Essen. . Buddhisten, Muslime, Freigeister und Wissenschafts-Fans versammeln sich jetzt in Essens Nordcity unter einem Dach: im neuen Vielrespektzentrum.
Der Oberbürgermeister spricht von einem Happy End, dabei ist dies erst der Anfang: Am Samstag wird das Vielrespektzentrum an der Rott-straße im Nordviertel eröffnet, und Thomas Kufen sieht die Chance, dass dieser Stadtteil, der oft mit Respektlosigkeiten in die Schlagzeilen gerate, hier ein anderes, „stärkeres Signal“ aussende.
Zu verdanken ist dies dem ehemaligen IT-Unternehmer und heutigem Multi-Macher Reinhard Wiesemann, der die Nordcity schon mit Unperfekt-Haus und Geku-Haus beschenkt hat, und der die Kreuzeskirche als Gotteshaus und Veranstaltungsraum im Herzen des Viertels gerettet hat. Just hier sind heute rund 200 Gäste – Ur-Essener und Zugewanderte, Politiker, Diplom-Engagierte und Berufs-Religiöse – versammelt, um das neue Wiesemann-Kind zu begrüßen.
„Respekt können wir von jedem einfordern“
Wiesemann selbst ist keiner der genannten Gruppen zuzuordnen, er handelt nicht als Lobbyist für eine Sache, sondern als einer, der mit fast 60 Jahren seine kindliche Neugier bewahrt hat, der immer nur Projekte macht, „die mir Spaß machen – dann kann man am meisten bewegen“. In diesem Fall will er „dafür Reklame machen, dass Vielfalt eine schöne Lebensart ist“. Bekanntlich empfinde das nicht jeder so, gebe es etwa Reibung zwischen Kulturen und Religionen, Konservativen und Freigeistern. Man könne nicht erwarten, dass jeder sich auf einen Austausch einlasse, den anderen verstehen wolle: „Aber Respekt können wir auch von jenen einfordern, die den Islam nicht kennenlernen wollen oder nicht wissen wollen, wie Schwule leben.“
So also entstand die Idee des Vielrespektzentrums, das nur die halbe Vielfalt im Namen trägt, doch sie in ganzer Breite anbieten will. Wiesemann, der gern mit vielen Beratern arbeitet, hat hier 216 ehrenamtliche Tippgeber an seiner Seite. Und während er sonst immer den Hut aufgehabt habe, hat er diesmal einen hauptamtlichen Leiter engagiert, der eigens aus Berlin nach Essen gezogen ist und nicht mal halb so alt ist wie er: Ali Can (25).
Glaubensraum und nebenan Raum der Wissenschaft
Der Sozialaktivist mit türkischen Wurzeln hat die Hotline für besorgte Bürger erfunden, hat ihre Ängste vor Migration und Andersartigkeit mit Aufklärung beantwortet. Der Versuchung, andere zu etikettieren und zu verurteilen, erlägen übrigens auch jene, die sich für tolerant hielten. „Wir hingegen sprechen keine Gruppen an, sondern jeden einzelnen Menschen mit seiner eigenen Geschichte und Persönlichkeit.“
Das Vielrespektzentrum habe auch keine politische Ausrichtung, sondern wolle die Werte des Grundgesetzes veranschaulichen – mit Leben füllen müssten das Haus andere. Und dabei gehe es nicht allein um Glauben, stellt Can klar. Die Religion sei „ein Teil der Zielgruppe“.
Als die Gäste von der Kirche ins Vielrespektzentrum ziehen, erleben sie, was das heißt: Da liegt der Raum für Wissenschaft gegenüber vom Glaubensraum, da bietet die „Wertschaffende Gesellschaft“ Buddhismus-Workshops an, da finden sich ein kuscheliger Snoezelraum und ein Raum der Stille neben Seminarräumen, die von Jedermann bespielt werden können. Viel Raum für Entfaltung und Diskussion.
„Wir danken Herrn Reinhard – für uns ist er Jesus“
Muslime dürfen sich über einen Gebetsraum freuen, den ersten in der Innenstadt, wie Muhammet Balaban vom Initiativkreis Religionen in Essen betont: „Jetzt müssen Muslime nicht mehr auf der Kettwiger ihren Gebetsteppich ausrollen oder Frauen Umkleidekabinen zum Beten nutzen.“ Dankbar ist auch Therese Vesoh von der „Igbo Women Association“, die sich schon seit einem Jahr hier treffen darf: Sie fällt vor dem – sichtlich verlegenen – Reinhard Wiesemann auf die Knie. Die Frauen aus Nigeria wollen ihren Kindern ihre Traditionen weitergeben und ihnen den Weg in ihrer neuen Heimat ebnen. Jahrelang haben sie bezahlbare Räume gesucht: „Hier zahlen wir keinen Cent“, sagt Vesoh. „Wir danken Herrn Reinhard so sehr – für uns ist er Jesus.“
Dabei begegnet Wiesemann Religion mit freundlicher Skepsis und lehnt Heldenverehrung ab. Aber wie sagt der Oberbürgermeister angesichts der „großartigen Atmosphäre und der beseelten Menschen im neuen Haus: „Reinhard, Dein Platz im Himmel ist Dir sicher!“
>>> VIELFALT UND RESPEKT ALS BASIS DES LEBENS
Die Macher des Vielrespektzentrums an der Rottstraße 24 in Essen sehen Vielfalt und Respekt als eine Basis unseres Lebens und Mitgrund für unseren Wohlstand.
Infos: www.unperfekthaus.de/projekte/vielrespektzentrum
Daher stellen sie 1000 Quadratmeter bereit, die von Ehrenamtlichen, religiösen oder nicht-religiösen Gruppen kostenlos genutzt werden können. Es gibt auch einen Gebetsraum für Muslime.