Essen. . Um Eltern eine Jobperspektive zu geben und Kinderarmut zu verhindern, begleitete „Start im Quartier“ fast 400 Sozialleistungsempfänger in Essen.

Beim ersten Gespräch gab sich die junge Afrikanerin gelassen: „Alles gut!“, sagte sie zu Markus Wagemann vom Projekt „Start im Quartier“. Beim zweiten Gespräch hatte sie zig Behördenbriefe dabei und offenbarte nach und nach ihre Sorgen: den Papierkrieg, weil sie sich beim Umzug von Hannover nicht beim dortigen Jobcenter abgemeldet hatte, die gestiegene Miete, der fehlende Kita-Platz für das jüngste der vier Kinder... Zwei Jahre später kann Wagemann von einem Happy End berichten, auch weil Start im Quartier sich viel Zeit für jeden der fast 400 Teilnehmer nahm.

Nach zehn Jahren im Land sprach sie kaum Deutsch

Die Afrikanerin etwa hätte das Durcheinander in ihrem Leben nicht auf Deutsch erklären können, obwohl sie seit zehn Jahren im Land lebte. Als Sprach- und Kulturmittler unterhielt sich Wagemann auf Französisch mit ihr, so dass sie ihre Lage schildern konnte und Vertrauen fasste. Erst zu ihm, dann zum Jobcenter, das ebenfalls am Projekt beteiligt ist. Nachdem ein Kitaplatz für die Jüngste gefunden war, begann die Mutter 2016 eine neunmonatige Arbeitsgelegenheit mit Sprachkurs. Neulich habe er sie getroffen, sagt Wagemann: Sie sei bei einer Reinigungsfirma angestellt und glücklich: „Eine Tochter studiert, der Sohn macht Abi.“

Kinderarmut bekämpfen, das Vererben von Hartz-IV verhindern, der nächsten Generation Chancen bieten: „Das war ja unser originärer Auftrag“, betont Eva-Maria Schwers-Hecker, die als Bereichsleiterin Ost beim Jobcenter arbeitet. „Unsere Fallmanager kennen die komplexen Problemlagen der Kunden und verweisen sie schon mal an die Schuldnerhilfe oder an eine psychosoziale Beratung. Doch primär haben sie die Vermittlung in Arbeit im Blick“ – können sich also nicht intensiv mit dem Umfeld der Betroffenen befassen.

Sprachmittler klärte falsch verstandene Diagnose

Das war bei „Start im Quartier“, das 2015 anlief, anders: Mitstreiter wie die Neue Arbeit der Diakonie und die Arbeit und Bildung Essen (Abeg) nahmen die Teilnehmer an die Hand, begleiteten sie bei Arztbesuch, Wohnungs- und Jobsuche.

Dabei zeigte sich immer wieder, wie wichtig neben den Sozialpädagogen die Sprachmittler waren, die die Teilnehmer lange Zeit betreuten. Vor allem bei heiklen Themen. „Wenn bei Behördengängen ein unbekannter Übersetzer da ist, erzählen die Leute nicht von Schulden oder den Problemen der Kinder“, so Wagemann. Er indes durfte eine verängstigte Ghanaerin zum Frauenarzt begleiten: Und erfuhr dort, dass die Frau keineswegs Brustkrebs hatte, sondern eine harmlose Zyste. Nachdem diese Last von ihr abfiel, konnte sie sich Gedanken um eine berufliche Zukunft machen. „Heute hat sie ein Geschäft.“

Beim Projekt wurde manches Talent entdeckt

Nach und nach ertüchtigten die Helfer ihre Schützlinge, selbst ihr Leben und ihre Unterlagen zu ordnen. Unterstützung finden sie weiterhin im Quartier: „So haben wir viele Leute an die Kirchengemeinde St. Gertrud vermittelt, die ein Dreh- und Angelpunkt im Nordviertel ist“, sagt Peter Gerold von der Neuen Arbeit der Diakonie.

Ein Fünftel der Teilnehmer hat durch das Projekt Mini-Job, Ausbildung oder eine feste Stelle gefunden; bei den anderen gebe es gute Ansätze. „Das ist eine sensationelle Quote“, sagt Eva-Maria Schwers-Hecker. Es handle sich schließlich um Menschen mit einer äußerst schwierigen Ausgangslage und um eine freiwillige Teilnahme. Trotz des hohen Aufwands für die beteiligten Stellen hätten die das Projekt daher gern fortgesetzt, doch dafür gibt’s kein Geld. So will das Jobcenter gute Ideen in die Praxis retten und bei Kunden mit „Vermittlungshemmnissen“ stärker auf ihre Ressourcen schauen: Start im Quartier habe manches Talent entdeckt.

>>> „START IM QUARTIER“ IM KURZEN ÜBERBLICK

Start im Quartier lief von Juni 2015 bis Mai 2018 mit Schwerpunkt auf Altenessen-Süd und Nordviertel. Beteiligte: Jobcenter, Amt für Stadterneuerung, Jugendamt, Arbeit und Bildung Essen (Abeg), Neue Arbeit der Diakonie, Sozialdienst Katholischer Frauen.Finanzierung: Durch das Biwaq-Programm der Europäischen Union und Eigenmittel. Team: Projektleitung, Jobcoach, vier sozialpädagogische Kräfte, drei bis vier Kultur- und Sprachmittler.
396 Teilnehmer mit 792 Kindern, alle Hartz-IV-Empfänger (80% mit Migrationshintergrund, die meisten ohne Ausbildung). 21 Prozent von ihnen wurden in sozialversicherungspflichtige Jobs, 450-Euro-Jobs, Ausbildung, Selbständigkeit o.ä. vermittelt.