Essen. . Die Zahl der Kindeswohlgefährdungen steigt in Essen seit Jahren. Der Allgemeine Soziale Dienst kämpft mit Belastung und Personal-Fluktuation.

Der Allgemeine Soziale Dienst (ASD) ist die Feuerwehr des Jugendamtes: Wann immer das Wohl eines Kindes gefährdet ist, muss er eingreifen – rasch und doch nach sorgfältiger Abwägung. Mit dieser Aufgabe fühlen sich die Mitarbeiter zusehends überlastet, viele schmeißen den Job hin. Im Jahr 2013 betreute ein Mitarbeiter noch 65 Fälle, im vergangenen Jahr waren es bereits 71 Fälle. Die Gewerkschaft Verdi fordert daher eine sofortige Aufstockung des Personals.

„Wir stellen fest, dass jüngere Kollegen, die gerade eingearbeitet worden sind, sich zunehmend mit Abwanderungsgedanken beschäftigen, weil der Arbeitsdruck in Essen zu hoch ist“, sagt Gewerkschaftssekretärin Martina Peil. So fanden sich am Dienstag etliche Verdi-Mitglieder und ASD-Mitarbeiter im Jugendhilfeausschuss ein.

Dezernent besucht die Mitarbeiter in den Bezirksstellen

Der seit 2018 für Jugendschutz zuständige Dezernent Muchtar Al Ghusain erzählte dort, dass ihn das Thema schon kurz nach seinem Amtsantritt auf einer Personalversammlung erreicht habe. Er nehme die Sorgen der Mitarbeiter ernst und besuche gerade die Bezirksstellen des ASD, um dort mit ihnen ins Gespräch zu kommen.

Als Grundlage dafür könne der Bericht zum Kinderschutz in Essen dienen, in dem die Verwaltung eine „ehrliche Antwort“ zur aktuellen Lage gebe. Darin heißt es, dass es beim Allgemeinen Sozialen Dienst derzeit knapp 130 Vollzeitstellen gebe. Ein Dutzend von ihnen sei „überplanmäßig“, etwa für die derzeit 410 unbegleiteten minderjährige Flüchtlinge, die in Essen leben.

Junge Fachkräfte geraten an ihre Belastungsgrenzen

Schon seit Jahren sei in Essen sowohl die Zahl der Kindeswohlgefährdungen als auch die der Inobhutnahmen gestiegen. Und: Beide Zahlen liegen sowohl über dem Landesschnitt als auch über den Fallzahlen in vergleichbaren Städten. Angesichts der Härte und der Vielzahl der Fälle gerieten „junge Mitarbeiter an die Grenze ihrer Belastbarkeit“, räumt Al Ghusain ein.

Das aber verschärft die Personalfluktuation: Gab es 2017 „zehn Austritte auf eigenen Wunsch, durch Verrentung oder Vertragsablauf“, waren es in diesem Jahr bereits 16. Dazu kommen 37 Veränderungen durch Krankheitsvertretung, Elternzeit oder Versetzung etc. Anders gesagt: Gut 40 Prozent des Personals wechselten. Und das in einem sensiblen Bereich, wo man über das Schicksal von Familien entscheidet.

Gewerkschaft fordert Schaffung neuer Stellen

Erst im vergangenen Jahr wurden daher alle Mitarbeiter in neuen Fachstandards geschult. So soll etwa jede Meldung zu einer ersten Gefährdungseinschätzung durch mindestens drei (!) Fachkräfte bewertet werden. Auch Gewerkschaftssekretärin Martina Peil begrüßt die neuen Standards: „Doch die Mitarbeiter erleben dann, dass sie das gar nicht alles so umsetzen können. Es ist eine enorme Belastung, die man mit nach Hause nimmt: Ist das Kind in Sicherheit?“

Geht es nach Peil, muss jede Bezirksstelle des ASD noch 2018 um zwei Stellen aufgestockt werden, insgesamt wären das 14 Jobs. Dezernent Al Ghusain will sich nicht auf eine einfache Formel festlegen lassen, sondern in einen „Aushandlungsprozess“ treten. Als „erstes Signal“ werde man befristete Stellen entfristen. Der Dezernent zeige aufrichtiges Interesse, höre zu und frage nach, lobt Peil: „Aber in der Sache lassen wir nicht locker.“

> KINDERSCHUTZ: SO HANDELT DAS JUGENDAMT

Hat das Jugendamt „gewichtige Hinweise“ auf eine Kindeswohlgefährdung, muss es diesen nachgehen. Die Prüfung kann wie folgt enden: a) es liegt eine Kindeswohlgefährdung vor, b) sie liegt nicht vor, es gibt aber Hilfebedarf, c)es gibt weder Gefährdung noch Hilfebedarf. In Essen enden nur 23 % der Fälle mit der Feststellung c), dass keine Hilfe benötigt wird. In 38% bzw. 39 % der Fälle liegen Gefährdung oder Hilfebedarf vor. Damit liegt Essen in beiden Kategorien klar über dem Landesschnitt.

Wird eine „dringende Gefahr“ (z.B. Misshandlung, Missbrauch) erkannt, nimmt das Amt das Kind in Obhut. In Essen steigt die Zahl der Inobhutnahmen seit 2007