukunft für mich und meine Kinder.“ Doch bis sie einen Integrations- und Sprachkurs absolvieren konnte, vergingen viele Monate: „Das lag an meinem unklaren Aufenthalts-Status.“ Sowohl der Iran als auch Afghanistan sind nicht die Länder, aus denen zuletzt die Mehrheit der Flüchtlinge kam. Und für die große Mengen zusätzlicher Kurse bereit gestellt wurde. Jedenfalls: Latife konnte nicht Deutsch lernen, obwohl sie dringend wollte, „also hab’ ich mir das selbst beigebracht mit Youtube und Büchern.“ Denn sie nervte es gewaltig, wenn sie einkaufen gehen wollte oder in Elternabenden der Grundschule ihrer Kinder saß und einfach kein einziges Wort verstand.
Abi ist jetzt für 2021 geplant
Irgendwann klappte es dann doch mit dem Sprachkurs an der VHS, und durch Zufall erfuhr sie vom Ruhrkolleg. Dort gibt es besonderen Vor-Kurse für Flüchtlinge, die ihr Abi nachholen wollen, „das war meine Chance.“ Im Jahr 2021 wird sie ihr Abi haben.