Thomas Kufen (CDU) spricht im Interview über die Bedeutung des Gesundheitssektors in Essen. Und räumt ein Nord-Süd-Gefälle in der Versorgung ein.
Einkaufsstadt, Kulturhauptstadt, Grüne Hauptstadt, Gesundheitsstadt: Die Stadt Essen hat sich schon so manchen Sticker an die Brust geklebt. Warum der Gesundheitssektor weiterhin oben auf der politischen Agenda steht, erklärt Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) im Interview.
Wie wichtig ist der Gesundheitssektor für die Stadt Essen?
Der Gesundheitssektor spielt für uns eine sehr große Rolle. Im Gesundheitsbereich sind wir Nr.1 im Ruhrgebiet und Nr. 2 in Nordrhein-Westfalen, was die Behandlungszahlen und was die Breite der medizinischen Angebote angeht. Der Gesundheitssektor ist der größte Arbeitgeber in Essen. Dazu gehören der Pflegedienst, genauso wie Apotheken, Krankenhäuser oder Zulieferer. Wir haben gerade im Bereich der Zulieferer große Firmen wie Roeser oder Noweda, die dazu beitragen, dass die wirtschaftliche Entwicklung hier sehr stark weitergeht. Und wir haben am Standort Spitzenmedizin, die für jedermann zugänglich ist. Darauf können wir stolz sein, denn das ist alles andere als selbstverständlich, auch mit Blick auf unsere europäischen Nachbarn.
Der Gesundheitssektor gilt als Wachstumstreiber. Wie fördert die Stadt diese Entwicklung?
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Das eine ist, dass wir die Verbünde stärken, sowohl die Klinikverbünde als auch die übergreifenden. Wir haben einen sektorübergreifenden Schlaganfall-Verbund, einen Verbund im Bereich Hospiz und Palliativmedizin und das Netzwerk „Essen.Gesund.Vernetzt“, indem die Akteure des Gesundheitssektors zusammenkommen. Netzwerkstrukturen sind sehr wichtig und eine unserer Stärken. Seitdem ich Oberbürgermeister bin, gibt es einmal im Jahr ein Gesundheitsforum, wo alle Akteure zusammenkommen, um sich auszutauschen.
Wo gibt es noch Nachholbedarf?
Im Bereich Gesundheitsmessen müssen wir noch besser werden. Da passiert noch zu wenig im Veranstaltungskatalog der Messe Essen. Außerdem sind wir in Gesprächen mit internationalen Partnern, beispielsweise in Dubai und in Japan, um ausländische Patienten und unseren Wissenstransfer besser zu organisieren. Wir müssen diese Gesundheitskarte einfach nationaler und internationaler spielen, weil es ein großer Trumpf zur Sicherung der Arbeitsplätze in Essen ist.
Viele innovative Start-ups tun sich im „Healthcare“-Bereich hervor und bringen die Digitalisierung voran. Hat die Stadt diese Entwicklung im Blick?
Genau das ist Aufgabe der Essener Wirtschaftsförderung (EWG), die das Thema nach vorne bringt. Mit dem Camp Essen und mit dem Ruhr:Hub haben wir zwei Inkubatoren, die Starthilfe leisten. Außerdem haben wir eine neue Start-up-Unit bei der EWG gegründet, mit einem kleinen Team, das auf ganz bestimmte Bereiche schaut.
Mit Blick auf die Krankenhauslandschaft in Essen, die sich mit den Zusammenschlüssen bei den katholischen und evangelischen Verbünden auch in den nächsten Jahren verändern wird: Sind alle Stadtteile gleich gut versorgt?
Wir haben schon sehr unterschiedliche Ausprägungen in den Stadtteilen. Mit den 16 Kliniken erreichen wir aber insgesamt eine gute Abdeckung. Regelmäßig weisen uns die Kostenträger und die Landesregierung darauf hin, dass wir mit Blick auf die Bettenzahlen hier eigentlich eine Überversorgung in Essen haben. Damit müssen wir umgehen. Die Kliniken sind dabei massiven Anpassungsprozessen unterworfen. Und die Verbünde, gerade auf evangelischer Seite, sind davon getrieben, dem Rechnung zu tragen.
Gilt das auch für die Arzt- und Notfallversorgung? Im Essener Norden gab es zuletzt Engpässe.
Was die Ärzteversorgung angeht, stehen wir grundsätzlich gut da. Allerdings haben wir einen Mangel an Kinderärzten im Essener Norden. Das liegt sicherlich auch an der Struktur von bestimmten Wohnquartieren. Mit den Krankenkassen arbeiten wir daran, dass wir auch hier eine gute Hausarzt- und Kinderarzt-Versorgung erreichen. Bei Notfällen haben wir eine sehr gute Abdeckung. Die acht Minuten, die wir von der Aufnahme bis hin zu einer Versorgung in einem stationären Haus haben, ist bundesweit beachtlich. Lange Rede, kurzer Sinn: Besser man bleibt gesund, wenn man mal krank wird, dann in Essen.
In der Pflege herrscht nach wie vor Fachkräftemangel. Wie geht die Stadt mit dem Thema um?
Ein wichtiger Tanker ist dabei das Uniklinikum, was die medizinische Ausbildung angeht. Dass wir hier insbesondere in der Altenpflege einen Fachkräftemangel haben, ist richtig. Das ist aber kein besonderes Essener Phänomen, sondern insgesamt so. Unsere Jobcenter sind darauf konzentriert, diesen Bedarf zu decken. Bei der Berufsorientierung weisen wir gezielt auf die Pflegeberufe hin. Ich bin auch für neue Berufsbilder in diesem Bereich. Wir setzen hier Impulse, über die Instrumente, die wir haben: über den Städtetag, über die Fachkreise, die Kassenärztlichen Vereinigungen, über unsere Netzwerke.
Auch die Essener Stadtbevölkerung wird immer älter. Sind in Zukunft alle Bürger altersgerecht versorgt?
In der Altersmedizin haben wir sehr früh die Erforschung von dementiellen Erkrankungen auf den Weg gebracht. Hier haben wir eine Expertise, die uns auch großes internationales Renommee einbringt. Es fehlt in Essen vor allem an neuen altengerechten Wohnformen. Nur die Optionen, ich wohne zu Hause oder gehe ins Pflegeheim, sind auf Dauer zu wenig. Da muss noch ein Zwischenschritt geschaffen werden. Gerade auch mit Blick auf Generationenprojekte und Alten-WGs. Wir sind deshalb momentan in Gesprächen mit den großen Wohnungsgesellschaften.
Das Interview führte Sebastian Hetheier.