Essen. Nach dem Baldeneysteig könnte der „Kettwiger Panoramasteig“ erneut viele Wanderfreunde begeistern. Besonderheit sind die vielen Aussichtspunkte.
Es ist wieder nur so eine Idee, aber das war der Baldeneysteig auch, und aus dem ist ja dann richtig was geworden. Wer den Weg am Wochenende nur ein paar Kilometer läuft, kann die immer noch erstaunlich vielen Wanderer mit Rucksäcken und festem Schuhwerk kaum übersehen. Da müsste doch noch mehr gehen in Essens grüner Umgebung, dachte sich eine Gruppe wanderbegeisterter Essener, nachdem sie das Kartenmaterial analysiert hatte und mehrfach Streckenabschnitte gegangen war. Und tatsächlich: Es geht mehr. Wir haben es „Kettwiger Panoramasteig“ getauft.
Der Name ist Programm. Schon der gut 26 Kilometer lange Baldeneysteig, der Ruhrbrücke und Stauwehr in Kupferdreh und Werden als Brückenköpfe nutzt, besticht mit seinen Ausblicken auf die Ruhrtal-Landschaft. Die Fortsetzung zwischen Werden und Kettwig hat in diesem Punkt sogar noch etwas mehr zu bieten. Ein paar Kilometer länger als der Baldeneysteig ist der Kettwiger Panoramasteig auch, jedenfalls wenn man die gesamte Runde gehen will: Gut 34 Kilometer sind selbst für ambitionierte Geher eine stramme Leistung.
Aber natürlich lässt sich die Gesamttour auch splitten, schon deshalb ist der Werdener S-Bahnhof ein guter Ausgangspunkt. Es gibt in der Regel genügend Parkplätze, zudem ist die Rückfahrt von Kettwig aus sehr bequem. Und auch wer nur die einzelnen Teilstücke nördlich oder südlich der Ruhr geht, hat mit fast 20 Kilometern bzw. gut 14 Kilometern schon einiges geschafft.
Nach den Testläufen hat sich eine Route herauskristallisiert, die sich nur in groben Zügen beschreiben lässt, jedoch mit Hilfe der großen Skizze auf dieser Seite und den Wanderkarten der Stadt Essen recht gut nachzuwandern sein dürfte. Etwas Findigkeit und vor allem Karten-Kompetenz ist allerdings bis auf weiteres zwingend nötig. Noch gibt es keinerlei Wegmarkierung für den Kettwiger Panoramasteig, der auf einer Vielzahl bereits bestehender, überwiegend markierter Wanderwege verläuft.
Neuer Rundwanderweg im Essener Süden
Nach dem Start am Werdener S-Bahnhof geht es zunächst auf die andere Seite der Schienen und dort dann einige hundert Meter an der geologischen Wand entlang parallel zur vierspurigen B 224. Einen guten Kilometer führt der Weg dann über den Baldeneysteig, verlässt diesen aber in Höhe des Wildgeheges im Heissiwald. Die Höhen über der Ruhr am Kanonenberg bieten dann die ersten eindrucksvollen Ausblicke.
Der Teil südlich der Ruhr hat mehr Waldabschnitte
Über Wolfsbachtal und Ruthertal führt der Weg hoch zur Meisenburgstraße, wo nach der Querung eine lange Passage in der offenen Landschaft im Grenzgebiet zwischen Essen und Mülheim beginnt. Über Kettwig-Ickten, Auf der Höhe und dem Kettwiger Stadtwald geht es zur Ruhrbrücke und hinüber zum südlichen Teil des Steigs, der insgesamt mehr Waldabschnitte bietet. Oefter Wald und die Freiflächen im Bereich der Straße Timpen sind die wichtigsten Stationen, bevor es dann über den Pastoratsberg zurück nach Werden geht.
So vielfältig und aussichtsreich der Weg ist, an einem Punkt wird sehr deutlich, dass die Tour sich im Dunstkreis von Großstädten und dicht besiedelter Landschaft bewegt: „Die Wege sind sehr asphaltgeprägt“, sagt Martin Velling, Vorsitzender der Abteilung Kupferdreh des Sauerländischen Gebirgsvereins (SGV).
Nachteil beim Kettwiger Panoramasteig ist der hohe Anteil an Asphaltwegen
Das mögen Wanderer nicht besonders. Wiesen- und Waldwege sind objektiv gelenkschonender, sie vermitteln aber auch weit eher das Gefühl, in der freien Natur zu sein. Nach einer Richtlinie des Deutschen Wanderinstituts, der das touristisch begehrte Label „Premium-Wanderweg“ verleiht, dürfen ausgezeichnete Wanderwege nur zu maximal 15 Prozent über versiegelten Boden gehen. Da liegt der Kettwiger Panoramasteig, das muss man klar sagen, weit darüber.
Ralph Kindel, Ex-Projektleiter im Grüne Hauptstadt-Büro und einer der Initiatoren des Panoramasteigs, ist dennoch sicher, dass der Weg – ähnlich wie der Baldeneysteig – mittelfristig ein Erfolg wird. Die ersten Signale aus der Stadtverwaltung sind ebenfalls durchaus positiv. Und auch der Sauerländische Gebirgsverein, dem laut NRW-Landesgesetz die Markierung von Wanderwegen obliegt, will sich engagieren.
EMG will die Wanderlandschaft Essen und den bestehenden Baldeneysteig intensiv bewerben
Der Baldeneysteig ist bei Essenern, aber auch bei auswärtigen Wander- und Naturfreunden sehr beliebt, was im Vorhinein vielleicht nicht abzusehen war. Als die Grüne Hauptstadt diese WAZ-Idee umsetzte, war die Skepsis bei der Essen Marketing GmbH jedenfalls besonders groß. Mittlerweile hat sich das geändert, das touristische Potenzial wurde erkannt. Mit Zollverein und dem Baldeneysee will die EMG im nächsten Jahr die zwei sehr besonderen Anziehungspunkte der Stadt auch besonders stark bewerben. „Und beim Thema Baldeneysee spielt der Steig eine ganz entscheidende Rolle“, sagt Richard Röhrhoff, seit Anfang des Jahres Geschäftsführer der EMG.
Neben dem objektiven Qualitäten des Wanderwegs ist es vor allem das Überraschungsmoment, das Röhrhoff fasziniert und dass in der Tourismuswerbung Früchte tragen soll: „In einer Großstadt, ja einer früheren Industriestadt erwartet einfach kaum jemand ein solches Angebot.“ Genau das soll Teil einer touristischen Erzählung über Essen sein. „Wir können alle Arten von Erlebnissen bieten – Kultur, Einkaufen, Wellness, stille Erholung und eben auch einen fordernden Steig, der mit Wanderwegen in anderen Regionen mehr als nur mithalten kann“, so Röhrhoff.
Sauerländischer Gebirgsverein hat endlich viele Stellen nachmarkiert, wo Wegezeichen mutwillig zerstört worden waren
Geplant ist eine neue Karte und eine App fürs Handy, mit der man den Weg „tracken“ kann, wie es unter technisch aufgeschlossenen Wanderern heißt. Das bedeutet: Selbst wenn mal ein Wanderzeichen aus Vandalismus- oder Diebstahl-Gründen fehlt, kann man sich vom Handy ohne Verlaufen über den Steig führen lassen.
Was nicht heißt, dass die Markierung und die Pflege der Wege vernachlässigt werden soll. Hier appelliert die EMG an Grün und Gruga und an den Sauerländischen Gebirgsverein (SGV), ihren Teil der Arbeit so gut zu erledigen wie es eben geht. Eine stärkere Zusammenarbeit sei fest verabredet. „Wenn es Schäden gibt, die nicht zeitnah behoben werden, ist das für unser Image schädlich“, so Röhrhoff. Mittlerweile hat der SGV am Baldeneysteig viele Stellen nachmarkiert, wo Wegezeichen mutwillig zerstört worden waren.
Essen Marketing will beim neuen Steig zu den Antreibern gehören
Anders als beim Baldeneysteig, der zum Grüne-Hauptstadt-Projekt wurde, fehlt es dem Kettwiger Panoramasteig noch an einer Institution, die die Realisierung federführend in die Hand nimmt und zumindest hilft, die finanziellen Mittel zu besorgen. Gut möglich aber, dass sich die EMG hier stärker engagiert. Die Erweiterung des Baldeneysteigs findet jedenfalls Röhrhoffs Unterstützung, die EMG will diesmal sogar ausdrücklich zu den Antreibern gehören: „Eine Mitarbeiterin von uns hat den Auftrag, sich um diese Idee zu kümmern und mitzuhelfen sie umzusetzen.“ Dass Essen sich neben anderen Vorzügen als Wanderlandschaft präsentiert, sei jedenfalls unter Tourismus- und Marketing-Gesichtspunkten eine hochinteressante Entwicklung.
Wer die beiden Steige kombiniert, kann bald 60 Kilometer am Stück durch Essen laufen - wenn er will
Wandern ist seit Jahren ein Megatrend, der nur eine Richtung kennt: nach oben. Rund 40 Millionen Bundesbürger geben an, zumindest hin und wieder gerne zu Fuß Natur und Landschaft zu erkunden. Auch die Zahl ambitionierter Wanderer wächst, die lange Strecken über mehrere Tage laufen oder betont sportlich unterwegs sind. Für beide Gruppen könnten die Essener Wanderrouten zunehmend interessant sein.
Wer drei Tage am Stück laufen möchte, kann den Baldeneysteig und den entstehenden Kettwiger Panoramasteig kombinieren, das wären dann addiert ziemlich genau 60 Kilometer – kaum eine deutsche Großstadt kann so etwas innerhalb ihrer eigenen Stadtgrenzen bieten. Denn der Kettwiger Panoramasteig schließt ziemlich genau dort an, wo der Baldeneysteig die Ruhrseite und die Richtung wechselt. Beides sind Rundwege, die für sich funktionieren, die gut in kurze Abschnitte teilbar sind, aber eben auch hintereinander in einem Zug gegangen werden können.
Wanderer sind traditionell relativ kaufkräftig, was sie für alle interessant macht, die mit Tourismus Geld verdienen. Vielfach mussten Hoteliers etwa an Rothaarsteig oder Rheinsteig zwar erst überzeugt werden, Angebote zu unterbreiten. Doch wenn Wanderer erst einmal eine Route als „Muss“ entdeckt haben, rollt der Rubel.