Essen. . Der Fall spielt in „besseren Kreisen“. Eiskalt soll ein Student seine Mutter getötet haben, um das Erbe zu kassieren. Jetzt kommt er vor Gericht.

Eine gutbürgerliche Welt. Wie aus dem Bilderbuch. Die steil bergauf führende Straße im südlichen Essener Stadtteil Kupferdreh, nah am Baldeneysee, säumen schmucke Einfamilienhäuser. Bewohnt von Ärzten, Wirtschaftsprüfern, Lehrern, höheren Mitarbeitern des öffentlichen Dienstes. Menschen leben dort, die für ihr ehrenamtliches Engagement geehrt wurden, auch ein Hoflädchen lockt, nach Kreativem zu stöbern. Jäh zerriss der gewaltsame Tod einer Mutter am Abend des 26. Juni diese Idylle.

In einer Blutlache lag die 58-Jährige auf dem Fliesenboden ihres Wohnzimmers am Fuße der Treppe ins Obergeschoss. Verantwortlich dafür soll einer ihrer beiden Söhne, der 22 Jahre alte Christian K., sein, teilt Johannes Hidding, Sprecher des Essener Landgerichtes, auf Anfrage der WAZ mit. Der Prozess gegen den Kupferdreher beginnt am 20. Dezember, die Anklage lautet auf Mord. Hidding: „Die Staatsanwaltschaft wirft ihm Heimtücke und Habgier vor.“

Verwurzelt in der evangelischen Christusgemeinde

Die Getötete war zu Lebzeiten promovierte Chemikerin, arbeitete bei Evonik, lehrte an der Uni Münster. In ihrer Freizeit engagierte sie sich als Presbyterin in der evangelischen Kirchengemeinde. „Sie war eine Säule in der Gemeinde“, weiß Pfarrer Reinhard Laser. Ihr Tod hinterlasse “große Ratlosigkeit und Fassungslosigkeit“. Laser: „Auch den Söhnen begegnet großes Mitgefühl.“

Der Pfarrer kennt beide. Auch sie sind oder waren in der Gemeinde aktiv. Der seit Juni in U-Haft sitzende Christian K. half als IT-Sicherheitsbeauftragter, der vier Jahre ältere Bruder in der Öffentlichkeitsarbeit.

Viele Kupferdreher gehen von Drogenrausch aus

Doch Pfarrer Laser kennt die Anklage nicht, geht wie viele in Kupferdreh von einem Drogenrausch oder einem psychotischen Schub aus, wenn tatsächlich der Sohn Christian K. der Täter sein sollte.

In der evangelischen Christuskirche in Essen-Kupferdreh war die Getötete als Presbyterin aktiv. Ihr Sohn, der als ihr Mörder gilt, ebenfalls.
In der evangelischen Christuskirche in Essen-Kupferdreh war die Getötete als Presbyterin aktiv. Ihr Sohn, der als ihr Mörder gilt, ebenfalls. © Knut Vahlensieck

Staatsanwältin Elke Hinterberg zeichnet ein anderes Bild des 22-Jährigen, der als zurückhaltend gilt, wenig Freunde hat. Sein IT-Studium in Bochum soll er schon seit einiger Zeit ohne Wissen der Mutter und des älteren Bruders abgebrochen haben. Das Familienleben galt als harmonisch. Der Vater, der sich vor vielen Jahren von seiner Frau getrennt hatte, hält weiterhin Kontakt zu den Söhnen.

Anklage sieht 200.000 Euro Schulden als Motiv

Schulden nimmt die Anklage als Motiv der Tat an, sagt Gerichtssprecher Hidding, ohne ins Detail zu gehen. Christian K. soll seit 2016 für einen Mülheimer Unternehmer gearbeitet haben, der für ihn ein väterlicher Freund gewesen sein soll. In dessen Auftrag sollte er mit einem Budget von 300.000 Euro an der Börse spekulieren. Doch schon nach wenigen Tagen hatte er wohl 200.000 Euro in den Sand gesetzt. Der Chef soll zwar keinen Druck ausgeübt haben, Christian K. sei aber gewillt gewesen, den Betrag zurückzuzahlen. Er fühlte sich laut Anklage moralisch verpflichtet.

Ihm habe aber das Geld gefehlt. Eiskalt klingt, was die Anklage dem 22-Jährigen unterstellt. Er soll es auf das Erbe der Mutter abgesehen haben, um seinen Verlust auszugleichen. Ein kaltblütig geplanter Mord also.

Kripo findet Zettel mit Notizen zur Tat

Als Beleg gilt Kripo und Staatsanwaltschaft vor allem ein zusammengeknüllter DIN-A5-Zettel im Papierkorb des Angeklagten. Darauf soll er den Mordplan vorab aufgeschrieben haben. Von Umwerfen der Mutter ist darin die Rede, von Luft zuhalten. Selbst der Notruf über 112 werde vorab skizziert. Aber wann hat er die Notizen tatsächlich aufgeschrieben? Vor oder nach der Tat?

Der Tatort ist versiegelt, rechts steckt noch die Zeitung im Türschlitz.
Der Tatort ist versiegelt, rechts steckt noch die Zeitung im Türschlitz. © Andre Hirtz

Die Tat selbst, wie die Anklage sie sieht, könnte der Fantasie eines Drehbuchautors entspringen. Von hinten soll er seiner Mutter mit einer Hantel den Kopf eingeschlagen haben und ihr, als sie am Boden lag, einen Knebel aus Plastikhandschuhen in den Mund gestopft haben. Verbluten und Ersticken nennt Rechtsmediziner Andreas Freislederer als Todesursache.

Sollte Treppensturz vorgetäuscht werden?

Das sollte wohl wie ein Unfall aussehen, sagt die Anklage. Dass die Mutter sich die Kopfverletzungen bei einem Treppensturz zugefügt habe. Oder wie die Tat eines Fremden. In einer ersten Polizeivernehmung hat Christian K. wohl gesagt, er habe die Silhouette eines Unbekannten gesehen, danach die Mutter tot aufgefunden. Doch es gibt keine Einbruchspuren an Türen und Fenstern des Hauses, heißt es.

Nils Holtkamp, ein vor allem im Wirtschaftsstrafrecht renommierter Strafverteidiger, will sich nach Rücksprache mit seinem Mandanten gegenüber der WAZ nicht weiter zu den Anklagevorwürfen äußern. Bei der Justiz gilt als sicher, dass der junge Mann im Prozess reden wird, dass er die Tat selbst einräumt. Er werde aber zurückweisen, dass es ihm um Geld ging, dass er die Mutter heimtückisch tötete.

Im Blut kein Alkohol, keine illegalen Drogen

Hinweise gibt es wohl auch, dass er zum Zeitpunkt der Tat psychisch in einem Ausnahmezustand war. Mit Drogen hat das aber nichts zu tun. Die Blutprobe zeigt eindeutig: kein Alkohol, keine illegalen Rauschmittel zur Tatzeit. Das Schwurgericht hat den 22-Jährigen von der Psychiaterin Maren Losch und dem Psychologen Detlef Korff untersuchen lassen, beide erfahrene Gutachter. In einer vorläufigen Bewertung sehen sie ihn als voll schuldfähig. Falls das Gericht einen Mord feststellt, entfiele damit jede Milderungsmöglichkeit. Lebenslange Haft wäre die Folge.

Eine besondere Rolle spielt noch der vier Jahre ältere Bruder. Weil er von der Polizei vor dem Haus blutüberströmt neben seinem Bruder Christian angetroffen wurde. Zunächst galt auch er als verdächtig. Doch die Anklage sieht ihn als Opfer. Denn er hat ein Alibi, war wohl den ganzen Abend über bei seiner Freundin.

Angriff auf Bruder ebenfalls angeklagt

Als er um 23 Uhr zurückkehrte, soll er im Dunkeln unvermittelt von seinem Bruder mit Hantel und Gemüsemesser angegriffen und verletzt worden sein. Beide Brüder machten zu dieser Attacke aber recht verworrene Angaben, vielleicht weil sie unter Schock standen. Die Staatsanwaltschaft wertet den Angriff auf den älteren Bruder als gefährliche Körperverletzung, sagt Gerichtssprecher Johannes Hidding. Begangen durch Christian K., der kurz vor der Tat mit Mutter und Bruder harmonisch am Tisch saß. Abendbrotzeit. Am Prozess wird der ältere Bruder mit seinem Anwalt Clemens Louis als Nebenkläger teilnehmen.

In der Todesanzeige der Familie, die am 7. Juli in der WAZ erschien, stehen beide Brüder gleichberechtigt und an erster Stelle als Trauernde. Auch in der Traueranzeige der evangelischen Gemeinde vom selben Tag wird nicht differenziert: „Unsere Gedanken und Gebete sind bei ihren beiden Söhnen.“

Daran hat sich wohl auch nichts geändert. Pfarrer Laser weiß, dass kaum einer in der Gemeinde Christian K. „als Täter wahrhaben will, auch die Familie belastet ihn nicht“. Aber mittlerweile setze sich in der Gemeinde die Einsicht durch: „Die Bösen, das sind nicht nur die Anderen, das können auch wir selbst sein.“ Und er wäre nicht Pfarrer, erwähnte er nicht das Alte Testament: „Da stoßen wir ja auch früh auf Kain und Abel.“