Essen. . Altholz in ihrem Vorgarten trägt einer Essenerin böse Post ein. Als sie sich auf Facebook bewegend verteidigt,  folgt ein kleines Adventsmärchen.

Das erste Dezemberwochenende ist gerade vorbei, als Susanne Alles eine Postkarte in ihrem Briefkasten findet. „Wie schön, Adventspost“, denkt sie noch, bis sie beginnt, die ersten Zeilen zu lesen. In schnörkeliger Handschrift steht da: „Liebe Frau Alles, Ihre Nachbarschaft wünscht Ihnen eine schöne und müllfreie Advents- und Weihnachtszeit. Pfui, schäme dich!“

Die 40-Jährige weiß, was den anonymen Verfasser umtreibt. Seit einigen Wochen stehen ein paar Holzdielen sowie die Reste eines Lattenrostes und eines Türrahmens in ihrem Vorgarten in der Haarzopfer Rumbachsiedlung. Ein gepflegtes Viertel, für das Worte wie gutbürgerlich erfunden wurden. Dass sich jemand die Mühe gemacht hat, sie anonym mit frankierter Postkarte darauf hinzuweisen, macht die Berufsschullehrerin fassungslos.

Auf Facebook schreibt sie sich ihre Wut über soviel Feigheit und Empathie-Mangel von der Seele

Am Hugo-Kükelhaus-Berufskolleg unterrichtet sie auch Flüchtlinge. Steht vor Klassen mit Jugendlichen, die allein nach Deutschland gekommen sind. „Echtes Leid und echte Probleme“, sagt sie und schiebt hinterher: „Wir vergessen leicht, wie gut es uns geht, sonst könnte man sich kaum über Sperrholz im Garten aufregen.“

Wäre sie persönlich auf ihren Vorgarten angesprochen worden, hätte sie anders reagiert, sagt Susanne Alles heute. Am 4. Dezember aber schreibt sie sich ihre Wut über so viel Spießertum, Empathie-Mangel vor allem aber Feigheit auf Facebook von der Seele.

Als alleinerziehende, berufstätige Mutter dauere manches bei ihr eben etwas länger

In der geschlossenen Facebook-Gruppe „Die Haarzopfer“ erreicht sie damit so viele Reaktionen wie kein Beitrag zuvor. „Natürlich tut es mir leid, dass meine Nachbarschaft diesen Anblick nun schon einige Wochen ertragen muss“, schreibt sie eingangs. Danach erklärt Susanne Alles ausführlich, wie es zu den „zwölf Quadratmetern Holzdielen“ in ihrem Vorgarten kam. Dass sie als alleinerziehende Mutter von drei Jungs trotz Vollzeitjobs versuche, in und an ihrem Haus aus dem Baujahr 1933 möglichst alles selbst zu machen. Und dass dabei manchmal eben Unerwartetes zum Vorschein kommt. Oder etwas schief geht.

„Wir wollten nur ein neues Terrassenfenster im Zimmer meines ältesten Sohnes einbauen. Dabei kamen dann morsche Dielen zum Vorschein. Einfach rausnehmen war aber nicht, ich musste auch noch eine vorgesetzte Wand einreißen. Dann kam beim Abnehmen der Tapete noch der Putz runter“, erklärt die zupackende Frau, die im Sommer mit Unterstützung ihrer drei Söhne (10, 14, 19) auch ihre Einfahrt selbst pflasterte.

Auf die Verteidigung folgen nette Nachrichten und viel Hilfsbereitschaft

„Die Dielen, die wegen der anderen Baustellen keine Priorität hatten, werde ich erst dann zum Recyclinghof fahren können, wenn einer meiner Freunde mit Anhängerkupplung die Zeit findet, mir dabei zu helfen“, erklärt Susanne Alles in ihrem Facebook-Beitrag weiter. Und dass sie das alles dem anonymen Verfasser gern persönlich mitgeteilt hätte, wenn der „Mumm zur Signatur“ nicht gefehlt hätte.

© Privat

Was Susanne Alles nach der Veröffentlichung erlebt, ist ein kleines Adventsmärchen. Viele Haarzopfer sprechen ihr Unverständnis über die Postkarte aus und bieten der Mutter ihre Hilfe an. „Ich habe sehr viele nette Nachrichten erhalten, das hat mich wirklich gefreut.“ Noch vor dem zweiten Advent rollen die beiden Haarzopfer Marco Trauten und Sebastian Hütten mit einem Anhänger vor und laden das Sperrholz ein. „Das hat keine zehn Minuten gedauert, da war das ganze Holz weg“, sagt Susanne Alles.

Gemeinsam mit den beiden Männern, die auch die Haarzopfer Facebook-Seite mitverwalten, denkt die resolute Frau nun über eine Nachbarschaftshilfe für Haarzopf nach. „Jeder kommt ja mal in die Situation, in der er schnell und unkompliziert Hilfe benötigt“, erklärt sie. Ihr Wunsch für das neue Jahr: „Wir müssen mehr miteinander reden und lernen, uns in andere hinein zu versetzen – ohne Vorurteile.“