Essen. . Der Kopftuchstreit in einer Essener Apotheke zieht Kreise. Aber auch innerhalb der muslimischen Community gibt es Ärger.
Der Kopftuchstreit in einer Essener Apotheke zieht Kreise. Aber auch innerhalb der muslimischen Community gibt es Zoff. Die Kundin eines orientalischen Restaurants in Altendorf hat die Redaktion jetzt auf einen dramatischen Vorfall vom Frühjahr aufmerksam gemacht. Einen, der von religiös motiviertem Rufmord, Boykottdrohungen und Geschäftsschädigung handelt.
Auslöser war die Debatte um das angeblich geplante Kopftuchverbot für Mädchen unter 14 Jahren an Schulen, das das NRW-Integrationsministerium zurzeit prüfen lässt. Junge Aktivisten der muslimischen Gruppe „Realität Islam“ hatten im Frühjahr auch in Essen damit begonnen, Unterschriften gegen das geplante Kopftuchverbot zu sammeln – in Altendorf etwa bei Friseuren und Lebensmittelgeschäften, in Sonnenstudios und Modeschäften – allesamt muslimisch geführt.
Eines Tages seien die Aktivisten in besagtem Restaurant aufgetaucht, doch die Bedienung habe sich geweigert zu unterschreiben. Aus Sicht der frommen Aktivisten offenbar ein Affront, auf den sie mit einer Mischung aus Shitstorm und Hasskampagne reagierten.
Restaurant-Besitzer wollte sich nicht mehr öffentlich äußern
Ob absichtlich oder nicht: Obendrein haben sie wohl die Tatsachen gründlich verdreht. Denn in dem Shitstorm wurde nun behauptet, das Lokal als solches habe sich für ein Kopftuchverbot ausgesprochen und „nicht Halal“ sei es auch.
Der Restaurant-Besitzer wollte sich am Dienstag nicht mehr öffentlich zu dem Shitstorm äußern. Wie verheerend das Echo für sein Geschäft jedoch gewesen sein muss, belegt sein Facebook-Post („Salamualeikum liebe Brüder und Schwestern“) vom Mai. „Ich bin sprachlos und entsetzt über die Kommentare, Bewertungen und privaten Nachrichten, die uns in den letzten Stunden erreicht haben“, schrieb er darin und fügte hinzu: „Es grenzt an Rufmord, wie einige Brüder rücksichtslos auf Facebook gegen uns hetzen und öffentlich zum Boykott aufrufen, ohne sich möglicherweise im Klaren darüber zu sein, wie geschäftsschädigen dies ist und was es für unsere Familien zu bedeuten hat, wenn wir nicht mehr in der Lage sein sollten, sie wegen eurer Boykottaufrufe ernähren zu können.“
Der Inhaber wies darauf hin, dass der Familienbetrieb „mit sehr viel Liebe und Hingabe“ geführt werde. Offenbar mit Erfolg: Denn das Publikum ist gemischt, auch nicht-muslimische Gäste loben die Küche.
Der tief getroffene Inhaber nannte die Kommentare „rücksichtslos“ und schrieb: „Wenn wir solche Hasskommentare und Anschuldigungen lesen, werden wir traurig.“Einer der maßgeblichen Organisatoren der Unterschriftenkampagne in Essen, ein gewisser S., hat die Aktivitäten der Gruppe im sozialen Netzwerk detailliert dokumentiert. Gezeigt werden die in Altendorfer Schaufenstern platzierten Din-A-4-Poster mit dem Aufruf von „Realität Islam“. Er lautet „Erhebe deine Stimme gegen das Kopftuchverbot“ und zeigt ein muslimisches Kopftuchmädchen mit gestrecktem Arm und geballter Faust.
Aktivisten posierten vor dem Einkaufszentrum Limbecker Platz
Laut seinem Facebook-Post vom 10. Mai hatten sich in Essen zu diesem Zeitpunkt schon mehr als 3000 Menschen in die Unterschriftenlisten eingetragen. Die Aktivisten posierten vor dem Einkaufszentrum Limbecker Platz oder wiesen daraufhin, dass sie vor einem Textilkaufhaus in der Kettwiger Unterschriften sammeln wollten.
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An der Kampagne gegen das umstrittene NRW-Kopftuchverbot beteiligen sich auch islamische Kultur- und Moscheevereine in Essen. So auch der schiitische Verein „Ali’s Weg“. Dieser ist in der Gewerbehofstraße in Holsterhausen ansässig, sein Vorsitzender heißt Bashar Al Daraji (45) – derselbe übrigens, der eine Essener Apothekerin letzte Woche als „Rassistin“ beschimpft, bedroht und beleidigt hat. Der Grund: Die Inhaberin hatte seine 15 Jahre alte Tochter, eine Realschülerin, gebeten, während des Schülerpraktikums in ihrer Apotheke das Kopftuch abzulegen.
Anlässlich des Fastenmonats Ramadan fand Ende Mai in den Räumen von „Ali’s Weg“ eine Versammlung statt, in der demonstrativ für den Slogan „Mein Kopftuch – meine Freiheit“ geworben wurde. Neben einem schiitischen Geistlichen namens Abdoul El Emir Almutouri sprach dort auch Muhammet Balaban, der Vorsitzende der Kommission Islam und Moscheen. Seine Haltung: „Das Kopftuch für Grundschülerinnen bis 10 Jahre ist nicht nötig und für mich kein Thema.“
Über den Kopftuchstreit um das Altendorfer Restaurant scheint inzwischen übrigens Gras gewachsen zu sein. Denn irgendwann im Mai hing das Kampagnen-Poster der Muslim-Aktivisten auch im Schaufenster des ehedem noch verunglimpften Restaurant. Der Besitzer hatte sich offenbar der zerstörerischen Wucht des Shitstorm gebeugt und auf Facebook das Bekenntnis abgelegt, gegen ein Kopftuchverbot für unter 18-Jährige zu sein.
Bis Montag war dieser Post noch im sozialen Netzwerk zu lesen. Am Dienstag nicht mehr.