Essen. . Die SPD-Bundeschefin Andrea Nahles sprach am Dienstag im Essener Mariengymnasium. Es ging um ihre Jugend – und wieso Politik nicht abgehoben ist.
Als Andrea Nahles 14 Jahre alt war, lüftete sie ein Familiengeheimnis. „Zufällig bekam ich heraus, dass mein Opa Mitglied der NSDAP gewesen war“, berichtet die SPD-Bundesvorsitzende am Dienstag vor rund 200 Oberstufenschülern des Mariengymnasiums in Werden. „Das war für mich ein Schlag, denn es war mein Lieblings-Opa, den ich immer sehr gern mochte.“ Bis zum Tod ihres Großvaters, erzählt die Politikerin, habe sie regelmäßig „mit ihm darüber geredet. Er fand, dass das ein Fehler gewesen war. Trotzdem stritten wir oft darüber.“
Von Merkel kam eine Absage in Werden an
Warum die 48-Jährige das überhaupt erzählte? Weil Schülersprecher Lennard Kelbch sie gefragt hatte, warum sie überhaupt in die Politik gegangen ist. Der 18-Jährige und Co-Schülersprecher Ole Düsterhöft laden seit März 2017 regelmäßig prominente Politiker an die Bistumsschule ein - immerhin: Norbert Lammert und Armin Laschet waren schon da. Auch an Merkel haben sie mal eine schriftliche Einladung geschickt. Aber: „Da kam eine höfliche Absage“, sagen Kelbch und Düsterhöft schmunzelt. Trotzdem: „Wir sind überrascht, dass wir so hochkarätige Politiker an unsere Schule bekommen.“
Andrea Nahles hatten sie letzten Sommer angeschrieben. Die rauscht um 12.36 Uhr aus ihrer Heimat in der Eifel an, steigt aus, schaut sich um und sagt: „Schön grün habt ihr’s hier!“ Dann schneller Schritt ins Schulgebäude, 15 Minuten freie Rede über Europa: „Die Wahl am 26. Mai ist die wichtigste seit zehn Jahren, denn Europa steht unter Druck!“
Sie gründete einen SPD-Ortsverein, „weil das am meisten Ärger macht“
Schließlich fragt Lennard Kelbch sie nach ihrer Jugend, und Andrea Nahles berichtet anschaulich, pointiert und unterhaltsam: „Als ich das mit meinem Opa herausgefunden hatte, hab’ ich mich gefragt, was ich selbst tun kann.“ Also gründete sie in ihrem Eifeler Heimatort einen SPD-Ortsverein, den gab es dort im katholisch-konservativen Dorf noch gar nicht. „Ich überlegte, was macht hier den meisten Ärger. Da fiel mit die SPD ein. Auch meine Eltern waren gar nicht erfreut.“ Sie kämpfte für die Einrichtung eines Jugendraums im Dorf, „den wollte der Bürgermeister nicht, es hieß, das macht nur Krach und Ärger.“
Und jetzt, mehr als 30 Jahre später? Appelliert sie eindringlich an die Oberstufenschüler, das Thema Europa ernst zu nehmen und sich gegen Tendenzen wie in Polen, Ungarn oder Großbritannien zu wehren, die auf Vereinzelung setzen. „Wir sind hier ein Sehnsuchtsort für viele, die kommen. Das wissen wir überhaupt nicht zu schätzen.“ Sie spricht von der „Dreifaltigkeit Europas“, „in einer Bistums-Schule wird eine solche Formulierung wohl erlaubt sein.“
Sie spricht von einer „Dreifaltigkeit Europas“
Die „Dreifaltigkeit“ bestehe aus starker Wirtschaft, starken Sozialstaaten und stabilen Demokratien. „So etwas gibt es nirgendwo sonst auf der Welt. Nicht in Asien, nicht in Amerika.“ Wer in Zeiten digital entfesselten Kapitalismus’ den Googles und Amazons dieser Welt die Stirn bieten will, müsse zusammenhalten: „Nur Europa gemeinsam konnte Google eine Milliarden-Strafe aufbrummen wegen nicht gezahlter Steuern. Alleine hätte das niemand hinbekommen.“
Andrea Nahles räumt ein, dass das politische Geschäft anstrengend und mitunter frustrierend sei. „Letztes Jahr war ein beschissenes Jahr, ich sag’ nur Horst Seehofer.“ Doch sie wehrt sich gegen den populären Vorwurf, die Politik sei abgehoben und Berlin ein Raumschiff: „Wir wissen sehr wohl, was die Menschen denken. Es gibt Länder, da haben Politiker keinen Wahlkreis, da mag das anders sein. Doch wenn ich zu Hause in der Eifel bin, bekomme ich mit, dass zum Beispiel das Thema Diesel die Leute umtreibt.“
„Ein ganz beschissenes Jahr“
Und trotz des Frustes – das Engagement lohne sich für Tage wie jenen, als sie als Arbeitsministerin den bundesweiten Mindestlohn durchgesetzt hat. „Da ging es mir gut.“ Doch man müsse sich von der Vorstellung verabschieden, dass sich Einsatz immer sofort auszahle.
Den Jugendraum in ihrem Heimatdorf – kein Witz: Den gibt es heute noch nicht.