Essen. . Tatjana Gürbaca inszeniert am Aalto Webers „Der Freischütz“ im Angesicht eines erstarkten Nationalismus. Titelrolle für Tenor Maximilian Schmitt
Tatjana Gürbaca hat eine besondere Beziehung zur Romantik. Schon im Grundschulalter sah sie Webers „Der Freischütz“ in ihrer Heimatstadt Berlin und war fasziniert von der Wolfsschlucht, jener Szene, in der nach einem Pakt mit dem Teufel (Samiel) die unfehlbaren Freikugeln gegossen werden. „Als Kind will man wissen, wie die düstere Welt aussieht“, erinnert sie sich. Als Erwachsene ist es nicht anders. Die romantische Oper beschäftigte sie nach dem Studium in einem Meisterkurs bei Ruth Berghaus. Nun steigt sie für die Deutung des „Freischütz“ - wie bei ihrer umjubelten „Lohengrin“-Inszenierung - tief in die Materie des Stoffes ein.
Schauriges war gefragt
1821, bei der Uraufführung in Berlin, sollen sich die Zuschauer vor lauter Grusel unter den Sitzen versteckt haben. Es war die Epoche der Romantik, in der das Schaurige, das Unterbewusste, das Fantastische, das Gefühlvolle und die Natur gefragt waren. In England trieb Mary Shelley mit „Frankenstein“ ihr Unwesen, in Deutschland sorgten E.T.A. Hoffmann, von Eichendorff und die Brüder Grimm für Gänsehaut. Und das „Gespensterbuch“ mit der Erzählung „Der Freischütz“ wurde zur Vorlage für Johann Friedrich Kinds Libretto. Carl Maria von Weber gelang mit dieser deutschen Nationaloper sogar ein internationaler Erfolg.
Tatjana Gürbaca kann sich ihre Produktionen mittlerweile aussuchen. Genau diese war ihr ausdrücklicher Wunsch. Sie wählt Musiktheaterstücke aus, „die mir etwas zu sagen haben“. So findet sie die Oper um den Jägersburschen Max, der sich für die Ehe mit Agathe und eine Erbförsterei mit einem Probeschuss bewähren muss, überhaupt nicht verstaubt. „Es steckt sehr viel drin, was uns heute bewegt: die große Glaubenskrise, die Industrialisierung, der Kapitalismus, ein Nationalismus, der mit dem Zweiten Weltkrieg endet und bei den rechtsradikalen Übergriffen in Chemnitz wieder seine Fratze zeigt“, erklärt Tatjana Gürbaca. „Es ist eine Mahnung, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen.“
Angesiedelt nach dem Dreißigjährigen Krieg, dessen Beginn genau 400 Jahre zurückliegt, geht es eben nicht nur um das Dreiecksverhältnis zwischen dem Kriegsheimkehrer Kaspar, dem sensiblen, schussunfähigen Max und der starken Agathe. Die vorherrschende Angst vor den Geistern, die in uns lauern, das Schweigen eines Dorfes, das Deutschland sein könnte, stehen im Fokus. „Dieser Krieg war prägend mit seiner unglaublichen Dauer und den vielen Millionen Toten“, sagt die 45-Jährige, die vor allem die Geschichtsvergessenheit in unserem Land ängstigt.
Der Teufel steckt im Detail
In ihrer aktuellen Inszenierung liegt die Wolfsschlucht nicht weit weg und der Teufel steckt im Detail. „Er ist bei uns nicht nur in einer Figur zu finden. Er lacht uns hier und da mal entgegen, während Gott zwar besungen wird, aber nirgends zu finden ist.“ Im Bühnenbild eines stilisierten Dorfes von Klaus Grünberg steckt er wie die Wellenbewegungen der Geschichte in den Kostümen von Silke Willrett. „Sie haben eine große Offenheit und spielen zitathaft auf Kriegszeiten wie 1618 an“, berichtet Tatjana Gürbaca.
Enthusiastisch spricht sie von der reichen Musik, die tiefstes Schwarz habe, eine Ironie und sehr sinnlich sei, erfreut von der erneuten Zusammenarbeit mit Tomáš Netopil, von den Sängern Jessica Muirhead, Heiko Trinsinger, der frisch engagierten Tamara Banješević und dem hochgelobten Gasttenor Maximilian Schmitt: „Ich bin begeistert von ihm. Er ist der perfekte Max. Er bringt diese Sensibilität, Intelligenz und Jugend mit und so spielt er ihn auch.“
Dennoch wird ihm das ursprüngliche Happy End nicht zuteil: „Zu Webers Zeit gab es die Konvention des guten Endes. Wir müssen uns fragen, ob wir diese Musik so enden lassen können. Diese Naivität können wir uns nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr leisten.“
Die Regisseurin und der Tenor
Tatjana Gürbacas Deutung von Webers „Der Freischütz“ hat Premiere am Samstag, 8. Dezember, im Aalto-Theater.
Die Regisseurin, geboren 1973 in Berlin, arbeitet seit 2001 in den Opernhäusern von Antwerpen bis Zürich. Sie inszenierte 2016 Wagners „Lohengrin“ in Essen.
Tenorhoffnung Maximilian Schmitt war vier Jahre (bis 2012) am Nationaltheater Mannheim verpflichtet, bevor er in Amsterdam und Straßburg zu erleben war. Es folgten u. a. Debüts an der Wiener Staatsoper und der Mailänder Scala.
Karten unter: 0201-8122 200