Essen. . Ein 81-Jähriger hat auf dem Parkdeck in Essen auf eine ihm völlig unbekannte Frau eingestochen. Die Anklage lautet auf Mordversuch.

Der Angriff kam ohne Vorwarnung, der Täter sagte kein einziges Wort. Vor sechs Monaten hat ein 81-jähriger Mann auf dem Parkdeck des Allee-Centers Essen auf eine ihm völlig unbekannte Frau eingestochen. Seit Freitag beschäftigt der Albtraum-Fall das Essener Schwurgericht. Die Anklage lautet auf Mordversuch.

Der aus Marokko stammende Angeklagte war gerade erst von einer Pilgerreise aus Mekka zurückgekehrt. „Ich bin sehr gläubig“, sagte er den Richtern. Lesen und Schreiben hat er nie gelernt, alles was im Prozess gesagt wird, muss in die Berbersprache übersetzt werden, für die es nach Angaben des Dolmetschers erst seit kurzem überhaupt eine Schriftsprache gibt.

Tatmesser hatte er in seine Hosentasche gesteckt

Es war der 10. September 2018, als das Drama seinen Lauf nahm. Der offenbar psychisch kranke Angeklagte war wie immer schon gegen drei Uhr morgens aufgestanden, das Frühstück ließ er an diesem Tag allerdings ausfallen. Er war allein in der Wohnung, seine pflegebedürftige Frau war bei der Tochter nebenan.

Irgendwann, im Laufe des Vormittags, hatte er sich schließlich zu Fuß zum Allee-Center aufgemacht. Das spätere Tatmesser hatte er in seine Hosentasche gesteckt. Warum ist nicht ganz klar. „Ich wollte bei Karstadt frühstücken“, sagte er den Richtern. Doch dann habe er seinen Plan geändert. „Ich wollte mich umbringen“, ließ er den Dolmetscher übersetzen.

Deshalb sei er mit dem Fahrstuhl auf das oberste Parkdeck gefahren. „Als ich da am Rand stand, habe ich aber plötzlich gedacht: Wenn ich da jetzt runterspringe und sterbe, komme ich in die Hölle. Davor hatte ich Angst.“

Mehrere Passanten waren der Frau zu Hilfe gekommen

In dieser Situation sei er auf den Gedanken gekommen, die Frau zu verletzen. Weil dann die Polizei kommen und ihn ins Gefängnis stecken würde. „Ich wollte sie aber nicht umbringen“, so der 81-Jährige. „Ich wollte nur Blut sehen.“

Die 60-Jährige hatte auf dem Parkdeck gestanden und telefoniert. Den Angeklagten hat sie erst gar nicht wahrgenommen. Auch die ersten beiden Stiche nicht. Doch dann hat sie um ihr Leben gekämpft.

Mehrere Passanten waren ihr zu Hilfe gekommen, hatten den Angeklagten angeschrien, ihn festgehalten, sich um die blutende Frau gekümmert. „Ich habe ihn gefragt, was das sollte“, sagte einer der Helfer als Zeuge vor Gericht. „Er hat aber immer nur geantwortet: Das war richtig so.“

Offenbar Hinweise auf Depressionen und Demenz

Die Ärzte hatten später zahlreiche Stiche festgestellt – in den Brustkorb, in die Hand. „Sie hat bis heute massive psychische Probleme“, sagte ihr Anwalt Tobias Degener am Rande des Prozesses. „Wenn sie in der Straßenbahn jemanden sieht, der die Hände in den Taschen hat, denkt sie sofort: Der hat ein Messer.“

Es könnte sein, dass der an Diabetes leidende Angeklagte zur Tatzeit in eine starke Unterzuckerung gefallen ist. Außerdem gibt es offenbar Hinweise auf Depressionen und Demenz. Die Richter am Essener Schwurgericht müssen deshalb prüfen, ob der Angeklagte überhaupt schuldfähig ist. Und ob er zum Schutz der Allgemeinheit in die geschlossene Psychiatrie eingewiesen werden muss.