Essen. Betriebe suchen rat beim Essener Unternehmensverband im Umgang mit dem „dritten Geschlecht“. Was Rechtsanwalt Ulrich Kanders den Firmen rät.
Das neue Jahr 2019 bringt ein neues Geschlecht. Seit dem 1. Januar können Intersexuelle – Menschen die sich weder eindeutig dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen können – „divers“ im Personenstandsregister eintragen lassen. Das hatte das Bundesverfassungsgericht beschlossen. Im Kern geht es in dem Gesetz um Minderheitenschutz und die Anerkennung von Geschlechts-Identitäten jenseits von Mann und Frau. Besonders bei Arbeitgebern tauchen dieser Tage aber einige Fragen auf, wie sie künftig frei von Diskriminierungen mit ihren Mitarbeitern umgehen sollen: Wie spreche ich meine Mitarbeiter an? Und braucht es jetzt eine neue Toilette?
Ulrich Kanders, Rechtsanwalt und Hauptgeschäftsführer des Essener Unternehmensverband e.V. (EUV) ist auf Arbeitsrecht spezialisiert und versucht den Firmen einige Unsicherheiten zu nehmen. „Unternehmen müssen jetzt insbesondere bei Stellenanzeigen Rücksicht nehmen. Betriebe fragen, wie formuliere ich eine Stellenausschreibung gemäß der neuen Bestimmungen?“, sagt Ulrich Kanders. Das kann nämlich mit Blick auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz künftig teuer werden. „Wenn sich ein diverser Mensch auf eine Stelle bewirbt und aufgrund seiner Geschlechtszugehörigkeit abgelehnt wird, hat er das Recht das Unternehmen zu verklagen. Er könnte mit bis zu drei Monatsgehältern entschädigt werden.“
Der EUV rät dazu, hinter die Stellenbeschreibung nicht mehr nur die Buchstaben „m“ und „w“ für männlich und weiblich zu setzen, sondern auch ein „d“ für divers. Klickt man durch Bewerbungsportale im Internet suchen Essener Firmen derzeit beispielsweise einen Versicherungskaufmann oder Elektriker (m/w/d) andere Firmen wie Thyssenkrupp schicken bei ihre Stellenbeschreibungen ein „All genders welcome“ (Alle Geschlechter willkommen) in Klammern hinterher.
Der Gesetzgeber lässt allerdings offen, wie künftig das dritte Geschlecht generell angesprochen werden soll, er hält nämlich das generische Maskulin für ausreichend. In der Unternehmenskommunikation könne man seine Mitarbeiter aber sehr wohl nach dem Muster „Sehr geehrte Damen und Herren und Diverse“ ansprechen, meint Rechtsanwalt Ulrich Kanders.
Firmen fragen nach neuem WC
Darüberhinaus könnte das neue Gesetz in Zukunft Auswirkung auf die Zusammensetzung der Betriebsräte haben, wenn es um die Berücksichtigung von betrieblichen Minderheiten geht. „Das ist derzeit aber alles noch unklar“, meint Ulrich Kanders.
Die Essener Unternehmen treibt indes eine andere, ganz praktische Frage um: Muss es jetzt eine weitere Toilette geben? Gemäß der Arbeitsstättenverordnung (AVO) müssen getrennte Sanitäreinrichtungen für Männer und Frauen bereitgestellt werden. Doch auch hier sorgt das neue Gesetz für Verwirrung. „Wir raten dazu die Behindertentoilette gleichzeitig zur Toilette für divers-Menschen zu machen, wenn es die Räumlichkeiten nicht anders hergeben“, sagt Ulrich Kanders. Langfristig geht er aber davon aus, dass sich das Unisex-WC durchsetzen wird, wie es bereits in anderen Ländern geschehen ist.
Doch wie viele Menschen sind von der Regelung überhaupt betroffen? Schätzungsweise gelten bundesweit etwa 80.000 bis 120.000 Menschen als intersexuell. Das sind etwa 0,1 bis 0,2 Prozent der Bevölkerung. Bevor Firmen also Maßnahmen in Sachen Geschlechterdiversität treffen, rät Ulrich Kanders: „Das wichtigste ist das Gespräch mit den Betroffenen, ob das überhaupt publik werden soll.“ Er geht davon aus, dass die wenigsten auf eine Sonderbehandlung aus sind.