Essen. . Die Keramikerin Young-Jae Lee vereint die Bauhaus- und Folkwang-Idee seit Jahren in ihren Arbeiten. Zwei Ausstellungen würdigen nun ihr Werk.

Die Keramikkunst von Young-Jae Lee schafft viele Verbindungen. Nicht nur die Einheit von Kunst und Handwerk ist in den schimmernden Schalen und Bechern ganz selbstverständlich repräsentiert. Ihre Keramische Werkstatt zieht auch Verbindungen quer durch die Stadt. 1924 auf der Margarethenhöhe als Teil der damaligen Künstlersiedlung gegründet und knapp zehn Jahre später auf die Zeche Zollverein verlegt, hält sie nicht nur den Bauhaus-, sondern auch den Folkwang-Gedanken von Karl Ernst Osthaus auf der zum Welterbe avancierten Zeche bis heute lebendig. So war es denn an der Zeit, die Bedeutung der international renommierten Leiterin der traditionsreichen Keramik-Werkstatt, Young-Jae Lee, mit einer Doppelschau zu würdigen. In der Mischanlage der Kokerei Zollverein präsentiert die Folkwang Universität der Künste im Rahmen des Bauhaus-Festivals ihre formschönen Spindelvasen zusammen mit einer Installation der Künstlerin Eun-Mee Lee unter dem Titel „Material zu Form“. Und das Museum Folkwang zeigt eine Auswahl ihrer berühmten Spinatschalen in der Ausstellung „Körper zu Körper“.

Gartensaal wird zur Galerie der schillernden Gefäße

Zauberschön: die Spindelvasen der Keramikkünstlerin Young-Jae Lee in der Mischanlage der Kokerei Zollverein.
Zauberschön: die Spindelvasen der Keramikkünstlerin Young-Jae Lee in der Mischanlage der Kokerei Zollverein. © FUNKE Foto Services | Kerstin Kokoska

Für die 1951 in Korea geborene und 1987 nach Essen übergesiedelte Young-Jae Lee, deren Keramiken in den Museen der Welt ebenso zu Hause sind wie in französischen Feinschmeckerlokalen und im jordanischen Königshaus, ist vor allem die erste (!) Präsentation im Museum Folkwang eine besondere Erfüllung, eine „Schicksalsausstellung“ gar. Der lichte Gartensaal hat sich dafür in eine Galerie der schillernden Gefäße verwandelt. 157 Keramiken werden teils auf dem Boden, teils aber auch in einem eigens entworfenen Regalsystem präsentiert, das mit präzisem Rhythmus die Einzigartigkeit der Serialität in den Blickpunkt rückt.

Die zu kleinen Gruppen arrangierten Spinatschalen bieten dabei ein „Best of“ der Produktion, die bei allem Ringen um die beständige Form doch auch immer Raum für Zufall lässt. Jedes Öffnen des Brennofens sei eine Überraschung – oder auch Enttäuschung, sagt Young-Jae Lee, in deren Werkstatt an der Bullmannaue Töpferwaren für die Geschirrschränke in aller Welt entstehen: Schalen, Teller, Becher, Teeschalen – so formschön wie funktionell. Und spülmaschinenfest.

Aus Teeschalen wurden Spinatschalen

Mit den Teeschalen hat Young-Jae Lee lange gehadert. Vielleicht, weil sie alles andere als eine Zeremonienmeisterin der Keramikkunst ist. Das hat auch mit ihrer koreanischen Herkunft zu tun. Dort wurden solche filigranen Schalen auch in den einfachen Haushalten als ganz normales Essgeschirr benutzt, während sie in der japanischen Gesellschaft eine geradezu kultische Überhöhung erlebten. Young-Jae Lee hat lange über diese unterschiedliche ästhetische Bewertung nachgedacht und eine eigene Lösung gefunden: Aus den Teeschalen wurden in ihrer Produktion Spinatschalen. „Von da an konnte ich sie drehen“, lächelt die Wahl-Essenerin.

Die Überhöhung ist nicht ihre Sache, schon gar nicht die Überhöhung der eigenen Person. Ihr Werk ist vielmehr eine ebenso erhabene wie demütige Verneigung vor dem Material Ton, der bei ihr auch zum Zeugnis einer längst wieder hochaktuellen Denkweise wird: Ihre Kunst will der Erde nicht mehr entnehmen als notwendig. Die Ehrfurcht vor dem Rohstoff prägt die Konzentration auf den Arbeitsprozess. Und aufs Wesentliche. Formen und Farben sind seit Jahrzehnten unverändert. Und doch gleicht kein Gefäß dem anderen.

Rahmenprogramm mit Teeverkostung

Young-Jae Lee, geboren 1951 in Seoul, hat von 1973-78 an der Fachhochschule für Keramik und Formgestaltung in Wiesbaden studiert. 1987 übernahm Lee die Leitung der Keramischen Werkstatt Margarethenhöhe. Zum 100. Jubiläum der Werkstatt entsteht derzeit ein Buch über den traditionsreichen Ort.

Die Ausstellung „Körper zu Körper“ im Museum Folkwang ist bis zum 14. Juli zu sehen. Di bis So 10-18 Uhr, Do/ Fr 10-20 Uhr. Die Schau „Material zu Form“ wird bis zum 30. Juni in der Mischanlage der Kokerei Zollverein, Kokereiallee 71, gezeigt. Mi bis So 12-18 Uhr.

Am 1. Juni, 15 Uhr, gibt es im Museum Folkwang eine Teeverkostung, begleitet von einer Lesung mit Grillo-Schauspieler Thomas Büchel. Am 6. Juli, 11-15 Uhr, lädt die Keramische Werkstatt zu einem Keramikworkshop für Erwachsene. Anmeldungen unter Tel. 8845 444 und info@museum-folkwang.de

Schön zu sehen ist das auch in der Mischanlage der Kokerei Zollverein, wo Young-Jae Lee ihre Spindelvasen auf speziellen Podesten präsentiert. Ihre spezielle Abwandlung der koreanischen Vorratsgefäße fügt zwei getrennt geformte Schalen nahezu spiegelbildlich zusammen. Ascheflocken, die durch den Brand im Holzofen dunkle Einsprengsel und Unebenheiten auf der Oberfläche hinterlassen, zeugen dabei von der Einzigartigkeit jedes einzelnen Objekts. Kombiniert werden diese Gefäße mit Installationen der befreundeten südkoreanischen Künstlerin Eun-Mee Lee, deren Gebrauchsobjekte sich wie Mobiles aus den Trichtern der Mischanlage zu ergießen scheinen. Sie sind weiß gekalkt wie die Handläufe der Mischanlage-Treppe. So kann auch der Besucher ganz haptisch die erste Zollverein-Erfahrung von Lee nachempfinden, als sich der Kohlenstaub wie „schwarzes Blut“ auf den Händen der Künstlerin ablagerte.