Marc Heistermann, Chef des Essener Handelsverbands, über den Kampf um verkaufsoffene Sonntage und das schlechte Image der Innenstadt.
Herr Heistermann, der Handel kämpfte 2018 erfolgreich für eine Reform der verkaufsoffenen Sonntage. Doch nun schöpfen die Händler die neuen Möglichkeiten 2019 gar nicht aus. Warum eigentlich?
Marc Heistermann: Die Ausweitung, die das neue Gesetz gebracht hat, geht an großen Teilen der Zielgruppe vorbei. Es mag guter Wille der Landesregierung gewesen sein, mehr verkaufsoffene Sonntage zu erlauben, aber vielen mittelständigen Händlern – gerade in den Stadtteilen – bringt die größere Anzahl nichts. Sie würden so viele Veranstaltungen gar nicht stemmen können und gleichzeitig befürchten sie Marktverschiebungen, wenn diese ausgeschöpft würden, weil vor allem die Filialisten in der Lage wären, diese anzubieten. So würden Besucherströme in die großen Zentren gelenkt.
Dann wäre die ganze Aufregung um die Verkaufssonntage gar nicht notwendig gewesen?
Uns geht es nicht um mehr Sonntage, sondern wir haben vor allem Rechtssicherheit gefordert. Doch diese Rechtssicherheit hat weder die alte noch die neue Gesetzeslage gebracht. Wenn man als Händler in einer Werbegemeinschaft einen Anlass für eine Sonntagsöffnung schaffen soll, die auch vor Gericht Bestand hat, braucht man neben Geld und ausreichend Zeit für die Vorbereitung auch Planungssicherheit. Eine solche kann es aber nicht geben, wenn sich Verdi regelmäßig bis zuletzt offen hält, ob sie eine Sonntagsöffnung angreift. Wenn dann tatsächlich die Sonntagsöffnung untersagt wird, ist der Schaden natürlich maximal groß, was auch die Triebfeder für ein solches Vorgehen sein mag. Gerade an kleineren Standorten ist dieses Vorgehen ein ganz empfindlicher Nadelstich.
Wie Anfang Dezember in Kupferdreh passiert.
Genau. Obwohl Verdi das Klageverfahren sogar letztlich verloren hat, musste die Händlerschaft den verkaufsoffenen Sonntag wegen der Unsicherheit absagen. Die Händler hätten das in so kurzer Zeit nicht mehr hinbekommen. Ich kann deshalb das Vorgehen von Verdi absolut nicht mehr nachvollziehen. Wie kann man solchen kleinen Standorten, die ohnehin zu kämpfen haben, so schaden? Da muss doch mit Augenmaß vorgegangen werden. Ich kann ja verstehen, dass gerne politische Signale gesetzt werden.Wenn Verdi in der Essener Innenstadt einen Verkaufssonntag kaputt macht oder im Centro, dann liest man das auch in München. Aber ob Essen-Kupferdreh als ein solches Exempel taugt, wage ich doch stark zu bezweifeln.
Was sind langfristig die Folgen?
Es gibt Sonntagsöffnungen, für die die ehrenamtlich Tätigen in den Werbegemeinschaften mitunter pro Veranstaltung 60 Seiten Begründung schreiben, um Stadtverwaltung und Stadtpolitik darzulegen, warum für eine Sonntagsöffnung ein ausreichendes öffentliches Interesse besteht. Da rechne ich so etwas, wie ein Sicherheitskonzept noch nicht mal mit dazu. Von den Ehrenamtlichen wird mittlerweile so viel abgefordert, dass man sich immer mehr wundern muss, dass sich diese noch bereiterklären, das für ihren Stadtteil zu tun.
Vier oder auch acht Verkaufssonntage im Jahr können doch für einen Händler nicht entscheidend sein. Wird die Bedeutung nicht überhöht?
Man könnte dagegen halten, dass in 30 Minuten Entfernung in Roermond die Läden an 363 Tagen geöffnet haben. Das wollen wir hier nicht, aber es ist eine Konkurrenzsituation, der wir uns stellen müssen. Außerdem: Der Haupteinkaufstag im Internet ist der Sonntagabend von der Couch aus. Das Kundenverhalten hat sich dramatisch verändert. Das können wir beklagen, aber es nützt nicht. Deshalb müssen wir die Kunden da abholen, wo sie sind.
Aber der freie Sonntag gilt vielen als Wert an sich.
Wir wollen nicht den Sonntagsschutz komplett fallen lassen. Aber ich vermisse auf Gewerkschaftsseite den Ansatz, dass wir letztlich alle in einem Boot sitzen. Fakt ist, dass die verkaufsoffenen Sonntage zusammen mit den anlassgebenden Veranstaltungen viele Kunden anziehen. Dem Handel bringt das Umsätze, die sonst fehlen oder woanders gemacht würden. Das Instrument funktioniert, auch in schwieriger gewordenen Zeiten. Das muss doch auch eine Gewerkschaft zu Kenntnis nehmen. Denn auch die Mitarbeiter leben davon. Keiner ist doch gezwungen, an einem verkaufsoffenen Sonntag einkaufen zu gehen. Wer das nicht will, kann zu Hause bleiben. Aber warum macht man denen, die das gerne tun, die Freizeitgestaltung kaputt?
Der Sonntagsschutz steht in der Verfassung und wird von den Gerichten entsprechend hoch bewertet. Wie kann da überhaupt Rechtssicherheit hergestellt werden?
Nachdem auch in Essen verkaufsoffene Sonntage gerichtlich gekippt wurden, sind die Veranstaltungskonzepte verändert worden. Alle haben sehr genau hingeschaut, wie ein Gericht prüft und haben die Konzepte anders gestaltet und entsprechend begründet. So etwas kaputt zu machen, ist schwieriger geworden. Aber Sie haben Recht: Der Sonntagsschutz ist in der Verfassung verankert und die Gerichte halten ihn entsprechend hoch. Insofern wird von vielen überlegt, ob nicht eine Grundgesetzänderung erforderlich wäre, um so etwas rechtssicherer hinzubekommen.
Würden auch Sie mit Ihrer Forderung soweit gehen?
Noch habe ich den Glauben an die Partnerschaft in den Kommunen nicht verloren, obwohl dieser immer mehr schwindet nach den Erlebnissen der letzten Monate. Es gibt Standorte, wo die Beteiligten zusammensitzen und Lösungen hinbekommen. Aber ich gewinne immer häufiger den Eindruck, dass die lokalen Akteure nicht mehr frei entscheiden dürfen, was für ihre Stadt gut ist, sondern dass von übergeordneter Stelle eine politische Botschaft ausgesandt werden soll, um zu zeigen, welche Macht man in Händen hält. Das ist schade, denn dabei gewinnt keiner.
Die Essen Marketing Gesellschaft kündigte an, mehr Menschen in die Innenstadt zu locken. Wenn man aber den Veranstaltungsplan 2019 sieht, ist nicht viel Neues zu erkennen. Ist der Handel enttäuscht?
Für den Handel gibt es zwei wichtige Veranstaltungen: die Lichtwochen und den Weihnachtsmarkt. Dafür ein völlig neues Konzept hinzulegen, wäre nicht sinnvoll. Konzepte, die funktionieren, muss man nicht verändern. Bei anderen Festen gibt es neue Überlegungen. Zum Beispiel soll es eine Schlussveranstaltung für „Essen on Ice“ in der gesamten Innenstadt mit einem verkaufsoffenen Sonntag geben. Bei aller Kritik an den Veranstaltungen muss man wissen, dass dies ein enormer Aufwand ist, der viel Geld kostet. Deshalb müssen wir es schaffen, auch die Nutznießer an solchen Veranstaltungen zu beteiligen, die das heute nicht tun.
Das klingt nach großem Frust.
Das Trittbrettfahrertum nimmt zu und damit auch der Groll der Händler, die sich engagieren. Wir müssen deshalb dringend an Konzepten arbeiten, dass diejenigen, die sich finanziell engagieren, auch die Nutznießer der Events sind. Und dass diejenigen, die sich nicht engagieren, davon weniger profitieren.
Wie soll das gelingen?
Die Diskussionen laufen. In Frankfurt zum Beispiel ist auf der Zeil jetzt das zweite Jahr die Weihnachtsbeleuchtung aus. Das heißt jetzt nicht, dass in Essen die Lichter gänzlich ausgehen sollen. Warum aber beispielsweise nicht dort das Licht auslassen, wo Schmarotzer sitzen? „Schwarze Schafe“ wären dann für alle klar erkennbar, hätten es andererseits selbst in der Hand, wieder ins Licht zu treten. Es muss ein klares Signal her, dass wir eine Schicksalsgemeinschaft sind, an der sich jeder zu beteiligen hat.
Um das Image der Innenstadt ist es generell nicht gut bestellt. Warum?
Wir haben eine enorme Fallhöhe. Essen hatte früher ein Einzelhandelsangebot, das weit und breit seinesgleichen suchte. Heute ist die Konkurrenzsituation eine ganz andere. Wir haben in Wurfweite große Einkaufszentren, auch die anderen Städte tun etwas. Auch der Hang zur Filialisierung ist ein entscheidender Faktor. Früher gab es mehr inhabergeführte Geschäfte, die eine Stadt prägten. Diese Läden fand man in so hoher Qualität und Dichte nur in Essen. Das ist bei Filialisten anders, die gibt es in vielen Städten. Und dann muss man sich natürlich auch die Kundschaft anschauen. Hochwertige Läden ziehen kaufkräftiges Publikum an. Das brauchen die Läden auch, wenn sie sich halten wollen. Solche Läden hatten wir auch. Mittlerweile aber höre ich vielfach, dass kaufkräftigere Essener die Innenstadt meiden und nach Düsseldorf fahren, vielleicht noch nach Rüttenscheid. Die Innenstadt aber taucht in deren Fokus längst nicht mehr auf.
Klingt danach, als wäre das nicht mehr zu ändern.
Auf jeden Fall nicht über Nacht. Das ist ein Prozess, der Zeit braucht und der voraussetzt, dass die Grundvoraussetzungen in der Innenstadt stimmen. Das sind Sicherheit und Sauberkeit. Viele Händler spiegeln mir, dass sich ihre Kunden abends nach 18 Uhr in der Innenstadt unsicher fühlen. Dass sie sich ungern dort aufhalten. Und das liegt meines Erachtens auch an den Personen, die dort unterwegs sind. Mit solchen Problemen hat Rüttenscheid nicht zu kämpfen. Da gibt es eine tolle Gastronomieszene, um die sich ein ebenfalls attraktives Abend- und Nachtleben entwickelt hat. Ein solches Gesamtpaket braucht auch der Handel in der Innenstadt.
Immer wieder beklagen sich Essener, dass ihnen der Ausländeranteil in der Innenstadt zu hoch ist. Können Sie das nachvollziehen?
Dass sich die Klientel in den letzten 20 bis 30 Jahren verändert hat, steht außer Frage. Dass wir internationaler geworden sind, ist auch nicht wegzudiskutieren. Was wichtig ist, ist ein Mindestmaß an Spielregeln, an die sich alle zu halten haben – egal, welcher Nationalität.