Essen. Eine Ausstellung in der Rathaus-Galerie würdigt Essens Stahlbuch. Doch die Einträge von Nazis unterschlage man, kritisiert ein Grüner Ratsherr.

Als erste trugen sich damals Adolf Hitler und Hermann Göring ins neue Gästebuch der Stadt Essen ein: Die beiden Nazi-Größen waren 1934 Trauzeugen bei der Hochzeit von NSDAP-Gauleiter Josef Terboven. Und während andere Städte ein „Goldenes Buch“ besaßen, legte sich Essen zu diesem Anlass das Stahlbuch zu; mit einem aus Kruppstahl gefertigten Einband.

Der Einband des Essener Stahlbuchs.
Der Einband des Essener Stahlbuchs. © peter Prengel / sTADT Essen

85 Jahre ist das nun her, doch die Ausstellung zum Stahlbuch, die noch bis zum 8. Juni in der Essener Rathaus-Galerie zu sehen ist, setzt erst nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes ein. „Premiere hatte das Stahlbuch am 27. Juni 1953“, behauptet der Begleittext. Über diese Fehlinformation ärgert sich der Grüne Ratsherr Walter Wandtke: „Es ist inakzeptabel, dass mit Unterstützung der Stadt Essen eine unkritische Ausstellung vorgestellt wird, die fälschlicherweise behauptet, Bundespräsident Theodor Heuss wäre 1953 der erste Unterzeichner im Stahlbuch gewesen.“

Muhammad Ali, der Papst und eine thailändische Prinzessin trugen sich ein

Heuss ist nicht der einzige Bundespräsident, der in dem meterhohen Stahlbuch-Nachbau in der Einkaufspassage gewürdigt wird, auch Gustav Heinemann, Richard von Weizsäcker oder Joachim Gauck sind dort zu sehen – jeweils mit Foto und ihrer Stahlbuch-Seite. Auch einige Bundeskanzler, Ruhrbischof Franz-Josef Overbeck und eine thailändische Prinzessin schmücken die Bildwände. Selbst Papst Johannes Paul II. und Boxchampion Muhammad Ali hinterließen in Essen einen bleibenden Eindruck.

So trug sich 2009 Königin Silvia von Schweden ins Stahlbuch ein.
So trug sich 2009 Königin Silvia von Schweden ins Stahlbuch ein. © WAZ FotoPool | Jörg Schimmel

Das Stahlbuch würde mit bis heute 186 Einträgen „durchaus einer Hauptstadt zur Ehre gereichen“, folgert der Ausstellungstext. Ausgeklammert wird jedoch, was im Vorwort von 1934 stand: Dass das Buch Ausdruck dafür sein solle, „dass heute mit dem Dritten Reich und diesem Buch eine neue Epoche in der Stadt eingeläutet wird“. Tatsächlich sollten sich in den folgenden Jahren noch weitere NS-Größen als Ehrengäste im Stahlbuch verewigen. Wie problematisch dieses Erbe ist, ist den Verantwortlichen durchaus bewusst: Bis 1945 habe sich das Stahlbuch „mehr oder weniger zu einem Ehrenbuch der Nazigrößen“ entwickelt, heißt es auf der Homepage der Stadt. Man habe daher nach dem Krieg nur den Einband weiterverwendet und das Innenleben als „historisches Dokument“ ins Stadtarchiv gegeben.

„Die braune Geburtsstunde des Stahlbuchs wird nicht thematisiert“

Umso mehr wundert sich Ratsherr Wandtke, dass die Stadt nun der geschichtsklitternden Schau ihr Plazet gab: Es sei vielleicht kaufmännisch verständlich, dass das Management der Rathauspassage „die braune Geburtsstunde des Stahlbuchs nicht thematisieren will“, doch angesichts der städtischen Mitarbeit und der Ausstellungseröffnung mit Oberbürgermeister Thomas Kufen sei diese Auslassung der NS-Zeit „unakzeptabel“.

Vergeblich forderte Wandtke schon in der Ratssitzung vor einer Woche, eine Ergänzung der Schau. Auf Anfrage verweist eine Sprecherin der Stadt nun auf die Rathaus-Galerie, die die Bilderauswahl verantworte. „Wir haben die Ausstellung an dem Zeitpunkt begonnen, seit dem das Stahlbuch als Goldenes Buch der Stadt genutzt wurde“, sagt Center-Manager Ralf Gertz. Über die nationalsozialistische Vorgeschichte des Buches geht Gertz hinweg: „Wir wollten unseren Kunden keine Bilder aus der Zeit zeigen.“

Fehlinformation in der Ausstellung wird nicht korrigiert

Auch die Stadt hat offensichtlich nicht darauf gedrängt, die Fehlinformation zum Stahlbuch in der Ausstellung zu korrigieren. Die Sprecherin betont lediglich, die Stadt stehe zur Geschichte des Stahlbuchs, das derzeit im Ruhr-Museum gezeigt wird, So seien auf einem Bildschirm im Rathaus-Foyer auch Seiten aus der NS-Zeit zu sehen. Die Stadt freue sich aber, dass die aktuelle Schau in der Rathaus-Galerie „allen Bürgern die Gelegenheit bietet, das Stahlbuch im Vorbeigehen kennenzulernen“.

Die Geschichte des Stahlbuchs

Anders als die meisten Städte besitzt Essen kein „Goldenes Buch“, in das sich bedeutende Persönlichkeiten während ihres Besuches eintragen. Vielmehr ließ der seit 1933 amtierende Oberbürgermeister Theodor Reismann-Grone ein „Stahlbuch“ als Gästebuch anlegen. Essen sei „die größte Metallstadt Deutschlands“ und habe ihren Aufstieg vor allem der Kruppschen Gussstahlfabrik zu verdanken, daher sei ein „Stahlbuch“ angemessener, erklärte er.

Für den Einband, gestaltet von der Buchbindemeisterin Frida Schoy, wurden Stahlplatten verwandt, die bei der Firma Fried. Krupp aus einem 1500 kg schweren, gegossenen Block aus nichtrostendem Chrom-Nickel-Stahl herausgearbeitet worden waren. Als einzige Verzierung schmückte die Vorderseite des Buches das Stadtwappen, eine Emailarbeit der Goldschmiedemeisterin Sigrid Keetmann.

Als der Gauleiter der NSDAP, Josef Terboven, am 28. Juni 1934 heiratete, nahmen Adolf Hitler und Hermann Göring als Trauzeugen teil. Um dieses Ereignis festzuhalten, begann die Stadt Essen damals das neue Gästebuch. Nach Hitler und Göring trugen sich bis zum Kriegsende 1945 weitere NS-Größen in das Stahlbuch ein.

Da der Einband von 1934 keinerlei NS-Insignien aufwies, wurde er nach 1945 für das neue Stahlbuch weiterverwendet. Das Innenleben des alten Stahlbuchs kam hingegen als historisches Dokument ins Stadtarchiv.