Die Chefs der Essen Marketing GmbH über die emotionalen Defizite der Essener Innenstadt und warum Events und Gastronomie der richtige Weg sind.

Herr Röhrhoff, Herr Groppe: Die Essen Marketing Gesellschaft EMG hat die Rheingold-Studie zur Innenstadt in Auftrag gegeben. Als Ergebnis kam nun heraus, dass sie nicht einladend ist, dass Aufenthaltsqualität und Flair fehlen. Hätte es für diese Erkenntnis wirklich eine solche Studie gebraucht?

Richard Röhrhoff: Dann stell ich mal die Frage zurück: Warum ist denn dann bislang nichts passiert?

Nicht einladend? Im Sommer hat die Kettwiger Straße noch am ehesten Flair.
Nicht einladend? Im Sommer hat die Kettwiger Straße noch am ehesten Flair. © Kerstin Kokoska

Sagen Sie’s mir!

Röhrhoff: Weil genau dieses Element gefehlt hat. Die Reaktionen der Politik, die zum Teil auch in diese Richtung gehen, zeigen jedoch, dass das Ergebnis überhaupt nicht verstanden wurde.

Was lesen Sie denn dann Wichtiges aus der Studie heraus?

Röhrhoff: Dass Essen eine emotionale Mitte braucht. Und das hat nicht nur mit Kaugummi auf den Straßen, fehlenden Bänken und Toiletten oder zu wenig Grün zu tun. Sondern das hat etwas mit einem Gefühl zu tun. Diese Stadt hat sich in den 1950er/60er Jahren nur noch auf das Thema Einkaufen kapriziert. Doch in Zeiten von Globalisierung und Digitalisierung fällt diese Klammer weg.

Aber man kann doch eine attraktive Innenstadt nicht von Themen wie Sauberkeit, Sicherheit etc. trennen.

Dieter Groppe: Das ist richtig. Es muss natürlich ein Gesamtpaket sein.

Röhrhoff: Dieser Prozess ist größer. Es geht jetzt nämlich um die Frage: Welchen Nutzen soll die Innenstadt in Zukunft haben?

Brauchten Sie erst Argumente von außen, um Politik und Verwaltung zu überzeugen? Nach dem Motto: Dem Propheten im eigenen Land glaubt man nicht.

Röhrhoff: Ich denke, das ist so. Ich würde mir für den Prozess mehr Respekt wünschen. Rheingold ist ja nicht irgendeine Bude, sondern ein renommiertes Institut, das sich auch mit Zukunftsfragen des Handels beschäftigt.

Die Diskrepanz zwischen subjektivem Sicherheitsgefühl und der nachweisbaren Lage

Welche Ergebnisse der Befragung haben Sie denn überrascht?

Groppe: Beim Thema Sicherheit haben viele Frauen ein eher subjektives Unsicherheitsgefühl geäußert. Gerade wenn sie allein in der Innenstadt unterwegs sind und dort auf Männer in Gruppen treffen. Dann beschleicht viele ein ungutes Gefühl, obwohl tatsächlich nichts passiert. Wenn es in der Innenstadt aber Veranstaltungen gibt, dann fühlen sie sich wohl und gehen gerne dorthin. Was wir daraus lernen: Wenn man Anlässe hat, dann entsteht ein Gemeinschaftsgefühl. Und diese Emotionalität muss künftig stärker herauskommen.

In den sozialen Medien, aber auch von manchen Innenstadt-Akteuren gibt es Kritik, dass die Qualität der Läden abnimmt. Gleichzeitig sagen die Leute – auch in der Rheingold-Studie –, dass sie vor allem zum Einkaufen in die Innenstadt kommen. Wie passt das zusammen?

Groppe: Unser großes Angebot an Läden ist Stärke und Schwäche zugleich. Die Stärke ist, dass wir im Grunde alles haben. Die Schwäche ist, dass es viele Geschäfte auch überall anders gibt. Früher sind die Leute aus dem gesamten Ruhrgebiet nach Essen gefahren. Aber das ist nicht mehr.

Röhrhoff: Das Thema Einkaufsstadt war hier über Jahrzehnte gesetzt. Und man hat überhaupt nicht gemerkt, dass dieser Glanz, der davon einst ausging, längst verblasst ist. Diesen Glanz der alten Einkaufsstadt werden wir auch nicht mehr bekommen. Wir müssen jetzt dem Orkan, der mit der Digitalisierung auf uns zu kommt, ins Auge sehen und handeln. Da helfen aber keine kleinteiligen Einzelmaßnahmen, die von irgendwo her gefordert werden. Sondern wir haben jetzt das große Ziel, Essen eine emotionale Mitte zu geben.

Klingt gut aber was meint das?

Röhrhoff: Die Innenstadt muss ein Ort werden, wo die Leute einfach mal so hingehen. Das tun die meisten nämlich bis jetzt nicht. Die meisten kommen nur zum Einkaufen und sind dann wieder weg. Das muss sich ändern, die Innenstadt muss mehr sein. Deshalb müssen wir jetzt genau überlegen, welche Funktion die Innenstadt haben soll.

Wohnen in der Innenstadt ist für die EMG-Chefs eher Theorie und kein Allheilmittel

Die Politik schlägt unisono mehr Wohnen in der Innenstadt vor, um sie mehr zu beleben.

Röhrhoff: Die Politik weiß doch sehr genau, dass der Bebauungsplan für die Innenstadt Wohnen zum Teil gar nicht vorsieht. Außerdem sind die Gebäude überhaupt nicht dazu ausgelegt. Teilweise gibt es noch nicht einmal Hauseingänge zu den oberen Stockwerken. Es gibt ja schon Wohnungen in der Innenstadt, diese sind aber oft nicht besonders attraktiv, so dass wir derzeit keinen optimalen sozialen Mix haben. Aber genau das sollte doch das Ziel sein, denn wir wollen doch mehr Wohlfühl-Gefühl erreichen. Nicht nur Wohnen bringt Belebung, auch das Thema Arbeiten und Büros.

Aber nicht nach 20 Uhr.

Röhrhoff: Das ist doch in anderen Städten auch nicht anders. Oder gehen Sie jeden Abend raus?

Nein. Aber schauen Sie nach Rüttenscheid. Dort funktioniert es, weil dort Menschen nicht nur arbeiten sondern auch wohnen.

Röhrhoff: Rüttenscheid ist doch auch durch die Messe beatmet. Die gastronomische Szene wäre ohne diese Nähe gar nicht so entstanden. Vielleicht geht man heute aber auch nach Rüttenscheid, weil es in der Innenstadt gar nicht so viele Angebote gibt. Für eine 600.000-Einwohnerstadt, noch dazu mitten in der Metropole Ruhr, hat unser gastronomisches Angebot noch viel Potenzial. Auch im Nachtleben hat Essen noch eine Menge Luft nach oben. Deshalb glaube ich, dass in der Innenstadt noch eine Menge geht.

Wie geht es nun nach der Befragung weiter?

Groppe: Wir erarbeiten jetzt mit der Stadtplanung und Essener Wirtschaftsförderung ein Konzept, in dem wir zunächst definieren, welche Funktion die Innenstadt haben soll. Daraus ergeben sich dann automatisch die richtigen Maßnahmen.

Was heißt das konkret?

Röhrhoff: Nehmen wir das Beispiel Plätze. Die Befragung hat gezeigt, dass für die Menschen die Plätze heute eher wie Freiräume wirken. Wir müssen uns also als erstes über deren Funktion unterhalten. Dabei werden Fragen aufkommen, ob ein Platz gastronomisch genutzt wird, ob er mit Veranstaltungen bespielt wird, oder ob da gar wieder Autos parken oder fahren. Das Wichtigste ist, dass wir das jetzt mal offen und frei von Dogmen diskutieren sowie einseitige Fokussierungen aufgeben. Denn das hat uns doch die ganze Zeit gelähmt. Der eine schreit nach einem Klo, der andere nach einer Mülltonne und alle meinen, dass mit diesen Sachen die Innenstadt gerettet wird.

Die EMG will wissen, „was das Herz erwärmt“, wenn es um die Innenstadt geht

Was ist daran falsch?

Das mag alles seine Berechtigung haben, aber so kommen wir offensichtlich nicht weiter. Deshalb erarbeiten wir jetzt eine Strategie und leiten Maßnahmen daraus ab. Dafür werden wird uns auch Leute von außen holen, die Ideen einbringen. Das ist auch ein Unterschied zu allen bisherigen Anläufen. Und wenn diese Maßnahmen feststehen, werden diese nochmals mit den Befragten gespiegelt. Wir machen also nicht irgendwas. Sondern wir fragen die Leute, ob es das ist, was ihr Herz erwärmt, wenn sie in die Innenstadt kommen.

Das klingt nicht danach, dass sich etwas von heute auf morgen ändert. Und über Geld haben wir noch gar nicht gesprochen. Was kann kurzfristig passieren, um der Innenstadt zu helfen?

Groppe: Langfristig wird es mit Sicherheit bauliche Veränderungen und Maßnahmen geben. Für die Übergangszeit, bis es baulich losgehen kann, können wir noch einiges mit Veranstaltungen tun. Wir haben ja gesehen, dass die Leute gern kommen, wenn etwas los ist. Also brauchen wir mehr davon.

Das kostet aber auch Geld, was die EMG so nicht hat?

Röhrhoff: Es muss ja nicht immer um Großes gehen. Ich denke, wenn die EMG 200.000 bis 300.000 Euro von der Stadt dazubekommt, dann lässt sich damit viel machen. Ein einfaches Beispiel: Wir wollen in diesem Jahr den Triathlon vom Baldeneysee mit in die Stadt hochziehen. Wenn dann die Radfahrstrecke durch die City geht, ist doch gleich was los. Das muss also gar nicht so kompliziert sein.

Groppe: Und die Stadt könnte zum Beispiel auf die Sondernutzungsgebühren verzichten, die sie heute von der EMG verlangt. Dafür zahlen wir im Jahr 100.000 Euro. Dabei sind die Veranstaltungen ja auch im Interesse der Stadt.

Von welchen Zeiträumen reden wir?

Röhrhoff: Stadtplanung, Wirtschaftsförderung und wir sind uns einig, dass das Konzept bis Mitte 2020 auf dem Tisch liegen soll. In fünf bis sechs Jahren sind wir vielleicht dann mit den ersten Maßnahmen schon unterwegs.

Hat Essen so viel Zeit?

Groppe: Ja, ich glaube schon. Andere Städte sind ja längst nicht so weit.

Röhrhoff: Wir werden die Übergangszeit ja auch nicht nur mit Veranstaltungen bespielen sondern die Zeit nutzen, den Standort zusammen mit der Wirtschaftsförderung zu vermarkten. Damit sind wir in der Vergangenheit nicht selbstbewusst genug umgegangen. Dafür brauchen wir natürlich auch die Eigentümer der Immobilien, die dann auch für neue Nutzungskonzepte offen sein müssen. Ich denke aber, dass uns das gelingt. Denn auch der Druck bei denen steigt.