essen. . In der Kapelle der Huyssens-Stiftung sind seit 81 Jahren NS-Zeichen zu sehen. Eine umfassende Sanierung soll den Raum komplett verändern.

Hakenkreuze an der Decke, ein Reichsadler auf der Kanzel und ein blonder, blauäugiger Jesus in den bunten Glasfenstern. „Wie wollen wir mit den Symbolen aus dieser unsäglichen Zeit umgehen?“ Es ist eine grundsätzliche Frage, die sich derzeit in den Kliniken Essen-Mitte (EKM) stellt. Nachdem die Klinikleitung jahrzehntelang nichts an der Kapelle geändert hat, wurde nun entschlossen, den Raum in der Evangelischen Huyssens-Stiftung an der Henricistraße zu entnazifizieren und von Grund auf zu sanieren: heller, großläufiger, einladender soll es werden. Ein Multifunktionsraum für Gebet, Kunst und Austausch. „Es ist jetzt Zeit“, sagt Geschäftsführer Horst Defren.

Ein Blick zurück: die Kapelle des Hauses wurde 1937, drei Jahre nach dem Bau der Klinik, eingeweiht – seitdem hat sich baulich wenig verändert. „Das ist eine nicht länger tragbare Situation“, betont der Geschäftsführer. „Deshalb mussten wir uns die Frage stellen, wie wir verantwortlich mit der Historie umgehen, ohne sie sichtbar im Raum zu halten.“

Neugestaltung nimmt endlich Gestalt an

Das entfernte Altarbild.
Das entfernte Altarbild. © Socrates Tassos

Er habe schon seit Beginn seiner Amtszeit 1990 über eine Neugestaltung nachgedacht und deshalb ein Altarbild, ebenfalls mit dem arisierten, blond-blauäugigen Christus, kurz darauf entfernen lassen: „Es war von Anfang an klar, dass nichts einfach nur überstrichen werden sollte. Ich wollte die Sache erst wieder in Angriff nehmen, wenn der ganze Raum komplett umgestaltet werden kann.“ Das Altarbild ist eingelagert worden. Jetzt soll endlich auch die restliche Kapelle von den NS-Symbolen radikal befreit werden.

Die Idee, den Raum zu einem Denkmal umzufunktionieren und eine neue Kapelle an anderer Stelle zu bauen, war schnell vom Tisch: „Wir wollten den Raum als Anlaufpunkt erhalten.“ Für dieses Projekt werben die Kliniken noch immer Fördermittel von Stiftungen und Banken ein. Insgesamt sind für den Umbau 750.000 Euro angesetzt.

Verdrängung der Thematik

Die Hakenkreuz-Bänder im Detail.
Die Hakenkreuz-Bänder im Detail. © Socrates Tassos

Und doch stellt sich die Frage, wieso der Raum jahrzehntelang in diesem Zustand gelassen wurde. Schon 1938 wurde der Regime-Gegner Gustav Heinemann als Mitglied des Kuratoriums eingesetzt. Der spätere Bundespräsident(1969 bis 1974) und auch die ihm nachfolgenden Verantwortlichen haben die Nazi-Symbole unangetastet gelassen. Selbst nach dem Ende des Hitler-Regimes geschah nichts. Gründe dafür sind nicht bekannt. Archivarin Annette Hinze-Boll ist mit der historischen Aufarbeitung der Materie betraut und sucht seit Anfang des Jahres nach Belegen und Dokumenten.

Defren führt diese Untätigkeit auf Verdrängung zurück. Dabei war die Kapelle schon einmal ein Stein des Anstoßes: „In den 1980er Jahren gab es Proteste von Bürgern und Pastoren, die sich geweigert haben, in der Kapelle zu predigen.“ Trotzdem sei die Thematik nicht bewusst präsent gewesen. „Auch nicht bei mir“, gibt er zu. „Viele Menschen sind nach dem Krieg so erzogen worden, dass über diese Epoche schlichtweg nicht gesprochen wird. Und die meisten Besucher haben die Symbole nie wahrgenommen.“

Heller, größer, einladender wird die Kapelle

So soll die Kapelle nach ihrer Umgestaltung aussehen. 
So soll die Kapelle nach ihrer Umgestaltung aussehen.  © BaruccoPfeifer

Für den Umbau der Kapelle hat die Klinik das Architektenbüro BaruccoPfeifer aus Darmstadt hinzugezogen. Die beiden Architekten haben die Konzeption von Ruhe, Meditation und Licht aufgegriffen und in ihren Plänen umgesetzt. Diese zeigen einen hellen, weiß gehaltenen Raum mit großen Fenstern und mobilen Sitzflächen, um die gewünschte Vielfältigkeit zu gewährleisten.

Neben Gottesdiensten werden dort dann auch Jazz- oder Kammerkonzerte sowie Theateraufführungen stattfinden. Der neue Boden aus weißer Fichte greift das Motiv der Arche Noah auf; durch schlichten und pietistischen Stil gewinnt die Kapelle eine neue architektonische Qualität. Die Orgel wird dabei als einziges Element erhalten bleiben. Kleine Anfänge sind bereits zu sehen: weiße Wandfarbe ist an ein Teilstück einer Säule gestrichen worden, einige Holzverkleidungen der Decke wurden abgenommen, um die Konstruktion darunter zu begutachten.

Umbau soll ein halbes Jahr dauern

Vielleicht musste die Zeit reif werden, um bewusst über die historische Altlast zu reden, glaubt Defrens Kollege in der Geschäftsführung, Frank Mau. „Gerade in der heutigen Zeit keimt dieses Gedankengut schließlich wieder vermehrt auf.“ Deshalb soll der Umbau detailliert dokumentiert und im Vorraum der Kapelle veröffentlicht werden. „Wir möchten uns aktiv mit der Historie dieses Hauses auseinandersetzen und Diskussionen und Lesungen anbieten.“

Im April soll der Umbau beginnen und ungefähr ein halbes Jahr dauern. Defren, der im Januar in den Ruhestand geht, ist froh, dieses Projekt nach langer Untätigkeit der Klinikleitung doch noch eingeleitet zu haben: „Ich mache mir damit selbst ein Geschenk – hoffentlich auch unseren Patienten und Mitarbeitern.“

Wer Fragen oder Anregungen bezüglich der Kapelle hat, kann sie an die Klinik richten, die eigens dafür eine E-Mail-Adresse eingerichtet hat: kapelle@kem-med.com.

Daten über die Entstehung fehlen

  • Wer hat damals die Nazi-Symbole angeordnet? Die historische Aufarbeitung gestaltet sich schwierig. Archivarin Annette Hinze-Boll hat erst wenige Fakten zusammentragen können. „Viele Dokumente sind im Krieg schlichtweg zerstört worden“, sagt sie. „Natürlich gibt es auch vereinzelte Verdachtsmomente, dass die Betroffenen vielleicht bewusst nicht in den verbliebenen Akten auftauchen.“ So ist es belegt, dass der Architekt Carl Conradi schon 1933 einen gänzlich anderen Entwurf für die Kapelle vorlegte, der zum Beispiel gar keine Deckenkonstruktion beinhaltete.
  • Wie es im Einzelnen zu der veränderten Ausgestaltung der Kapelle mit NS-Symbolen kam, ist bisher nicht geklärt. Da viele Akten und Dokumente nicht mehr auffindbar sind, ist die Entstehungsgeschichte des Raums nur schwer nachzuhalten. Ähnliches gilt für die Glasmalerei; auch wenn ein gewisser Carl Bringmann faktisch mit der Gestaltung der Kapellenfenster betreut war, ist bisher nicht belegt, dass er die fragwürdigen Bilder auf Anweisung anfertigte oder sein eigenes Gedankengut auf Glas festhielt.
  • Zur besseren Aufklärung der Umstände hat sich die Archivarin auch mit den Angehörigen der damals Beteiligten in Verbindung gesetzt: „Solange diese sich nicht geäußert haben, ist es schwierig, den Prozess nachzuvollziehen.“