Essen-Rüttenscheid. Renate Hatterscheidt zapfte vor mehr als 30 Jahren das erste Bier im „Rullich in Rüttenscheid. Am Tresen feiert, lacht und weint man zusammen.
Die Gastronomie knubbelt sich an der Witteringstraße: schicker Burgerladen, kultige Musikkneipe, hippes Eiscafé. In einer Gaststätte um die Ecke, an der Von-Seeckt-Straße, scheint die Zeit aber stehengeblieben zu sein. „Renate, kann ich noch’n Gedeck kriegen?“ Renate Hatterscheidt erhebt sich aus dem weißen Plastikstuhl, auf dem sie in der Sonne sitzt. Sie holt Nachschub aus dem „Rullich“, der urigen Eckkneipe am Rande Rüttenscheids. Vor mehr als 30 Jahren stand sie hier zum ersten Mal hinterm Tresen.
Bevor das Gedeck serviert wird, vergehen ein paar Minuten. Denn wenn die Wirtin einmal unterwegs ist, macht sie gleich eine ganze Runde. Als Kümmerling und Stauder dann auf dem Tisch stehen, kann sich die 63-Jährige den Bleistift wieder hinters Ohr stecken und sich setzen, die Zigarette im Aschenbecher nur noch zwei Zentimeter erkaltete Asche. Schon am frühen Nachmittag ist das „Rullich“ gut besucht. „Ach, gerade ist’s doch ruhig, die Frühschicht ist schon wieder weg“, erzählt die Wirtin.
Für ihre „Jungs“ hat die Wirtin ein offenes Ohr
Täglich ab 11 Uhr morgens öffnet die Gaststätte – und schließt erst, wenn der letzte Gast ausgetrunken hat. „Manchmal warten die schon morgens vor der Tür, bereit zum Frühschoppen“, sagt die Wirtin lachend. Traditionsgemäß gezapft werden Stauder, Krombacher und Frankenheim. Am besten läuft Stauder, „ist doch logisch“.
Renate ist nicht nur das Original im „Rullich“, sie ist auch das Herz und die Seele der Gaststätte. Sie steht hinter der massiven Holztheke und grüßt jeden, der durch die Tür kommt. Mehr als 60 Jahre ist das „Rullich“ schon die zweite Heimat für die Stadtteilbewohner. „Hier sind wir eine Familie“, sagt die Wirtin. „Man teilt alles miteinander. Freud, Leid und Sorgen. Manchmal muss ich auch Kummerkasten spielen und den Jungs mit ihrem Liebesschmerz helfen.“ Die „Jungs“ sind eigentlich alle; die Rentner beim Frühschoppen, die Arbeiter mit frühem Feierabend und die Studenten, die vor ein paar Jahren in die Nachbarschaft gezogen sind und regelmäßig vorbeikommen.
Vor der Kneipe pflegt die Wirtin einen kleinen Garten
„Die jungen Kerle hab ich mal gefragt, was die hier eigentlich wollen“, zwinkert Renate. „Als ich jung war, wäre ich doch nie in so eine Kaschemme gegangen. Aber die finden das toll hier und sagen, ich solle bloß nie was verändern.“ Das Urige, das Traditionelle, das Normale schätzen die Gäste. Hier wird noch nach alter Schule geknobelt, Skat oder Dart gespielt und drei Daddelautomaten stehen auch noch in der Ecke.
„Die ganzen neumodischen Sachen halten sich immer nur ein paar Jahre und so Schnickschnack muss nicht sein“, sind sich Klaus, Hans und der andere Klaus einig. Alle Drei kommen seit über 30 Jahren in die Kneipe. „Wir genießen die Ruhe und die Aussicht aufs Grüne“, sagt Hans. Denn direkt vor der Kneipe schaut man auf Renates zweites Betätigungsfeld. Nicht nur jedes einzelne Dekorationsstück im Inneren entstammt ihrer kreativen Ader, sondern auch ein kleiner, aber feiner Garten. Vor die Stadtbäume hat sie Geranien in kleine Blumenkästen gepflanzt, gespickt mit unzähligen bunten Windmühlen. Schmetterlinge, Hummeln und Amseln machen es sich hier im Sommer bequem. „Man muss es sich ja schön machen“, sagt die Wirtin. „Obwohl ich wieder Unkraut zupfen muss.“
In der Ecke hier kennt jeder jeden, die vorbeilaufenden Nachbarn bleiben oft stehen, um zu klönen. „Hinten habe ich immer säckeweise Leckerli stehen, falls mal jemand seinen Hund dabei hat“, sagt die Wirtin. „Wir sind halt einfach eine Familie. Woanders hin will ich nicht“, sagt Renate Hatterscheidt. Wäre auch zu kompliziert, sie wohnt ja direkt über dem „Rullich“.