Essen. . Hobbyhistoriker erinnern an Ruhr-Bergleute, die 1914/18 unterirdische Gänge gruben, den Feind in die Luft sprengten und tausendfach starben.
Der Erste Weltkrieg ist vor hundert Jahren zu Ende gegangen. Das Ende eines Blutvergießens, das millionenfaches Leid über diesen Kontinent brachte und eine Glut hinterließ, die gut zwanzig Jahre später erneut entfacht wurde. Die Erinnerung an den Ersten wird hierzulande durch die weitaus intensivere Auseinandersetzung mit dem noch monströseren Zweiten Weltkrieg überlagert. Drei geschichtsinteressierte Essener – Konrad Puchalski, Michael Venohr und Eberhard Sauerbrei – beschäftigten sich in ihrer Freizeit intensiv mit dem ersten Teil dieser europäischen Jahrhunderttragödie.
Besonders beleuchten sie die Rolle, die die Bergleute von der Ruhr im erbitterten Stellungskrieg zwischen Flandern und der Champagne gespielt haben. „Fest steht, dass dieser Stellungskrieg ohne die Arbeit der Bergleute gar nicht funktioniert hätte“, sagt Michael Venohr. Es waren die Kumpel aus dem Ruhrgebiet, die einen speziellen Krieg unter Tage führten. Die tiefe unterirdische Gänge bis unter die Schützengräben des Feindes gruben, diese mit Minen vollstopften und damit Briten und Franzosen in die Luft jagten.
Bergmann auf Prosper und Schlosser unter Tage
Venohr war selbst Bergmann: Schlosser unter Tage auf Prosper Haniel in Bottrop, der letzten deutschen Zeche, in der im nächsten Monat Schicht im Schacht ist. Vier seiner Vorfahren sind zwischen 1914 und 1918 im Westen gefallen. Für das Gespräch ist der 50-Jährige eigens in eine Weltkriegs-Uniform geschlüpft. Venohr ist ein Hobbyist, jemand, der sich der „living history“, der lebendigen Geschichtsdarstellung verschrieben hat.
Seine Aufmachung wirkt authentisch, so als sei er soeben von der finsteren Vergangenheit in die Gegenwart gesprungen: der olivgrüne Rock mit bekronten Messingknöpfen, die lederne Pistolentasche P08, der Dolch mit Kordel, das Eiserne Kreuz EKII, Original Schulterstücke, Schirmmütze mit verdeckter Kokarde, die feldgraue Hose, dazu Schnürschuhe und echte Ledergamaschen. „Ich stelle einen preußischen Hauptmann im Mineurswesen dar“, sagt Venohr. Das französische Wort Mineur – für Bergmann – hatten die Preußen genauso in ihre Militärsprache eingedeutscht wie etwa die Begriffe Bataillon und Kompanie.
Essener Bergleute im Dienste der „56er“
Konrad Puchalski aus Rüttenscheid interessiert sich seit jeher für Geschichte. „Ich wollte es sogar studieren“, sagt er. Stattdessen spezialisierte er sich auf Verfahrenstechnik und stieg auf zum Geschäftsführer eines Hightech-Unternehmens. Erst als Rentner machte er seinen Jugendtraum wahr. „Ich habe an der Ruhr-Universität ein Geschichtsstudium begonnen und bin zur Archäologie gewechselt“, sagt der 76-Jährige.
Als Spezialist für Festungsbau und Militärgeschichte ist auch ihm daran gelegen, die Rolle der Bergleute im Ersten Weltkrieg weiter aufzuarbeiten. „In das Infanterie-Regiment 56 in Wesel sind viele Bergleute aus Essen und dem Ruhrgebiet eingezogen worden“, sagt Puchalski.
Der TV-Autor Alexander Berkel, ein gebürtiger Weseler, hat die Geschichte der Bergleute im Ersten Weltkrieg aufgeschrieben. „Schanzen, Warten, Sterben“ heißt das schon vergriffene Buch, das den „56ern“ gewidmet ist. Als die Waffen schwiegen, waren 4606 Soldaten dieses Regiments gefallen, nur zwei Offiziere und 26 Soldaten überlebten den Irrsinn diesseits der Frontlinie. Welche Verluste die Kumpel-Kompanie beim Feind anrichtete, wenn sie einen Stollen in die Luft sprengten, belegen die grausamen Zeilen eines Feldpostbriefs. Darin heißt es: „Folgende Sachen kamen herüber geflogen: ein Bein vom Engländer, ein neues Gewehr, ein Brotbeutel mit Zwieback und einem Brief drin und ein Stück vom Maschinen Gewehr.“
Essener Verlustliste beginnt mit „Abel, Anton“
In anderen Großstädten gibt es vollständige Listen über die Gefallenen des Ersten Weltkriegs. Essen hat solch eine Liste nicht. Eine Lücke, die Eberhard Sauerbrei (69) mit seinen Recherchen schließen möchte. Zu den alphabetisch ersten, die er auflistet, gehört ein gewisser „Abel, Anton; geboren in Bochum, wohnhaft Kupferdreh, gefallen am 8. Januar 1918 in Lothringen, beerdigt in Bouillonville“. Womöglich kein Zufall: Auch der Gefreite Abel gehörte den „56ern“ an.
Michael Venohr schlüpft gerne in Uniformen. Zu betonen, dass dies mit Kriegsverherrlichung überhaupt nichts zu tun habe, hält er eigentlich für überflüssig. „Ich gehöre nahe Verdun einem deutsch-französischen Freundschaftskomitee an.“ Im Moreautal, 30 Kilometer entfernt von einem der blutigsten Schlachtfelder des Krieges, hat das deutsch-französische Komitee ein deutsches Frontlager restauriert. Ihre Großväter und Urgroßväter haben sich vor hundert Jahren totgeschossen. „Wir haben die Lektion aus der Geschichte gelernt und sind Freunde geworden“, sagt Venohr.