Essen. . Wenn ein Bundesland seinen Geburtstag feiert, dann wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Der NRW-Tag in Essen hat definitiv Maßstäbe gesetzt.

Wo die Flammen unter Kontrolle sind, der Rauch kontrolliert aufsteigt und böse Buben garantiert festgenommen werden, da bleibt der Mensch ja gerne stehen und guckt. Und so ist es die „Blaulichtmeile“ in der Essener Innenstadt, die beim NRW-Tag am Samstag das meiste Publikum anlockt: Polizei und Feuerwehr und alle anderen, die Sirenen anmachen dürfen, zeigen hier, was sie können.

Auch interessant

Sie löschen brennende Container, landen mit dem Fallschirm oder stellen nach, wie sie Randalierer zu Boden bringen. Großer Beifall für die Polizei, dabei hat die Wirklichkeit die Blaulichtmeile arg zerzaust: Wasserwerfer, Reiterstaffel und Einsatzhundertschaft, eigentlich auch vorbereitet auf einen Samstag der Show-Einlagen, sind aus befürchtetem Anlass abkommandiert nach Chemnitz.

Städte präsentieren sich beim NRW-Tag in Essen

Mehrere solcher Meilen und Bühnen belegt der NRW-Tag in der Innenstadt und auf der Zeche Zollverein. Hier präsentieren sich ungezählte Essener Vereine, in den weißen Zelten dort stellen sich Ministerien, Behörden und das Parlament dar, und an dritter Stelle reihen sich die Tourismus-Werber aneinander und verteilen Broschüren. Natürlich nicht nur.

„Hamm“ zum Beispiel dreht am Glücksrad, bei „Bonn“ kann man sich fotografieren lassen mit dem Hintergrund Bonn und bei „Funcity Bottrop“ (Freudenstadt Bottrop) mit ungeheuren Gestalten aus dem Grusellabyrinth. „Vielen Menschen ist gar nicht klar, wie viele Attraktionen wir in Bottrop haben“, sagt Sara Kreipe aus der Wirtschaftsförderung – und dann selbstironisch: „Auch in Bottrop gibt es Hotels.“

Fallschirmsprünge der Spezialeinheit GSG 9

Am Berliner Platz drängen sich derweil die Besucher. Das erste Highlight schwebt ihnen vom Himmel direkt vor die Füße. "Landen die wirklich hier?", fragt der elfjährige Simon seine Mutter. Die Essener Familie ist extra früh zum NRW-Tag angereist, um die Fallschirmsprünge der Spezialeinheit GSG 9 aus einem Einsatzhubschrauber der Bundespolizei nicht zu verpassen. "Sowas sieht man ja sonst nie", freut sich Simon, der kaum fassen kann, dass wenige Meter von ihm entfernt ein Fallschirmspringer landet. Dann macht er sich auf die Suche nach den Rettungshunden, die nicht nur vorführen, was sie können, sondern auch gestreichelt werden dürfen.

Das Wetter spielt mit, die Stimmung ist gut, es könnten mehr Leute sein – nun gut. Nach einer Zufallsumfrage sind die Menschen auch weniger wegen Nordrhein-Westfalens 72. Geburtstag dar als wegen spezieller Angebote: Louis (7) aus Gelsenkirchen ist „interessiert an allen Zügen“, da schaut er sich mit der Großmutter den neuen Regionalzug RRX im Hauptbahnhof an; und die Familie um den kleinen Ben aus Castrop-Rauxel trifft man bei der Bundespolizei, weil er „alles ganz toll findet, was mit Blaulicht zu tun hat“. Ein Mann aus Velbert sagt: „Ich wusste gar nicht, dass NRW-Tag ist.“ Unser Tipp: Am Sonntag ist – ebenfalls in Essen -- gleich noch einer.

Landesminister beschreiben Ziele der "Ruhrkonferenz"

Etwas staatstragender als beim reinen Bürgerfest ging es auf einer Bühne vor dem Essener Dom zu. Dort beschrieben die Landesminister die Ziele der „Ruhrkonferenz“ – ein auf lange Zeit angelegtes Programm, das das Revier in eine bessere Zukunft führen soll. Der Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Stephan Holthoff-Pförtner (CDU) weigerte sich, das Ruhrgebiet auf seine Probleme zu reduzieren. „Wir im Revier neigen dazu, das Kritische überzubetonen und das Erreichte zu vernachlässigen“, sagte er. So sei zum Beispiel die Renaturierung der Emscher ein „sensationelles“ Projekt, auf das die Region stolz sein könne. Arbeits- und Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) ist zuversichtlich, dass sich in den kommenden zehn Jahren an der Ruhrvieles zum Besseren wenden dürfte, sogar bei der Langzeitarbeitslosigkeit.

NRW-Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) warb erneut für Olympische Spiele im Jahr 2032 an Rhein und Ruhr. Die Spiele böten die Chance, „viel Geld vom Bund“ zu bekommen. Die Münchener U-Bahn, gebaut für Olympia, sei die beste in Deutschland. Die Spiele könnten auch dem Revier eine neue Verkehrs-Infrastruktur und modernste Stadien bescheren. Das Publikum im Domhof blieb beim Thema Olympia mehrheitlich skeptisch, honorierte aber den Auftritt des Ministerpräsidenten mit Beifall.

Polizei muss nach Sachsen - Attraktionen gestrichen

Die Polizei hat allerdings einige Attraktionen aus ihrem Programm beim NRW-Tag kurzfristig gestrichen. Nach eigenen Angaben werden "zahlreiche Polizeieinheiten" ihre Kollegen in Sachsen am Wochenende nach den Ausschreitungen in Chemnitz unterstützen.

"Wir bedauern sehr, dass insbesondere Vorführungen der Hundertschaften und die Ausstellung einiger Sonderfahrzeuge auf der Blaulichtmeile in der Essener Innenstadt nicht stattfinden können", erklärte die Essener Polizei am Freitagabend. So wurden die Vorführungen von Wasserwerfer und Räumfahrzeug sowie ein Trainingsparcour der Essener Einsatzhundertschaft abgesagt. Die Polizei verspricht trotzdem "zahlreiche andere Attraktionen".

In Chemnitz hatte sich die Polizei derweil am Samstag auf mögliche neue Auseinandersetzungen vorbereitet. Tausende Menschen wurden zu Demonstrationen erwartet. Nach einer tödlichen Messerattacke auf einen 35-jährigen Deutschen war es in Chemnitz bereits an mehreren Tagen zu Ausschreitungen mit Verletzten gekommen. (mit dpa)

Aufmarsch von Rechten in Chemnitz

Nach dem tödlichen Angriff auf einen 35-jährigen Mann in Chemnitz und anschließenden Ausschreitungen am Sonntag ist es in der sächsischen Stadt am Montag erneut zu Demonstrationen und Gewaltausbrüchen gekommen. Als Reaktion versammelten sich ebenfalls mehrere linke Gruppierungen, um sich dem Aufmarsch entgegenzustellen.
Nach dem tödlichen Angriff auf einen 35-jährigen Mann in Chemnitz und anschließenden Ausschreitungen am Sonntag ist es in der sächsischen Stadt am Montag erneut zu Demonstrationen und Gewaltausbrüchen gekommen. Als Reaktion versammelten sich ebenfalls mehrere linke Gruppierungen, um sich dem Aufmarsch entgegenzustellen. © dpa | Jan Woitas
Rechte Demonstranten hielten Schilder mit der Aufschrift: „Asylflut stoppen“ in die Höhe.
Rechte Demonstranten hielten Schilder mit der Aufschrift: „Asylflut stoppen“ in die Höhe. © dpa | Jan Woitas
Auch Banner mit der Aufschrift „Kein Zutritt für Terror“ waren zu sehen, wie hier vor dem Karl-Marx-Monument.
Auch Banner mit der Aufschrift „Kein Zutritt für Terror“ waren zu sehen, wie hier vor dem Karl-Marx-Monument. © dpa | Sebastian Willnow
Die Polizei versuchte, die Protestierenden zurückzuhalten.
Die Polizei versuchte, die Protestierenden zurückzuhalten. © dpa | Sebastian Willnow
Ein rechter Demonstrant mit Siegesgeste.
Ein rechter Demonstrant mit Siegesgeste. © Getty Images | Sean Gallup
Im Laufe des Montagabends zogen die rechten Demonstranten durch die Chemnitzer Innenstadt. Teilnehmer berichteten von einer aggressiven Stimmung.
Im Laufe des Montagabends zogen die rechten Demonstranten durch die Chemnitzer Innenstadt. Teilnehmer berichteten von einer aggressiven Stimmung. © Getty Images | Sean Gallup
Während den Ausschreitungen wurden Böller und Pyrotechnik gezündet.
Während den Ausschreitungen wurden Böller und Pyrotechnik gezündet. © Getty Images | Sean Gallup
„Aus beiden Versammlungslagern gab es Würfe von Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen. Dadurch wurden einige Menschen verletzt und müssen nun behandelt werden. Wir fordern eindringlich auf friedlich zu bleiben“, schrieb die Polizei Sachsen auf Twitter.
„Aus beiden Versammlungslagern gab es Würfe von Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen. Dadurch wurden einige Menschen verletzt und müssen nun behandelt werden. Wir fordern eindringlich auf friedlich zu bleiben“, schrieb die Polizei Sachsen auf Twitter. © REUTERS | MATTHIAS RIETSCHEL
Im Laufe des Tages trafen Unterstützer der rechten und linken Szene immer wieder aufeinander. Die Polizei versuchte, beide Lager auseinanderzuhalten.
Im Laufe des Tages trafen Unterstützer der rechten und linken Szene immer wieder aufeinander. Die Polizei versuchte, beide Lager auseinanderzuhalten. © Getty Images | Sean Gallup
Die Polizei eskortiert einen verletzten Teilnehmer.
Die Polizei eskortiert einen verletzten Teilnehmer. © Getty Images | Sean Gallup
Schon am Sonntag war eine spontane Demonstration nach den tödlichen Messerstichen auf einen Deutschen beim Chemnitzer Stadtfest in Angriffen auf Migranten gemündet. Aufgrund einer aktuellen Gefährdungslage verlassen die Besucher vergangenen Sonntag gegen 16 Uhr das Stadtfest.
Schon am Sonntag war eine spontane Demonstration nach den tödlichen Messerstichen auf einen Deutschen beim Chemnitzer Stadtfest in Angriffen auf Migranten gemündet. Aufgrund einer aktuellen Gefährdungslage verlassen die Besucher vergangenen Sonntag gegen 16 Uhr das Stadtfest. © dpa | Alexander Prautzsch
Blumen und Kerzen liegen in der Chemnitzer Innenstadt dort, wo der 35-Jährige am Sonntag angegriffen wurde. Er starb wenig später.
Blumen und Kerzen liegen in der Chemnitzer Innenstadt dort, wo der 35-Jährige am Sonntag angegriffen wurde. Er starb wenig später. © dpa | Sebastian Willnow
1/12